Das Patriarchat suhlt sich im Blut und das „Game of Thrones“-Fanherz blutet gleich mit: Ab sofort hat das „House of the Dragon“ seine Pforten geöffnet.
+++ Der folgende Artikel enthält Spoiler zur Handlung der Episode. +++
Es ist das Heraufbeschwören von Dekadenz, mit dem „House of the Dragon“ beginnt. Dazu gehört immer eine gewisse Gleichzeitigkeit von Lust und Schrecken, angeregter Verschwendung und drückender Sinnlosigkeit, Prunk und Verfall – eine Gratwanderung zwischen üppigem Zelebrieren und unaufhaltsamem Niedergang. Miguel Sapochnik hat diese Gleichzeitigkeiten in etwa 60 Minuten eindrucksvoll pointiert und in parallel ablaufenden Handlungen verdichtet. Bereits in „Game of Thrones“ hatte der Regisseur für einige große Fernsehmomente gesorgt.
„Die Erben des Drachen“ – so lautet der bedeutungsschwere Titel der ersten Episode, die am Montag bei Sky erschienen ist – hätte dieses Fantasy-Epos kaum besser eröffnen können. Sie beweist ein Auge für opulentes Protzen, aber auch für die Feinheiten: die kleinen Details in der pompösen Ausstattung, den konzentrierten Fixpunkten in den überlebensgroßen Räumen, in denen einmal mehr um die Vorherrschaft in Westeros intrigiert wird. Aber auch für das Stellungsspiel der zahlreichen neuen Charaktere, die mit ihrem Geflüster und Gemauschel, einzelnen bedrohlichen Blicken und trügerisch kontrollierten Anordnungen in Szene gesetzt sind. Ihre Persönlichkeiten funkeln bereits auf dem Bildschirm, obwohl sie noch ein Geheimnis bleiben.
Zerfall eines Regimes
Es ist das eingeläutete Ende der Targaryen-Herrschaft, knapp 200 Jahre vor den Ereignissen von „Game of Thrones“. König Viserys I. (Paddy Considine) benötigt dringend einen männlichen Thronerben, doch bislang verlor seine Gemahlin (Sian Brooke) jeden Nachfahren. Die Macht hat ihre Spuren am Königskörper hinterlassen, eine eiternde Wunde will sich nicht mehr schließen. Ein weiterer Schnitt in die Hand folgt anschließend mit der Verbannung seines tyrannischen Bruders Daemon (Matt Smith) – jede Fehlentscheidung zieht potentiell schrecklichste Folgen nach sich, auch das ist aus „Game of Thrones“ bekannt. Mit hallendem Gebrüll stehen sich da zwei Gockel im schummerigen Thronsaal gegenüber, um sich gegenseitig als Bedrohung für die eigene Regentschaft zu markieren.
Die Schwere, mit der „House of the Dragon“ solche Dialoge versieht und damit unmittelbar an HBO’s Vorgängererfolg anzuknüpfen versucht, schreit einmal mehr danach, von versenkungsgierigen Fans ernster genommen zu werden als aktuelle Tagespolitik. Es will zum Grübeln und Diskutieren einladen, wie diese oder jene Person Schuld auf sich lädt, den falschen oder richtigen Weg einschlägt, dessen Auswirkungen in Internetforen ausgebreitet oder schlichtweg in den literarischen Vorlagen von George R.R. Martin nachgeschlagen werden können.
Der eigene Untergang als blutiges Spektakel
Dabei hat die Pilotfolge schon wenige Minuten zuvor ihren finsteren Kern und den eigentlich Grund des drohenden Regime-Zerfalls schmerzhaft offengelegt. Miguel Sapochnik war schon in seinen „Game of Thrones“-Episoden ein fähiger Dirigent von Montagen – egal, ob in der ikonischen Septen-Sprengung oder der Schlacht gegen die winterlichen Untoten. So arbeitet auch der Auftakt von „House of the Dragon“ mit mehreren starken Montagesequenzen, die jeden Triumph zugleich mit hereinbrechendem Unglück, jeden Fortschritt mit seiner drohenden Vernichtung konterkarieren.
