Seit Jahrzehnten kämpft Spike Lee als Mitbegründer des New Black Cinema gegen Rassismus und Diskriminierung. Heute erscheint bei Netflix sein neues Werk „Da 5 Bloods“. Der Vietnamfilm kommt zur richtigen Zeit und lässt doch ratlos zurück.
Spike Lees Lebenswerk wird wahrscheinlich noch Generationen beschäftigen. Seine Filme besitzen die Kraft, über sich selbst und über das Kino hinauszuwachsen. Nicht nur aufgrund ihrer politischen Schlagkraft! Lees Auseinandersetzungen mit Rassismus und (gescheitertem) Widerstand sind gerade deshalb so bemerkenswert, weil sie in ihrer Ausformulierung so oft Erwartbares vermeiden und ganz anders daherkommen als das, was man sonst gerne als „Problemfilme“ bezeichnet. Sein großes Meisterwerk „Do the Right Thing“ von 1989 begann etwa als sonnengeflutete, schwelgerische Komödie, die ganz unscheinbar auf die Eskalation zusteuerte. In einer markanten Szene wird ein junger Schwarzer von einem Polizisten zu Tode gewürgt, sein Umfeld rebelliert. Lee’s Bilder von damals wirken gerade heute wie prophetische Echos.
Sein neuestes Werk, die Netflix-Eigenproduktion „Da 5 Bloods“, brennt sich nun erneut mit einem politischen Pamphlet ins Bewusstsein und wandelt spielerisch zwischen ernstem Drama und B-Movie-Remineszenzen. „Black Lives Matter“ wird auch in diesem Film zum Schluss skandiert. Dass seine Veröffentlichung ausgerechnet jetzt geschieht, ist in Anbetracht der weltweiten Aufstände nach dem Tod von George Floyd, ein erstaunlicher und dringlicher Zufall. Nun, einmal angenommen, der Streifen wäre zu einem anderen Zeitpunkt erschienen, er wäre andererseits nicht weniger aktuell. Ganz so, wie auch Spike Lees ältere Filme immer wieder neu befragt werden können.
(K)ein Film über Vietnam
Spike Lee hat einen Film über den Vietnamkrieg gedreht, doch es geht natürlich um mehr als das. „Da 5 Bloods“ ist eine weitere Abrechnung mit Rassismus, Ressentiments und in gewisser Weise auch mit dem Kriegskino an sich. Die Hauptfiguren, vier schwarze Vietnam-Veteranen, begeben sich noch einmal an den Ort des Grauens, um die Gebeine des gefallenen Gruppenführers und einen alten Goldschatz zu bergen. Was folgt, siedelt sich irgendwo zwischen Abenteuerfilm, Trash, Charakterdrama, Buddy-Komödie und Polit-Parabel an. Ikonische Filmbilder tauchen hier wieder auf und zerlegen sich zugleich selbst. Zu Wagners Walkürenritt tritt man etwa in Erinnerung an „Apocalypse Now“ die Bootsfahrt an. Die ist aber eben nicht einfach nur eine zweite Reise ins „Herz der Finsternis“. Vielmehr geht es um den Versuch des Abschiednehmens davon. Dort, wo immer noch die scharfen Sprengsätze von damals vergraben sind, gestaltet sich das Überwinden der alten Quälgeister und Feindbilder allerdings als auswegloses Unterfangen.
Der Netflix-Streifen glänzt vor allem in seinem meisterhaften ersten Drittel, wenn sich die älteren Herren nach all den Jahren erstmals wieder begegnen und die diversen politischen Weltbilder nach und nach hervorbrechen. Die Darsteller spielen dabei ihre Rollen sowohl in dem gegenwärtigen Handlungsstrang als auch in den surrealen Rückblenden. Kein Wunder! Lee wird nicht müde, zu wiederholen, wie die historischen Wunden Amerikas mit der Gegenwart verknüpft und lange nicht verheilt sind. Die gekonnte Konfrontation mit dieser Tatsache, dieser historisierende Blick ist die wohl größte Leistung seiner Filme, auch von „Da 5 Bloods“.
Zu viel vorgenommen
Man wird nur den Eindruck nicht los, dass sich der Regiemeister dieses Mal etwas verhoben hat, allein bei der viel zu aufgeblasenen Laufzeit. Schade, dass das ausgerechnet dem Mann passiert, der mit seinem fast dreieinhalbstündigen „Malcolm X“ in den 90ern noch eines der bis dato letzten großen Hollywood-Epen geschaffen hat! In seiner zweiten Hälfte bleibt bei dieser Dschungelexpedition aber ein fades Gefühl, vielleicht weil man das auch in seiner mosaikhaften Inszenierung alles schon furioser und hemmungsloser gesehen hat, sogar von Spike Lee selbst. Zusammenspiel und Konzentration gehen fortschreitend verloren, sobald man einige Schritte in den Dschungel gesetzt hat, und zwar sowohl auf zeitgeschichtlicher als auch parabelhafter Ebene.
Die Erzählung und vor allem der politische Diskurs zwischen den Parteien lösen sich auf in persönlichen Befindlichkeiten, absurden Actionausbrüchen und einigen satirischen Giftpfeilen, die teils ähnlich infantil beim Publikum ankommen wie bereits in Lees Vorgängerfilm „BlacKkKlansman“. Spike Lee weiß, wie das Kino funktioniert, und er weiß auch, welche Kraft es besitzen kann. Sein neuer Streich erreicht, zugegeben, eine beeindruckende Überzeitlichkeit, wenn sich Gestern und Heute, Spielfilm und Archivmaterial verschränken. Oder wenn der großartige Delroy Lindo die vierte Wand durchbricht und wahnhaft zum Publikum spricht. „Da 5 Bloods“ ist immer dann am stärksten, wenn er seine Genres dekonstruiert und unterwandert. Sobald er sie jedoch einfach nur bedient, wird es schnell beliebig und, Ja, manchmal auch ein wenig langweilig.
Bildquelle:
- dafivebloods: David Lee, Netflix
- fivebloods: David Lee/ Netflix