In Folge 9 der ersten Staffel von „House of the Dragon“ entfesselt das „Green Council“ einen Krieg. Es ist auch eine Folge über die Serie selbst.
Hüte dich vor der Bestie unter den Dielen. Ein weiteres Mal schafft sich „House of the Dragon“ eine mehrdeutige Unterwerfung unter gesponnene Schicksalsfäden, die sich längst zum Netz aus Geheimnissen und Lügen verknüpft haben. Sie werden in dieser neunten und vorletzten Episode der ersten Staffel als warnende Prophezeiung angesprochen. Immer wieder leuchten Krisenherde und verborgene Machenschaften kurz auf, die von einzelnen Figuren ignoriert oder übersehen wurden. Die Serie selbst müht sich spürbar daran ab, durch ihre diversen Verschwörungen und Motivationen noch durchzusehen.
Sara Hess, die Drehbuchautorin, hat mit den Folgen 6 und 9 wahrscheinlich die undankbarsten der gesamten Staffel verantwortet, weil sie so viele Hebel in Bewegung setzen, den eigentlich kompakten Stoff mit Abzweigungen verkomplizieren müssen. Mit der zwielichtigen Mysaria taucht da nun etwa eine neue große Spielerin auf, die in der bisherigen Staffel vielleicht 15 Minuten auf dem Bildschirm zu sehen war, und nun plötzlich im Spiel um den Eisernen Thron als Stimme des Volkes mitmischen soll. Irgendwann wird sie wichtig werden, Leserinnen und Leser des Martin’schen Erzählkanons werden das bereits wissen. Das „House of the Dragon“ schielt angestrengt auf seine eigenen Vorherbestimmungen und Determinanten, denen es sich fügen will.
„House of the Dragon“ verfolgt in Folge 9 nur eine Partei
Dabei schimmert der Kern, den diese erste Staffel erzählt, noch raffiniert durch: die Entzweiung der beiden Freundinnen Rhaenyra und Alicent, die zwischen Opportunismus und Progression handeln und von den starren systemischen Strukturen im wahrsten Sinne übermannt werden. Nun hat auch die filmische Erzählform einen Keil zwischen beide getrieben. Der einen gehört die Bühne, die andere ist gänzlich ausgeblendet. „The Green Council“ entspinnt sich allein in der Hauptstadt der Sieben Königslande und erzählt davon, wie die Gruppe um Königin Alicent den Thron raubt, um Prinz Aegon zum Herrscher zu erklären. Die Reaktion der anderen Partei, die der um die Krone Betrogenen, wird offenbar in der kommenden Woche folgen.
Zu den dräuenden Pianostücken von Komponist Ramin Djawadi verfolgt dieser knapp einstündige Kriegsbeginn die Errichtung einer Gewaltherrschaft, die sich erst verbarrikadiert, um nach und nach unliebsame Gäste und Widersacher auszuschalten. Bezahlt wird mit Geld, Blut und entblößten Füßen als Masturbationsvorlage. Erst zum Schluss geht man an die Öffentlichkeit, um vollendete Tatsachen auszurufen. Präsentiert wird nur das, was ohnehin schon längst bekannt sein dürfte und im Verborgenen wirkte. Uns geht es doch kaum anders als der städtischen Bevölkerung, die da zum Ritual getrieben wird. Wir sollen doch ebenso jede Woche vor den Fernseher getrieben werden, um staunend und jubelnd dem Altbekannten, dem ewig Fortgesetzten beizuwohnen.
Eine öffentliche Störaktion
Das Unbehagen in der Atmosohäre, die angespannte Stimmung, die Irritation in der Reaktion – das sind spannende Eigensinnigkeiten, die sich diese selbstreflexive Episode erlaubt. Mit Bedeutungsträgern, Dolch, Schwert, Krone, Wappen zelebriert man die Krönung. Das Volk soll an die alte, ruhmreiche Herrschaft der Targaryens erinnert werden, plant Alicent Hightower bei Nacht und Nebel. Man verkauft die Ausgeburt des lange vergifteten Machtkonstrukts als Glanz und Gloria, um die Menschen zu besänftigen, das System unter neuer Führung zu erhalten. Doch es frisst sich selbst, dieses System, das ist aus den vergangenen Wochen nun hinlänglich bekannt. Durch ebensolches Gebaren. Und so wird das neue alte Regime von seinem Selbst heimgesucht und der Wahrheit, der erklärten Thronfolge, die es an sich reißen will.
