„Das Hausboot“ bei Netflix: Der Kahn muss sinken

Eine Kritik von Janick Nolting

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Foto: Brian Jakubowski, Netflix

In der neuen Netflix-Serie „Das Hausboot“ renovieren Fynn Kliemann und Olli Schulz das alte Hausboot von Gunter Gabriel. Am Ende bleibt nur eine Frage: Warum sollen wir ihnen dabei zusehen?

Die Streamingdienste haben sich zuletzt nicht gerade mit Ruhm bekleckert, was ihr Programm anbelangt. Netflix quälte etwa mit seinem Corona-Kammerspiel „Malcolm & Marie“, Amazon setzte „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und „Der Prinz aus Zamunda 2“ in den Sand und Disney+ provozierte mit „WandaVision“ einen maßlos überbewerteten Fan-Rummel. Kurzum: Es gab viel Schreckliches zu sehen und auch in dieser Woche gibt es wieder Schreckliches zu sehen.

Jetzt sind es der Heimwerkerkönig Fynn Kliemann und Musiker Olli Schulz, die sich durch das marode Hausboot von Gunter Gabriel werkeln und zoffen, dass der Hamburger Hafen wackelt. Gunter Gabriel, wer war das doch gleich? „Ich weiß nur, dass der coole Sachen gemacht hat. So in Form von Leute motiviert und halt so ein bisschen kreatives Zentrum versucht hat zu erschaffen. Ich glaube, das machen wir auch“, überlegt Fynn Kliemann. Naja, die sagenumwobenen Vorstrafen Gabriels und die Körperverletzung gegen die Freundin ignorieren wir da mal, es geht ja schließlich um das Boot.

Kliemanns neuer Kollege Olli Schulz hatte das Boot nach dem Tod des Schlagersängers 2018 erworben und Tausendsasa Kliemann angeheuert, um es mit einem Team aufzupolieren. Ein großer Berg Arbeit! Herauskommen soll eine schicke Location für alle Kreativen, die einfach mal raus aus dem Alltag wollen. Oder diejenigen, die das Boot für eine Feierlichkeit mieten wollen, Geld muss ja schließlich auch in die Kasse kommen. Und weil der ganze Spaß dafür überhaupt erst einmal Öffentlichkeit braucht, sind die Kameras dabei, anders lässt sich diese schnell vergessene Netflix-Dokuserie vielleicht kaum erklären.

Influencer-TV

„Das Hausboot“ vermittelt im Grunde genommen den Anschein einer vierteiligen Werbeveranstaltung. Für das Boot, für das „Kliemannsland“, selbst Olli Schulz darf sich noch fix beim Podcasten mit Jan Böhmermann filmen lassen. Getarnt ist das alles mit einem hanebüchenen Schweiß-und-Tränen-Narrativ und etwas Buddy-Comedy. Jeder packt mit an, jeder macht sich mal dreckig, alle gehen über die Verzweiflung hinaus, um sich mal so richtig herauszufordern und etwas zu schaffen, das dem Gemeinwohl dienen soll.

Das große Kreativprojekt Kliemanns mit dem Namen „Kliemannsland„, eine Art fiktiver Staat, funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip. Auf einem riesigen Gelände können sich Handwerker, Kreative und Freigeister zusammenfinden, um Erfahrungen auszutauschen, das Leben, Geselligkeit, vielleicht sogar etwas wie die ultimative Freiheit zu genießen. Nun, wer nach solchen Versprechen denkt, ein solcher Ort würde tatsächlich völlig aus bestehenden Strukturen ausbrechen, ist der heilen Influencer-Welt gehörig auf den Leim gegangen.

Sowohl das „Kliemannsland“ als auch sein „Hausboot“-Spin-Off sind in ein beachtliches Marketing- und Geschäftsmodell aus Gründen, Investieren und Inszenieren eingebunden, das insbesondere auch von einer Anwesenheit von Kameras lebt. Eine Utopie, deren Weg als eigentliches Ziel populär und zu Geld wird. Einen Riss hatte diese Utopie bereits spätestens im letzten Jahr erhalten, als es um das Thema der unbezahlten Arbeit im Kliemannsland ging. Ein Shitstorm war die Folge.

Auf YouTube besser aufgehoben

„Das Hausboot“ fügt sich ein in eine Reihe an Kliemanns-Formaten, die zu einem erheblichen Teil als moderene Sisyphos-Arbeiten begriffen werden können. Eigentlich eine ganz wunderbare Metapher! Immer mehr Schrott erwerben, besorgen und anhäufen, irgendetwas wird man damit schon basteln können. Ein eigenes absurdes Universum, das in seinem Nonsens immer weiter wächst und vielmehr die Arbeit an sich als deren eigentlichen Nutzen als Attraktion und Lebensinhalt begreift. Albert Camus hätte mit Fynn Kliemanns Welt wahrscheinlich so einiges zu erforschen.

Man muss das nicht per se verteufeln, ebenso wenig lässt sich behaupten, es würden sich nicht auch lobenswerte Projekte in diesem Mikrokosmos aus Netz-Shows, Musikproduktionen, Basteleien, Events und Seminaren finden lassen. Da gibt es in der Influencer-Kultur weitaus schlimmere Abgründe zu entdecken. Ebenso wenig kann man es Menschen jedoch verübeln, die sich darüber ereifern, wie Kliemann gerne eine Art American-Dream-Attitüde anpreist. Kritik daran wird als Neid abstempelt. Das Märchen vom guten Lohn für harte Arbeit, da ist es wieder. Es wird auch mit „Das Hausboot“ befeuert, und wenn der Lohn in einer netten Umarmung besteht.

