In Adam McKays Netflix-Satire „Don’t Look Up“ tummeln sich allerhand Stars, während die ganze Welt untergeht. Vielleicht ist es besser so, lautet die Devise dieses Films.
Stellen wir uns einmal vor, wir wüssten, der Welt stünde eine riesige Katastrophe bevor. Nicht einfach nur die Auswirkungen des Klimawandels, die sind schließlich seit Jahrzehnten bekannt. Nein, noch schlimmer: In wenigen Monaten wird alles Leben ausgelöscht. Adam McKay erzählt dieses Szenario bei Netflix. Einer der aktuell größten Zyniker Hollywoods lässt in „Don’t Look Up“ einen Asteroiden auf die Erde rasen, der diese zerstören wird.
Zwei Wissenschaftler, gespielt von Leonardo DiCaprio und Jennifer Lawrence, dürfen die Hiobsbotschaft überbringen, sie haben den Himmelskörper erspäht. Natürlich glaubt ihnen kaum jemand. Die Präsidentin (Meryl Streep als weiblicher Trump) konzentriert sich lieber auf ihren Wahlkampf, in TV-Shows und in der Öffentlichkeit werden die Experten verlacht. Social Media feiert und tobt. Einzelne Versuche, die Katastrophe abzuwenden, scheitern kläglich. Ein Tech-Gigant, eine Karikatur auf Steve Jobs und Co., wittert derweil das große Geschäft: Der Asteroid soll als Rohstoffquelle dienen. Staat und Konzern sind verbrüdert, auch nach dem Weltende soll das Kapital siegen.
Auf das Publikum eindreschen
„Don’t Look Up“ ist eine einzige Shitshow. Dieser Film reihert dem Publikum seinen Weltschmerz entgegen. Er hält ihm nicht einfach nur einen Spiegel vor, sondern drischt damit auf die Schädel ein. Ging es Adam McKay in seinen letzten beiden, herausragenden Satiren „The Big Short“ und „Vice“ noch um konkrete Persönlichkeiten und Strukturen, die er vor das filmische Gericht zerrte, ist in „Don’t Look Up“ offenbar nichts mehr zu retten. Alles und jeder muss sich seine Watsche abholen. Grundlegend erfreulich, dass sich noch jemand traut, so einen Film in dieser Größenordnung zu drehen, wenngleich er über das Ziel hinausschießt.
Wenn wir wirklich so sind, wie in diesem Film gezeigt, dann haben wir unser Ende verdient. Und, Ja, wir sind so. Und sind es doch nicht. Weil sich McKay selbst von seinem apokalyptischen Strudelwerk so verblendet gibt, dass er einem genügend Möglichkeit bietet, seine ebenso treffende wie leere Polemik mit verschränkten Armen vor der Brust abzuwehren. Unendlich viel Potential vergeudet er.
Es gab 2021 bereits einen ähnlichen Abrechnungsfilm: Radu Judes Berlinale-Gewinner „Bad Luck Banging or Loony Porn“, der das Porträt eines gesellschaftlichen Zerfalls, einer orientierungslosen und emotionsüberwältigten Nation zeichnete. Ihm gelang das in einem Film, der sich in drei Teilen immer wieder spielerisch neu zusammensetzte. Der trotz aller Drastik auf clevere Weise verschiedene Formen des Filmischen auslotete, um sich einer Gesellschaftsdiagnose zu nähern. Wut und Zorn können per se legitime, vielleicht sogar notwendige Motoren sein. Bei Adam McKay ist allerdings ein solches erzählerisches und technisches Gespür nicht zu vernehmen. Es fehlt an einem kühlen Kopf und es fehlt der Glaube an Kunst, die in Klecksen und Schmieren mehr als Provokation sieht.
Weltuntergang als Streaming-Content
„Don’t Look Up“ führt allerhand Gegenwärtiges vor: Rechtspopulismus, Wissenschaftsfeindlichkeit, Politikverdrossenheit. Selbst die Helden sind dagegen nicht gefeit. Leonardo DiCaprio als Wissenschaftler Dr. Mindy verkauft seine Seele. Er wird mit seinen Warnungen zum Medienstar. Unsere pandemische Gegenwart erscheint in greifbarer Nähe. Ohnehin sind McKays Überzeichnungen längst in die Realität übergegangen. Er operiert am Zahn der Zeit und hängt doch hinterher, das musste sich auch der Regisseur selbst mittlerweile eingestehen. McKay verstrickt verschiedenste Narrative ineinander, versucht zugleich, diese zu dekonstruieren. Am Ende erzählt er alles und nichts.
Sonderlich erhellend packt „Don’t Look Up“ keines seiner zahllosen Problemfelder an. Darum geht es ihm auch gar nicht. Das ist kein intellektueller Film! Es ist ein höchst unterhaltsamer, auf simpelste Art und Weise, das macht ihn zugleich so manipulativ. Weil es sich um bloße Reize, um Spektakel handelt. Weil seine Artikulation nicht besser ist als die Trottel mit ihren Smartphones, die dämlichen TV-Shows, die er vorführt, der Mob, der weiß, dass etwas schiefläuft, aber lieber laut losbrüllt, anstatt sich mit Fakten und Ideen zu befassen. Da werden keine Zusammenhänge mehr erkundet, es erscheinen nur noch Schlaglichter in einem Gewitter, um von einem noch größeren Gewitter abgeschnitten zu werden.
