Florian Henckel von Donnersmarck füllt die Kinoleinwand mit einem so bildgewaltigen, wie unterhaltsamen, wie meist klugen Panorama. Unterstützung erfährt er dabei von einer ganzen Riege namhafter deutscher Schauspieler.
Der Oscar für „Das Leben der Anderen“ zählt zu den großen Erfolgen des deutschen Kinos. Die goldene Trophäe ging 2007 an das Stasi-Drama von Florian Henckel von Donnersmarck, seinem ersten abendfüllenden Spielfilm. Lange elf Jahre ist das her – nun bringt Donnersmarck seinen erst dritten Spielfilm in die Kinos (2010 gab’s den Thriller „The Tourist“ mit Johnny Depp und Angelina Jolie). Für „Werk ohne Autor“ ließ sich der 45-jährige Regisseur nun von wahren Ereignissen inspirieren. So ist die Hauptfigur des Kurt Barnert angelehnt ans Leben einer deutschen Künstlerikone: Gerhard Richter. Gespielt wird er von Tom Schilling.
Barnert (Schilling) wächst im Dresden der Nazi-Zeit auf. Er lernt schnell die Kunst lieben, die eigene Begabung schätzen. In der DDR darf er sein Tun an der Kunstakademie verfeinern, Propagandabilder fürs System malen. Mit seiner großen Liebe aber (Paula Beer), der er während des Studiums begegnet, geht Barnert in den Westen, um an der, jüngst von unterschiedlichsten Nachkriegsströmungen vitalisierten Düsseldorfer Kunstakademie weiter zu üben.
En passant erzählt Donnersmarck davon, wie Barnert sukzessive herausfinden muss, dass ausgerechnet sein Schwiegervater (Sebastian Koch) als Arzt am Euthanasieprogrammen der Nazis beteiligt war und mitverantwortlich ist für die Ermordung von Kurts geliebter Tante (Saskia Rosendahl). In Düsseldorf gelingt es Barnert nicht nur, sich in der kunstaffinen Öffentlichkeit der BRD zu etablieren; über die Malerei vermag er schließlich auch, sich auf die Traumata in seiner Vita einen Reim zu machen.
Donnersmarck schart eine beachtliche Zahl von, sowohl lang etablierten als auch jüngst zu Bekanntheit gelangten deutschen Darstellern um sich: Von dem so bewegend wie über weite Strecken zurückhaltend agierenden Tom Schilling bis zu Sebastian Koch, dessen chamäleonartige Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit ans jeweils vorherrschende Polit-System frösteln macht. Müsste man sich festlegen, wäre es Kochs Performance, die am meisten nachklingt – eine Performance, von im deutschen Kino selten erlebter Eindringlich- und Unheimlichkeit.
Erinnerungswürdig auch die kürzeren Auftritte, die rund um das Gravitationszentrum des Films, das Duo Schilling-Koch, passieren: Rosendahls enigmatische Darstellung, Ben Beckers Moment als DDR-Vorarbeiter, Oliver Masucci als Beuys-Imitat, der Film-Einstieg mit Lars Eidinger als Ausstellungsführer im Dresden von ’37. Es sind Momente wie dieser – vor einem Kandinsky spricht Eidinger über „entartete Kunst“, erklärt dem kleinen Kurt: „Das kannst du auch!“ – in denen Donnersmarck sein Gespür für so gefälliges wie intelligentes Kino ausspielt.
Es drängt sich die Frage auf: Warum nennt er sie nicht beim Namen? Warum darf der von Schilling verkörperte Gerhard Richter im Kino nicht so genannt werden? Warum heißt Beuys hier anders? In Interviews hat er erklärt, dies sei kein biografisches Werk. Stattdessen geht es ihm wohl um das filmische Porträt eines Landes, das im 20. Jahrhundert manch Systemwechsel erlebte. Sieht man von politischen und historischen Implikationen ab (was angesichts der ernsten Themen nicht leicht fällt), ist „Werk ohne Autor“ ein, von Caleb Deschanel famos fotografierter Film.
Manch Szene jedoch mutet mehr wie ein Filmzitat als wie echtes Leben an: Barnert, wie er, nach einem Schäferstündchen mit der Gattin in spe, per Fenstersprung im Nadelbaum entschwindet. Immer wieder sind es Liebesszenen, die wie Gemälde oder Werbe-, weniger wie Filmbilder anmuten. Hier schießt Donnersmarck übers Ziel hinaus; in seinen toll komponierten, feinen Sinn für Bildgestaltung unter Beweis stellenden Tableaus aber kann man sich auch verlieren.
„Werk ohne Autor“ ist ein (im besten Sinn) größenwahnsinniger Film. Wann zuletzt hat ein deutscher Regisseur von Rang einen 188-Minüter lanciert? Wann war zuletzt ein hiesiger Film derart angefüllt mit Schauwerten und Bildern wie man sie aus goldenen Hollywood-Zeiten kennt? Donnersmarck spannt einen Erzählbogen vom Dritten Reich über die DDR bis in die BRD. Über diesen Bogen lässt er nicht nur Tom Schilling von System zu System wandern, sondern auch dessen, von Sebastian Koch so eindrucksvoll entworfene Antithese. Viel Erzählstoff, selbst für drei Stunden. Und sicher manchem Kinobesucher zu ambitioniert, überladen. Doch ist es bewundernswert, dass sich ein Regisseur herantraut an ein solches Projekt. Vielleicht lässt sich auch das Wunder von 2007 wiederholen. Ausgewählt als deutscher Beitrag für die Oscars 2019 ist der Film bereits.
[Matthias von Viereck]
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