Mit „His House“ hat Netflix einen Horrorfilm veröffentlicht, der bereits als Geheimtipp gehandelt wird. Tatsächlich ist das politische Horrordrama äußerst wirkungsvoll inszeniert, enttäuscht jedoch an einem entscheidenden Punkt.
Der Staub hat sich auf die Spukhäuser gelegt. Mottenkisten, altmodisches Interieur, Gespenster, die nur noch müdes Schulterzucken entlocken. Kurz: Es ist ernüchternd bestellt um das Genre. Tatsächlich sorgt eines prominentesten Motive des phantastischen Kinos, das Spukhaus, immer noch für große Kassenerfolge (man denke nur an „The Conjuring“). Anlass zum Jubeln gibt es allerdings selten. Verfluchte, heimgesuchte Häuser besitzen nicht grundlos eine so zeitlose Faszination. Immerhin rütteln sie an der heimischen Schutzzone, in der sich plötzlich Urängste manifestieren. Dass dabei mehr möglich ist als festgefahrene Geisterbahneffekte, hat jüngst etwa der wunderbar subtile und herzzerreißende „Relic“ vorgeführt.
Erscheinen Filme wie „Relic“ oder nun „His House“, wird heute gerne der leere Begriff „elevated horror“ („gehobener Grusel“) verwendet. Erheben will man damit vermeintlich anspruchsvollere Werke, weil man vom Rest des Genres inzwischen offenbar so wenig erwartet, dass man ihm Relevanz und Erkenntnisreichtum abspricht. Bevor man nun sinnloserweise beginnt, den neuen Netflix-Film unter dieses Label packen zu wollen, sei einfach festgehalten: „His House“ macht wenig neu, weiß aber um die politische Brisanz des Genres und die richtigen Hebel, die es zu betätigen gilt.
Ein neues Regie-Talent
Wie im Genre üblich, so beginnt auch „His House“ mit dem Einzug in das neue Zuhause. Hier jedoch mit einem entscheidenden Kniff: Bol und Ria sind gerade vor dem Krieg aus dem Sudan nach England geflohen. Unterwegs starb ihre Tochter, als das Boot mit anderen Geflüchteten kenterte. Vor den britischen Behörden müssen die beiden um Asyl bangen. Vorläufig wird das Paar in einer heruntergekommenen Sozialwohnung untergebracht, wo sie von ihren schlimmsten Ängsten heimgesucht werden.
Wie nun die Situation in der Wohnung eskaliert, bedient sich zunächst bei bekannten Versatzstücken. Murmelnde Stimmen dringen aus dunklen Ecken, Klopfgeräusche in den Wänden, irgendwann tauchen unheimliche Gestalten in der Wohnung auf. Regisseur Remi Weekes hat bereits in seinem Kurzfilm „Tickle Monster“ eine überzeugende Fingerübung in punkto Grusel präsentiert. In „His House“, seinem Langfilmdebüt, zeigt er in voller Pracht, dass er sich vor einigen namhaften zeitgenössischen Horror-Regisseuren wie James Wan, Ari Aster oder Jordan Peele nicht verstecken muss. Manchmal mit etwas zu viel Gas, aber die Schocks sitzen!
Migration als Horrotrip
Hier ist es einmal nicht nur die Angst vor dem Familienzerfall. Keine satanische Besessenheit, kein Exorzismus. Zwar spielen hier afrikanische Mythen eine Rolle, zu einem reinen Folklore-Horror wird „His House“ aber nie. Stattdessen inszeniert Weekes den Spuk als Ausdruck des Traumas seiner beiden Hauptfiguren. Immer wieder werden die beiden heimgesucht von den wandelnden Leichen derer, die bei der Flucht über das Meer ums Leben kamen. „Bilder können mir nicht schaden“, stöhnt der Protagonist verzweifelt in einer Wahnvorstellung. Ein Trugschluss! Schließlich beweist gerade die Aggressivität, mit der „His House“ seine Schreckensvisionen erscheinen lässt, welch drastische Kraft das Genrekino besitzt, mit derartigen Thematiken umzugehen.