Das Eingreifen von Netflix ist die logische Konsequenz. Der Streaming-Dienst hatte sich bereits vergangenes Jahr die Rechte an dem Film gesichert. In der Tat scheint „Don’t Look Up“ wie geschaffen für die Netflix-Auswertung, für ein Bingewatching im Dämmerzustand. Vielleicht handelt es sich aber auch bewusst um ein trojanisches Pferd, das weiß man bei McKay nicht so genau. Genie und Stumpfsinn liegen in diesem Film so untrennbar beieinander, dass kaum noch auseinanderzuhalten ist, welche Dummheit beabsichtigt, welche unfreiwillig geschieht.
Zahlreiche Hollywood-Stars
„Don’t Look Up“ macht das Ungenießbare genießbar. Mit einem Schaulaufen an Stars und geschliffenen Dialogen, Amüsement. Neben DiCaprio, Streep und Lawrence sind etwa noch Jonah Hill, Timothée Chalamet und Cate Blanchett dabei. Netflix setzt sich solche Hochkaräter gern auf die Startseite. Die ein oder andere Oscar-Nominierung dürfte folgen. Wenn wir schon in der Gülle hocken, dann wenigstens darüber lachen, davon handelt dieser Film. Dann sollen wir wenigstens noch Adam McKays Komödie ansehen.
Netflix und Verwandte servieren das giftige Popcorn zum Untergang. Welches, das möglichst vage Angehäuftes mit Aktivismus verwechseln lässt. Und McKay spielt leider mit. Er sagt das gesamte Empörungs-ABC auf. Jeder soll und kann hier sein individuelles rotes Tuch wiederfinden. Vielleicht ist ein Film wie „Don’t Look Up“ von einer Fanservice-Duselei wie „Spider-Man: No Way Home“ nicht weit entfernt.
Ihm liegt nichts daran, Lösungen aufzuzeigen oder soziokulturelle Zusammenhänge zu durchleuchten. Alles hat sich in Unterhaltung aufgelöst. Das ist ein Werk, das rein intuitiv geschaut und empfunden werden will. Die Entertainment-Industrie bestätigt sich in ihrer Selbstzerfleischung selbst. Streaming-Kritik als Falle wie auch als profitabler Content. Es ist die unendlich dümmliche Gehässigkeit dieses Film, die einen auf solche Gedanken bringt. McKay legt hier eine künstlerische Bösartigkeit an den Tag, die sich andauernd zu legitimieren versucht, anstatt sie in etwas Produktives zu verwandeln. Oder ist dieses Scheitern nicht doch gerade der Geniestreich von „Don’t Look Up“?
Reines Gefühlskino
Seine apokalyptische Ästhetik kreiert die Satire im Verschwimmen, in der Gleichzeitigkeit all der Themen und Eindrücke. In dieser Hinsicht ist McKays Film tatsächlich passend stilisiert. Auf ein hektisches, schnittreiches erstes Drittel folgen später Montagen, wüste Aufnahmen aus aller Welt, TV- und Internetbilder. Eine Reizüberflutung, die auch ohne Weltuntergang täglich über uns hereinbricht. Die Meta-Spielereien, die man aus McKays vergangenen Filmen kennt, wurden derweil etwas zurückgeschraubt. Obwohl immer noch einzelne Bilder anhalten, mitten in Bewegungen. Natürlich, sie wollen ihre eigenen Memes direkt vorwegnehmen. Zugleich sind das letzte Versuche, etwas zum Festhalten in diesem Mahlstrom zu erhaschen.
Es entsteht ein Gefühlsbrei. Stichworte verdichten sich zu Aggression und bösem Gelächter, letztlich zu einer Leere, weil sie einen Smiley hinter die eigene Drohung setzen. McKays Apokalypse sucht selbst nach dem ultimativen Ende noch nach dem Lächerlichen, Sarkastischen und einer Genugtuung. Der Untergang reicht nicht als Strafe für die Bösen.
Mögen die Standpunkte noch so hehr sein: McKay verlässt sich am Ende allzu sehr darauf, dass die Assoziationen und Empfindungen, die sein Film auslöst, und die Verzweiflung stark genug werden, damit sich irgendetwas in der Welt zum Guten wendet. Was auch immer dieses Irgendetwas sein soll. Mit einem bloßen „Glaubt der Wissenschaft!“ ist das ohnehin nicht getan. Aber Apokalypse bedeutet eben nicht nur Zerstörung und Grauen, sondern auch Offenbarung. Die bleibt McKay schuldig. Er hat sich in diesem Film von dem Irdischen und seinen Krisen insgeheim schon selbst verabschiedet. Aus dem Zyniker ist ein Nihilist geworden. Ihm bleibt nur noch, wie DiCaprios Figur, sich von den Unheilsbildern abzuschotten. Aufzugeben. Den Fernseher abzuschalten.
„Don’t Look Up“ ist seit dem 24. Dezember 2021 bei Netflix zum Streamen verfügbar. Seit dem 9. Dezember läuft der Film parallel in ausgewählten deutschen Kinos.
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Bildquelle:
- DLU-leonardoDiCaprio: Netflix