Das Digitale im Bauschutt

Angreifbar macht sich besagter Mikrokosmos bereits, wenn dabei schlichtweg so unnötig aufgeblasenes Fernsehen wie „Das Hausboot“ herauskommt, dem gerade erzählerisch der anarchische Geist der Netzvideos fehlt. Als langes YouTube-Video wäre das verkraftbar, als über zweistündiges Netflix-Format fühlt man sich veräppelt. Die Serie baut immer wieder Social-Media-Inhalte in seine Ästhetik ein. Generell ist der Medienrummel interessanter als der Bauprozess selbst.

„Das Hausboot“ ist vor allem ödes Renovierungs-TV, das Produktivität und Gemeinwohl feiert, aber im Kern um die eigene Selbstdarstellung kreist. Mittendrin zwei durchaus charismatische erwachsene Männer, Entertainment-Profis, die sich gerne mal wie kleine bockige Jungs benehmen und Späße und Gezänk vor der Kamera austragen. Sei es nun gespielt oder nicht, es ist ohnehin egal. Zwei wandelnde Running-Gags, personifizierter Fanservice, der ohnehin nur diejenigen adressiert, die ihnen bereits zujubeln. Dass die beiden und nicht ihr Arbeiter-Team permanent im Zentrum der Kameras stehen, erzählt viel. Die anderen machen das schon irgendwie, da geht alles (trotz einzelner Hürden) seinen Gang, es ist schließlich für den guten Zweck. Da nimmt man auch in Kauf, wenn Kliemann und Schulz mal nerven. Wer hier aber am Ende eigentlich profitiert, dürfte klar sein.

Ein ewiger Peter Pan

Das wird dann interessant, wenn die beiden Bauherren etwa überlegen, welche Berufsbezeichnung man für sich eigentlich wählt. Olli Schulz mag den Nagel auf den Kopf treffen, wenn er Fynn Kliemann sinngemäß als ewigen Peter Pan bezeichet, der aber im Kern vielleicht doch nur ein geschickter Werbe-Experte ist. Er selbst begibt sich in diese Maschinerie mit hinein.

Gegen das Renovieren des Boots ist nicht sofort etwas einzuwenden, aber dagegen, es zum vierteiligen Kunstwerk hochzustilisieren. Wenn Streamingdienste weiterhin nach solchen Stoffen greiften, dürften bald also wieder Formate ihre Rückkehr feiern, die Menschen einfach beobachten, wie sie ein Haus bauen. Man munkelt, dabei streitet sich ab und an sogar mal jemand! Früher hat das Tine Wittler moderiert, heute machen das Influencer wie Fynn Kliemann.

Berechenbarer Erfolg

Prominente Gesichter und Namen hochhalten, sie in eher unfilmischer Banalität in Szene setzen, das Publikum möglichst lange an den Bildschirm fesseln, sie vielleicht, wie in diesem Fall, lediglich mit etwas Versöhnungskitsch und „ehrlicher, harter Arbeit“ beglücken – das ist symptomatisch. Ob das nun die Künstlerkrise in einem Spielfilm wie „Malcolm & Marie“ oder der heruntergekommene Kahn von Gunter Gabriel ist, es spielt schon kaum eine Rolle mehr, worum es überhaupt geht.

Hinter der nächsten Ecke wartet ja bereits die nächste Gerümpelkammer, aus der sich Gold machen lässt. Oder anders gesagt: Netflix verwandelt sich damit schleichend selbst in so eine Gerümpelkammer. Einfach jeden Stoff durchwinken, irgendjemand wird es schon anschauen. Tatsächlich: Schon nach einem Tag hat es „Das Hausboot“ in die Top 10 bei Netflix geschafft.

Die Rückkehr des Batman

Am Ende ist das ein überlanges Making-Of-Video für Fans, in dem es kaum noch etwas zu enthüllen gibt, das man zum Frühstück nebenbei laufen lässt. Keine Serie, die (abseits ihrer Strukturen) irgendetwas Erhellendes im positiven Sinne zeigen oder erzählen würde. In so viel künstlichem Motivations-Fernsehen wäre es ja noch spannender gewesen, wenn das Projekt tatsächlich gescheitert wäre, wie es zwischendurch scheint. Die Geschichte vom Sisyphos ist schließlich auch nur so lange interessant, wie der Stein den Berg immer wieder hinabrollt. Aber was ist eigentlich, wenn er tatsächlich oben ankommt?

Gegen Ende findet auf dem Hausboot eine Musik-Session statt. Fynn Kliemann sitzt mit einer Batman-Maske am Keyboard. Ein interessantes Bild! So wie Batman als reicher Mann auf Verbrecherjagd geht und sich für die Bedrohten einsetzt, um letztlich doch nur den gesellschaftlichen Status quo zu festigen, ist es im „Hausboot“ nicht anders. Gefeiert wird die Arbeit der „kleinen Leute“, der Freigeister, die all das in erster Linie deshalb tun müssen, um das selbst inszenierte Video-Universum am Leben zu halten.

„Das Hausboot“ ist seit dem 9. März bei Netflix zum Streamen verfügbar.

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