Die anfänglichen Bilder eines nächtlichen, gespenstischen, menschenleeren Ortes werden in den letzten Minuten dieser neunten Episode mit Menschenströmen, Staub und Chaos gefüllt. Eine digital aufbereitete Masse in der Auflösung. Unter den Dielen lauert die Identität hinter der Targaryen-Maske, die sich die Thronräuber aufzusetzen versuchen. Sie warnt mit einer öffentlichen Störaktion, um sich dann in die Lüfte zu erheben und den Krieg zu eröffnen. Es ist die falsche Nostalgie, die da unter den Dielen lauert. Eine Entfesselung bekannter Gewaltmuster. Sie entlarvt die Inszenierung der Mächtigen, aber auch die ihrer Strippenzieher hinter den Kameras. Ihre brachiale, überkünstlich erscheinende Tricktechnik durchkreuzt die eigene Illusion.
Spektakel, das sich selbst vertagt
Sie hätte die Chance gehabt, dieses Konglomerat an verschwörerischen Aktionen, dieses wimmelnde Figurenensemble auszulöschen, den Kanon zu durchkreuzen, den Umsturz zu wagen. Ein Feuerstoß hätte genügt. Doch hier bricht in erster Linie das reine Spektakel hervor, das sich natürlich aus dem Staub macht, um sich selbst zu vertagen, eine Wiederkehr zu initiieren. Es würde im Mord seines Anderen auch die eigene dramaturgische Existenzberechtigung auslöschen. Es taucht allein auf, um die Fronten zu klären. Und es will uns vorgeben, wem wir vor dem Bildschirm eigentlich die Treue zu schwören haben.
In den sozialen Netzwerken diskutiert man bereits über die innere Logik dieses Charakter- und Girlboss-Moments, mit dem „House of the Dragon“ hier beschließt. Mithin, es ist sowieso zwecklos, denn er folgt keiner psychologischen, sondern der erzählökonomischen Logik einer Untergangsgeschichte, die sich selbst über Jahre hinweg ausschlachtet und dafür zwangsweise weiter verzögern muss. In Folgen wie dieser mit ihrem konfusen Hin und Her tritt diese Mechanik offen zu Tage. Vielleicht ist der interessante Teil von „House of the Dragon“ mit Kriegsbeginn nun abgeschlossen? Vielleicht geht er bald in Getöse unter.
Mit der angekündigten zweiten Staffel wird sich die mitunter erstaunlich schwelgerische Dekadenzerzählung womöglich zum aktionsgetriebeneren Kriegsepos wandeln, das von Gewalt und Schauwerten durchzogen sein dürfte. Vernichtungstrieb als Entertainment. Die bloße Schaulust schleicht sich längst an das bisher Entwickelte an. Und wir sollen voraussichtlich in über einem Jahr nicht minder nostalgisch und besänftigt an den Pomp des Gewohnten zurückdenken, vor diesem Spektakel zittern, mitfiebern, das uns da erneut präsentiert wird, bis dann immer wieder die doppelsinnige, düstere Realität unter den eingezogenen Böden durchbricht.
„House of the Dragon“ ist seit dem 22. August bei Sky zum Streamen verfügbar. Jeden Montag erscheint eine neue Episode. Weitere Infos zur Ausstrahlung gibt es hier.
Alle Besprechungen zu „House of the Dragon“ im Überblick
- Ersteindruck zur Serie: Folge 1-6
- „House of the Dragon“-Auftakt im Rückblick: Eine schwere Geburt
- „House of the Dragon“ geht packend weiter: Folge 2 übertrifft den Auftakt
- „House of the Dragon“: Erster großer Fehltritt in Folge 3
- „House of the Dragon“: Folge 4 und der Tod der Queen
- „House of the Dragon“ Folge 5: Der Gipfel der Dekadenz
- „House of the Dragon“: Folge 6 spaltet die Staffel
- Großes Tragödien-TV: „House of the Dragon“ Folge 7
- „House of the Dragon“ Folge 8: Eine preisverdächtige Sterbeübung
Eine Vorschau zum bevorstehenden Staffelfinale kann man hier sehen:
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