Im Tjost-Turnier zelebriert man die erwartete Geburt des Prinzen mit einem Gewaltspektakel in der Arena. Die Jugend hat noch keinen Krieg erlebt, wie die Cousine des Königs, Rhaenys Targaryen (Eve Best), genervt feststellt. Jetzt braucht sie ein Ventil. Rhaenys – schon jetzt eine der spannendsten Figuren – wurde einst als potentielle Königin bei einer Wahl übergangen. Die patriarchale Tradition war zu stark für eine weibliche Regentin. Jetzt steht jene Tradition vor der Selbstzerfleischung. Sie feiert nichtsahnend ihren Untergang mit kollabierenden Pferden, zerschmetterten Schilden und zerhackten Schädeln. Im Kindsbett liegt indes eine unterdrückte Frau, die ihr Leben lang als Gebärmaschine missbraucht wurde, um nun den sinnlosen Tod zu sterben. Der Thronerbe wird ihr aus dem Bauch geschnitten, um einen Tag später ebenfalls tot zu sein.
„House of the Dragon“ schließt den Kreis zu „Game of Thrones“
Der gequälte Frauenkörper dient Sapochnik für seine thematische Exposition und als systemische Projektionsfläche. Es handelt sich um eine der Figuren, die am wenigsten Kontur erhalten, um letztendlich Zentrum des großen Schockmoments dieses Serienauftakts zu bilden, mit dem der Verfall der männlichen Herrschaft offenbar wird. In dieser gespiegelten Grausamkeit liegt womöglich die größte Tragik dieser beklemmenden, nihilistischen Sequenz, in der sich Triumph-, Geburts- und Todesschrei überlappen, spritzendes Blut als Geste der Macht mit ihrem symbolträchtigen inneren Ausbluten im Kindsbett ineinanderfließt. Nur, weil die konservativen Denkmuster verwehren, eine weibliche Nachfahrin zu bestimmen.
Dass es letztlich genau so kommen wird und die Prinzessin Rhaenyra (Milly Alcock) zur Erbin ernannt wird, installiert „House of the Dragon“ als gekonnte Bloßlegung eines Regimes, das nur dann mit behütender, väterlicher Miene Reformen präsentiert, wenn es keine andere Option mehr sieht. Oder anders: Die Progression ohne wahre innere Motivation blickt unweigerlich ihrem Kippmoment entgegen. Mit pathetisch düsteren Vorausdeutungen spart „House of the Dragon“ schließlich keineswegs. Während die Lords von Westeros der Prinzessin die Treue schwören, sind Gift und Galle längst gespuckt, auch in den eigenen Reihen. Dabei scheint das eigentliche Schicksal für all die Mächtigen und Untergebenen längst festzustehen. Und „House of the Dragon“ sticht allen enttäuschten „Game of Thrones“-Zuschauern mitten ins Herz.
Erinnerungen an ein unrühmliches Ende
Vom ‚Lied von Eis und Feuer‘ wird da in den letzten Minuten der Folge gesprochen. Viserys enthüllt seiner Tochter das Geheimnis eines drohenden Winters, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es verlangt eine einende politische Kraft, um die Anstrengungen des Klimawandels nebst seiner monströsen Ausgeburten aus dem Norden zu bewältigen. Das könnte ein interessantes, brennend aktuelles Mahnmal über das Verschütten und Ignorieren von bedeutsamen Erkenntnissen, ein Überwerfen bisheriger politischer Errungenschaften darstellen. Schließlich wissen wir aus „Game of Thrones“, wie der Ernst dieser Bedrohung erst neu erarbeitet und an die Menschen gebracht werden muss. Auf den Fall der Targaryens folgt im Kanon von „Game of Thrones“ nur ein neues konservatives Regime ohne Weitsicht.
Doch wir wissen auch, dass „Game of Thrones“ das eigentlich unvermeidliche Scheitern egoistischer, gieriger Menschen an dieser Anstrengung als ebenjenes filmisches Mahnmal am Ende zum Witz verhunzte. Dieser benötigte ja gerade kein kollektives Handeln, sondern nur eine einzelne fähige Schwertkämpferin, um danach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Womöglich gehört auch das zur Dekadenz: Über Staffeln hinweg die Vorgeschichte einer Welt erzählen zu wollen, deren klägliches Ende längst in Stein gemeißelt ist. Deren Botschaft, die diese Auftaktepisode so mitreißend und spektakulär herausarbeitet, längst von ihrer Ausweglosigkeit und ihrem Scheitern überschattet ist.
„House of the Dragon“ ist seit dem 22. August bei Sky zum Streamen verfügbar. Jeden Montag erscheint eine neue Episode. Weitere Infos zur Ausstrahlung gibt es hier. Einen umfassenden Ersteindruck zu den ersten sechs Folgen findet man in der folgenden Kritik.