Mediathek-Tipp: „Luftkrieg“ wirft einen kontroversen Blick auf Kriegsgewalt

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Frau in brennender Stadt
Foto: rbb/ PROGRESS Filmverleih

Der Film „Luftkrieg: Die Naturgeschichte der Zerstörung“ führt auf brisante Weise die Bilder und Ausmaße moderner Kriegsführung vor.

Ende der 1990er-Jahre löste der Schriftsteller W. G. Sebald eine kontroverse Debatte aus. Sebald kritisierte in seinem Aufsatz „Luftkrieg und Literatur“ ein Schweigen über die Gräuel des Luftkrieges der Alliierten gegen Deutschland. Er beschäftigte sich mit der Frage, ob und inwiefern die deutschsprachige Literatur nach 1945 die verheerenden Bombardierungen deutscher Städte ausreichend aufgearbeitet hat und kam für sich zu einem ernüchternden Fazit.

Sebald schreibt: „Die finstersten Aspekte des von der weitaus überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung miterlebten Schlußakts der Zerstörung blieben so ein schandbares, mit einer Art Tabu behaftetes Familiengeheimnis, das man vielleicht nicht einmal sich selber eingestehen konnte.“ Und an späterer Stelle: „Die Frage, ob und wie der […] Plan eines uneingeschränkten Bombenkriegs strategisch oder moralisch zu rechtfertigen war, ist in den Jahrzehnten nach 1945 in Deutschland, soviel ich weiß, nie Gegenstand einer öffentlichen Debatte geworden, vor allem wohl deshalb nicht, weil ein Volk, das Millionen von Menschen in Lagern ermordete und zu Tode geschunden hatte, von den Siegermächten unmöglich Auskunft verlangen konnte über die militärpolitische Logik, die die Zerstörung der deutschen Städte diktierte.“

Szene aus "Luftkrieg: Die Naturgeschichte der Zerstörung"
Foto: rbb/ PROGRESS Filmverleih/ BRITISH PATHE

„Luftkrieg“ lässt die historischen Bilder sprechen

Der ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa hat nun, inspiriert von Sebalds Text, einen Filmessay zu dem Thema inszeniert. „Luftkrieg: Die Naturgeschichte der Zerstörung“, der 2023 in den deutschen Kinos startete, lässt dabei voll und ganz die Bilder sprechen. Loznitsa („Der Prozess“, „Donbass“) ist ein Regisseur, der immer wieder historisches Archivmaterial durchforstet, ausgegraben und montiert hat, um die alten überlieferten oder bislang versteckten Aufnahmen neu zu studieren. Um Einsichten in Vergangenheit und Gegenwart zu vermitteln. „Luftkrieg“ verzichtet komplett auf Texttafeln oder einordnende Interviews und Voice-Over-Texte, um zur Auseinandersetzung mit seinen Bildern einzuladen.

Loznitsas Film spannt einen Bogen von Alltagsaufnahmen aus dem Dritten Reich bis zu minutenlangen Aufnahmen von verwüsteten Städten, Leichen und der Ausmaße der Zerstörung. „Luftkrieg“ regt damit, wie der RBB beschreibt, zum Diskurs über zwei Fragen an: „Ist es moralisch vertretbar, im Krieg auch gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen, um ein Terrorregime zu besiegen? Ist der Luftkrieg noch die Fortsetzung der Politik oder betreten wir mit ihm die Dimensionen einer Naturgewalt?“

Flugzeuge in "Luftkrieg"
Foto: rbb/ PROGRESS FILMVERLEIH/ IMPERIAL WAR MUSEUM

Ein Film über die Beziehung von „Krieg und Kino“

Durch die expressive Sprache und das Eigenleben der Aufnahmen von industriell gefertigtem Kriegsgerät, von Perspektiven aus der Luft und der abstrakten Formen der Explosionen und Ruinen führt „Luftkrieg“ ebenso zur komplexen Beziehung zwischen Kriegen und medialen Bildern per se. Welche Bilder bringt Krieg hervor? Welche Bilder inszeniert er bewusst und welche unbewusst? Wie gestaltet sich Kriegspropaganda? Wie hat sich moderne Kriegsführung durch die technologischen Möglichkeiten des Films verändert und umgekehrt? „Luftkrieg“ führt somit nicht nur zurück zu W. G. Sebalds Essay, sondern auch zu Paul Virilios Studie „Krieg und Kino„, in der er der besagten Beziehung zwischen Medienbildern und kriegerischer Gewalt und den jüngeren Wahrnehmungsmechanismen des Krieges nachspürt.

„Luftkrieg: Die Naturgeschichte der Zerstörung“ feierte seine Uraufführung bei den Filmfestspielen in Cannes 2022. Die deutsche Erstausstrahlung im TV fand am 8. Mai 2024 im RBB Fernsehen statt. Noch bis zum 6. August 2024 kann man den Film in der ARD Mediathek streamen.

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