Besonders dann, wenn es so gekonnt visualisiert ist. Wenn es so effektiv abwägt, was im Dunkeln und Undeutlichen verharren muss, um die Nackenhaare aufzustellen. Die Ästhetik der Nacht, die Rauheit der Umgebung, die einfallenden Erinnerungen, all das zeigt Remi Weekes in wirkmächtigen Bildern. Das Kammerspiel weiß er in einem Bewusstseinsstrom aufzubrechen. Zeitebenen und Eindrücke kollidieren, Figuren betreten ihre eigene Vergangenheit und ihr Unterbewusstsein, Räumlichkeiten verwandeln sich in Zwischenwelten. „His House“ vermag in seinen verstörendsten Kippmomenten etwa, eine Küche per Rückwärts-Zoom plötzlich in das offene Meer zu verwandeln, wo die Toten aus dem Nebel waten.
Ergibt einen schaurigen, anspielungsreichen Hybriden aus Geister– und Zombiefilm. Schaurig auch deshalb, weil die wachsende Paranoia der Heimgesuchten eine allzu reale, gescheiterte Migrationspolitik spiegelt. Die Augen, die hier nachts aus den Löchern in den Wänden schauen, sind nicht nur die der Verstorbenen. Es sind auch die strengen Blicke einer Behörden-Macht, die ihr Urteil über den Verbleib der Geflüchteten fällt. Rassismus und Ignoranz der Mitmenschen kommen hinzu. Eine andere Hautfarbe reicht aus, um in einem Geschäft das Misstrauen der Security auf sich zu ziehen, zeigt der Film. Realer Horror bei Tageslicht und die gruseligen Irrlichter der Nacht gehen Hand in Hand.
Gescheiterte Integrationsarbeit
Regisseur Weekes macht seine beiden Hauptfiguren zu Repräsentanten eines Kampfes zwischen Vergangenheit und Gegenwart, altem und neuem Leben, Anpassung und Individualität. Zu Akteuren, die um ihre eigene Geschichte und Persönlichkeit kämpfen, während ihr Umfeld auf fatale Weise Integration mit Einverleiben und Aufgeben der früheren Identität verwechselt.
Der Film hält wie seine Protagonisten diesem Druck kaum stand. Bleibt leider nur der Rückzug in die eigenen vier Wände. Die Erfahrung des Migrationsprozesses ist in „His House“ in erster Linie ein Ringen mit Furcht und Schuldgefühlen. Ein ambitioniertes Vorhaben und eine empathische Stimme in der filmischen Aufarbeitung weltweiter Fluchtbewegungen und Fremdheitserfahrungen. Aber es verharrt schließlich auf einer Seite der Medaille.
Kapitulation vor dem System
Im Umkehrschluss befeuert der Film in seinem dämonischen Kampf zunehmend das bequeme Narrativ, Integrationsarbeit wäre Privatangelegenheit, als würde sie insbesondere an der psychischen Eigentherapie der Betroffenen hängen. Ein Annähern und Miteinander sind erst dann möglich, so suggeriert der Streifen, wenn die Asylsuchenden mit sich selbst, notfalls mit Blutzoll, im Reinen sind. „His House“ ergreift zwar Partei für seine Hauptfiguren, verfällt in seiner Betrachtung jedoch ein Stück weit dem Blick, den er anzuprangern versucht.
Die anfangs formulierte Anklage eines Systems verliert sich zunehmend in murmelnden Stimmen. Nach außen dringen, ausgesprochen werden darf sie in finaler Konsequenz nicht. Sonderlich subversiv ist der Schlusspunkt von „His House“ nicht gewählt. Eher ein erster, irritierender Heilungsversuch der zugefügten Wunden. Eine Siegesfeier des Einzelnen, während man das Versagen einer Gesellschaft als gegeben akzeptiert. Ein Happy-End, wo keines ist. Womöglich liegt darin die größte Tragik dieses Films und seiner Figuren. Dem Systen können sie sich nur fügen. Selbst dann, wenn man sich mit den Geistern des Vergangenen arrangiert hat.
„His House“ ist seit dem 30. Oktober bei Netflix verfügbar.
Bildquelle:
- hishouse: Aidan Monaghan/ Netflix
- hishouse3: Netflix