Im neuen Discovery+ Original „Sex Tape V.I.P.“ gewähren deutsche Prominente Einblicke in ihr Schlafzimmer. Das Resultat entpuppt sich als falsche Fährte.
Reality-TV ist schon lange nicht mehr das, was es einmal war. Die Zeit der Skandalshows, in denen es ordentlich krachen soll, möglichst konträre Charaktere aufeinander losgelassen werden, scheint vorbei zu sein. Mit dem Skandal um „Promis unter Palmen“ im Jahr 2020 fing es an. Inzwischen sind die Sender vorsichtiger geworden, setzen in vielen Shows lieber auf Kuschelkurs, immer in der Angst vor der nächsten Eskalation. Von einem fehlenden Entertainment-tauglichen Nachwuchs bei den immer unbekannteren Kandidatinnen und Kandidaten einmal abgesehen.
Einen weiteren Sargnagel für das altbekannte Trash-Fernsehen verpasste erst kürzlich die ProSieben-Sendung „Das große Promi-Büßen„. In ihr wurden das Wundenlecken und die Orientierungslosigkeit der Sendeanstalten bezüglich der Grenzen ihrer Formate zum inhaltlichen Konzept erklärt. Die „Bösen“ vergangener Formate sollten vor der Kamera noch einmal zu Kreuze kriechen, während der Rest der Sendung nur gewöhnliche, ödeste Reality-Routinen abspulte und bei Konflikten im Zweifelsfall die Schere ansetzte. Reality-TV künstlich moralisieren zu wollen, das scheint bislang schlecht aufzugehen. Um diese Falle tänzelt auch das neue Discovery+ Original „Sex Tape V.I.P.“ herum, das trotz aller Frivolitäten eine allzu verbissene Ernsthaftigkeit an den Tag legt.
Diese Promis zeigen ihr „Sex Tape“
Die am Donnerstag gestartete Show versammelt pro Folge drei mehr oder weniger prominente Paare. Jedes davon bringt sein Sex-Tape mit, um es den anderen Paaren und der Moderatorin Natascha Ochsenknecht vorzuführen. Im Anschluss wird darüber diskutiert. Zu den Teilnehmern gehören unter anderem Julian F.M. Stoeckel und sein Partner Marcell, Tattoo-Model Kate Merlan mit ihrem Ehemann, Fußballer Jakub Jarecki, Reality-TV-Star Ennesto Monté mit seiner Freundin Marry sowie Frank und Elke Fussbroich und “The Burlesque Rockstar” Eve Champagne mit Partner Dennis, wie die Plattform bereits Anfang des Monats angekündigt hatte.
Eigentlich handelt es sich dabei um eine Mogelpackung, eine falsche Fährte. Zwölf Promipaare zeigen ihre privaten Sextapes: Das klingt natürlich erst einmal nach kuriosem Edelschund, nach Skandal. Der Blick durchs Schlüsselloch scheint eine weitere Grenze zu überschreiten, noch weiter in Intimitäten vorzudringen, wo vielleicht selbst „Adam sucht Eva“ verschämt die Kameras ausschaltet. Eine verquere Publikumssehnsucht nach dem Ungeschminkten scheint mittlerweile sowieso keine Grenzen mehr zu kennen. Doch „Sex Tape V.I.P.“ löst interessanterweise nur hier und da ein, was die Prämisse verspricht.
Das beginnt schon damit, dass der Begriff „Sex Tape“ äußerst dehnbar angelegt ist. Er meint etwa, wie im Fall von Eve Champagne und Partner, die in Folge 2 auftreten, tatsächlich das Filmen sexueller Spielarten, wenngleich die Produktion natürlich eifrig am Schneiden und Verpixeln ist. Er umfasst aber auch, wie bei Julian F.M. Stoeckel, ein Kaffeekränzchen bei Micaela Schäfer mit künstlichem Sperma aus der Tube. So oder so: Das Schwatzen und Diskutieren steht im Vordergrund. Der vermeintliche Tabubruch, den die Prämisse verspricht, dient in erster Linie als Vehikel für das enttabuisierte Plaudern über Beziehungsprobleme, Kinder, Stress im Alltag.
Paartherapie bei Frau Ochsenknecht
Dagegen ist grundlegend nichts einzuwenden: Das Publikum an der Nase herumführen, ihm nicht zu geben, was es erwartet. Fakt ist aber auch: Schon nach zwei Folgen lassen sich erste Ermüdungserscheinungen erkennen. Am Ende haben doch die meisten Paare mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Berufs-, Privat- und Sexleben unter einen Hut bringen, das ist manchmal schwer. Nun gut, für diese Erkenntnis reicht auch die Pilotfolge. Der Rest ist eher belangloses Dokutainment- und Ratgeberfernsehen mit altbekannten Weisheiten.
Dafür braucht es ja gar nicht mehr nackte Haut! Was jemand von sich zeigt, bleibt natürlich jeder und jedem selbst überlassen. Enttäuschend ist das Format jedoch, weil in seinen starken Verdichtungen und Einkürzungen viel unter den Schneidetisch fällt, was eigentlich die Spannung einer solchen Sendung auszeichnet, nimmt man die Prämisse einmal beim Wort: das mal professionelle, meist aber eher unbeholfene Praktizieren von Selbstinszenierung. Und das meint hier natürlich vor allem: das Inszenieren von Liebe und Sexualität.
Die Fallstricke beim Pornodreh
Es erreicht in dem Moment ganz neue Herausforderungen, wenn da zwei Menschen entblößt vor der Kamera Intimitäten oder einfach nur ihr „gewöhnliches“ Alltagsleben fernab von Studiokulissen zur Schau stellen wollen. Man bewältigt sie etwa beim Sexfilmdreh mit umschlungener Bettdecke, ausgeschaltetem Licht, vorgezogenen Wänden – Techniken, die man eher aus prüden Spielfilmen kennt. Das filmische Denken überlappt das vermeintlich Ungeschönte. Pornos, die keine sein dürfen. Ein interessanter Konflikt! Das Wie ist sowieso spannender als das Was.
Präsentiert sich doch einmal ein Paar hemmungslos explizit, müssen die Editoren einspringen, um die Freizügigkeiten zu entschärfen und fernsehtauglich aufzubereiten. Von solchen aufgeladenen, teilweise einander widerstrebenden Mechanismen darf in den schnell voranschreitenden ersten Folgen jedoch zu wenig atmen. Es überwiegt gleichförmiger, im Kern doch recht schlicht gestrickter Lifestyle-Talk aus dem Nähkästchen in hübscher Kulisse. Und vor allem: das Maß an Trash, das nicht mehr nur Trash sein will. Es sucht weiterhin nach einer neuen Identität.
„Sex Tape V.I.P.“ läuft seit dem 25. August 2022 bei Discovery+.
Bildquelle:
- Sex Tape V.I.P: discovery+