Wann wird auf der Welt welche Musik gehört?

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Bild: © Romolo Tavani - Fotolia.com
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Fernöstliche Musikfans ziehen aus der Ruhe ihre Kraft, Südamerikaner hingegen verlangt es nach aufregenden Rhythmen. Das zeigt eine Spotify-Analyse. Ein Anzeichen für schieres Glück im Land sei die Vorliebe für Salsa aber nicht, gibt ein Experte zu bedenken.

Emotionen und Musik gehören zusammen: Man denke an schrille Geigenklänge, die gruselige Horrorfilmszenen einläuten. Oder die zuckrigen Töne, die einen romantischen Film untermalen. Doch beeinflussen Lieder unsere Gefühle? Oder suchen wir Musik aus, die zu unserer Stimmung passt? Eine Studie der US-amerikanischen Cornell Universität liefert Hinweise.

Die Forscher untersuchten Millionen Online-Streams der Musik-Plattform Spotify weltweit, um stündliche, tägliche und saisonale Muster ausfindig zu machen. Wie sie im Fachmagazin „Nature Human Behaviour“ berichten, wird über Kultur- und Ländergrenzen hinweg am Abend eher entspannende Musik gehört, während tagsüber energiegeladenere Stücke bevorzugt werden.
 
Doch es gab auch deutliche regionale Unterschiede. So wählten Menschen in Asien eher entspannende Musik, Hörer in Lateinamerika hingegen mehrheitlich anregende Stücke. Insgesamt wertete das Team um den Sozialwissenschaftler Minsu Park von der Cornell Universität 765 Millionen Musikstücke aus, die von fast einer Million Menschen aus 51 Ländern auf der Plattform „Spotify“ gestreamt wurden.
 
Schon länger steht das Verhältnis von Musik und Stimmungslage im Fokus verschiedener Disziplinen. So interessieren sich Neurowissenschaftler dafür, was im Gehirn passiert, wenn wir Musik hören, während Psychologen die Auswirkungen bestimmter musikalischer Genres auf unsere Emotionen untersuchen. Dabei ergaben Studien, dass Stimmungsregulation tatsächlich ein wichtiger Motivator für uns ist, Musik zu hören – und zwar solche, die zur jeweiligen Laune passt.
 
Andere Untersuchungen legten nahe, dass sich bestimmte Songs stimulierend auf das Selbstbewusstsein auswirken. Und weitere Studien ergaben, dass speziell die Musik unserer Jugend prägend für uns ist und wir uns besonders gut an sie erinnern. Trotz dieser Ansätze bleibt allerdings unklar, wie die Interaktion zwischen Musik und Gemüt genau funktioniert und ob die gefundenen Zusammenhänge global gelten.
 
Die Forscher um Minsu Park machten sich nun die riesige Datenmenge der Plattform „Spotify“ zunutze – statt etwa Musikvorlieben anhand von Social-Media-Inhalten zu analysieren. „Musikhören unterscheidet sich insofern davon, was Menschen schreiben, als dass es nicht nur Einblicke dazu gibt, was Menschen fühlen könnten, sondern auch, was sie vielleicht fühlen wollen“, notieren die Autoren dazu.
 
Gunter Kreutz lobt das Vorgehen der Forscher: „Die Studie ist ziemlich einzigartig, weil sehr effiziente Methoden benötigt werden, um mit den riesigen Datenmengen umzugehen“, sagt der Musikwissenschaftler der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, der selbst nicht an der Analyse beteiligt war. Ein Randaspekt: Dass dabei plausible Ergebnisse entstünden, spreche auch dafür, dass die Datensammlungen von Konzernen und Geheimdiensten über das menschliche Verhalten in vielen Ländern ein recht gutes Bild ermöglichen.
 
Generell hören der Analyse zufolge vor allem jüngere Menschen intensivere Musik – ein Befund, der Gunter Kreutz nicht überrascht. Neu ist für ihn vielmehr die Möglichkeit, „kontinentale Befindlichkeiten“ abzubilden: „Es entspricht dem Stereotyp, dass die fernöstliche Philosophie aus der Ruhe ihre Kraft bezieht. Ganz anders in Südamerika, wo offenbar das Lebensgefühl der Menschen mehr nach aufregenden Rhythmen verlangt.“
 
Dass sich die unterschiedlichen Vorlieben mit der Zeit angleichen werden, glaubt der Musikwissenschaftler nicht. „Menschen halten an ihren Geschmäckern fest.“ Vielmehr seien über die Jahre vermutlich Kohorteneffekte zu sehen: „In ein paar Jahrzehnten werden sich die Präferenzen zwischen den Altersgruppen verschoben haben.“
 
Alles in allem kann allerdings auch die aktuelle Studie nicht beantworten, ob Musik unsere Emotionen beeinflusst oder wir Musik auswählen, die zu unserer Gemütslage passt – wahrscheinlich sei ein Wechselspiel beider Ansätze, so die Autoren. Eine andere Schwäche der Analyse ist demnach, dass nur die Daten von Menschen ausgewertet wurden, die Spotify nutzen – eine Kritik, die auch Gunter Kreutz anbringt: „Bislang müssen die Nutzer ja über ein Minimum an Wohlstand verfügen, um sich Spotify leisten zu können.“
 
Der Musikwissenschaftler warnt zudem davor, die Ergebnisse zu pauschalisieren: „Musikhören ist ein Indikator für die menschlichen Bedürfnisse nach Regulation ihrer Stimmungen. Es ist schwer, daraus zu schließen, was in der Umwelt jeweils vor sich geht und wie sich die Menschen eigentlich fühlen.“ So sei es einseitig, die energetische Musik in Südamerika als Lebensfreude zu deuten. „Denn die Lebensverhältnisse in weiten Teilen der Bevölkerungen geben eigentlich wenig Anlass dazu, Salsa zu tanzen.“ Die entscheidende Probe für das vorgestellte Verfahren werde es sein, sozioökonomische Daten mit in die Analyse einfließen zu lassen. [Alice Lanzke]

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