Die „Eternals“ sollen frischen Wind in das Marvel-Universum bringen. Letztendlich fällt eine ermüdende Filmreihe in sich zusammen – und das Werk einer zuvor vielversprechenden Regisseurin gleich mit.
„Eternals“ erweist sich als Sackgasse. Mit dem 26. Film wird umso deutlicher, wie sehr das Marvel Cinematic Universe in einer erzählerischen Krise steckt. Wo sonst meist Wohlwollen und Diplomatie an die Öffentlichkeit dringen, fielen selbst die ersten internationalen Reaktionen auf dieses neueste Werk durchwachsener denn je aus. Zu Recht, muss man sagen – „Eternals“ ist ein ratlos zurücklassender Film, der repräsentativ dafür steht, was in Marvels Superheldenstreifen zuletzt schiefgelaufen ist.
Mit „Avengers: Endgame“ hat sich 2019 eine Tür geschlossen. Die endlos aufgeblähte „Infinity Saga“ um Captain America, Iron Man und Co. war vorerst auserzählt. Man konnte diesem ebenfalls wenig überzeugenden, aber doch einigermaßen imposanten „Endgame“ immerhin zugutehalten, wie es ihm gelang, eine Vielzahl an Filmen, Figuren und Fäden irgendwie zu einem Gefühl von Abschluss zu bringen. Danach folgte das Vakuum.
Marvel steigt in die vierte Phase ein
„Black Widow“, „Shang-Chi“ und „Eternals“ treffen zu Beginn der vierten Marvel-Phase im Gefängnis der ikonischen Vorgängerfilme aufeinander. Hängend zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ringend um Persönlichkeit und Akzeptanz, während ihre unausweichliche Verflechtung mit den ungleich populäreren und beliebteren, schon etablierten Figuren des Marvel-Universums bereits bevorsteht. Staffelübergaben erweisen sich lediglich als ein Verkleben von Persönlichkeiten. Fremde sollen von jetzt auf gleich Fußstapfen füllen, deren Urheber noch nicht in der Ferne verschwunden sind.
Im Streming probierte man indes erzählerische Experimente mit zusätzlichen Ablegern wie „Loki“ und „WandaVision“, deren Metaebenen und Aufbrüche vor allem um die Legitimation der eigenen Studiopolitik kreisen, die doch nicht aus ihrer alten Haut kann. „Eternals“ scheitert nun an beiden Punkten: Sowohl am Experiment als auch am Vorstellen würdiger Nachfolgefiguren.
Völlig überladenes Figurenensemble
Es ist wahrscheinlich töricht, überhaupt anzunehmen, man könne die neun neuen Figuren – oder waren es zehn, elf? – in einem Film als lebendige Charaktere etablieren. Am Ende kann man den Großteil von ihnen (unter anderem Angelina Jolie, Salma Hayek und Richard Madden) vielleicht noch anhand der Farbe ihrer Rüstung auseinanderhalten. Wobei, auch da gibt es leichte Überlappungen. Schlussendlich tauchen bereits die nächsten wundersamen Gestalten auf, bevor man erste Bande mit den Neuen knüpfen konnte.
„Eternals“ führt die absurde Logik dieser Filme vor, die inzwischen eher einer kafkaesken Bürokratie ähneln. Immer gibt es irgendwo noch eine weitere geheime Organisation, die plötzlich auf den Plan gerufen wird. Immer gibt es noch mächtigere Strippenzieher, die aus dem Dunkel treten. Überall lässt sich noch ein verborgenes Artefakt finden, das die nächste Origin-Geschichte anstößt. Und überall und jederzeit kann sich plötzlich ein Portal öffnen, das weitere Brücken zu anderen Welten öffnet, deren Verwalter mit ihren ganz eigenen Plänen in Erscheinung treten. In „Eternals“ sorgt das nunmehr für Augenrollen.
Das Schicksal der Menschheit als Bedeutungslosigkeit
Es gibt selbst unter den jüngeren Marvel-Filmen wenige Vertreter, in denen es um weniger ging als in „Eternals“. Das erscheint umso paradoxer, wenn man bedenkt, dass Chloé Zhaos Ensemblefilm so unersättlich ins Überdimensionale, Existenzielle und Überzeitliche strebt. Während es auch bei Marvel früher noch um ein Zusammenspiel zwischen Mensch, Gottheit und Superheld ging, hat sich die Menschheit in „Eternals“ als Handlungsträger quasi verflüchtigt und mit ihr eine ernstzunehmende Fallhöhe.
Sie erscheint noch beim Plausch auf der Veranda als abstrakter Gesprächsstoff, über den man verfügen kann wie über eine kleine Fliege, die man am Flügel zwischen zwei Fingern hält. Marvels neuester Film müsste eigentlich gar nicht mehr auf der Erde stattfinden, alles Gesellschaftliche verbannt er ohnehin nur in Staffage und Kulissen, die man als Puppenspieler betritt.
Bereits eine einführende Texttafel eröffnet mit „In the beginning…“, während es bedrohlich aus dem Äther grummelt – „Eternals“ spannt damit einen biblisch anmutenden Bogen, der von der Entstehung des Universums bis in die Gegenwart reicht. Die Eternals, außerirdische, göttliche Wesen, fungieren als Wächter der Erde, während sie gegen die bösen Deviant-Kreaturen kämpfen. Über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg beobachten sie, zu welch Grausamkeiten die Menschen fähig sind, während ihr Kodex ein Eingreifen verbietet. Langsam muss ein Urteil gefällt werden, ob die Menschheit untergehen oder noch eine Chance erhalten soll.
Götter als Menschen
Nun sind sie da, die Eternals, und sie sind nicht mehr aus dem Universum zu schaffen. Noch übermächtiger als die Avengers, um notfalls über unser aller Schicksal zu entscheiden. Das Kinopublikum soll den Göttern dabei auf Augenhöhe begegnen. Schließlich verhalten auch sie sich nur allzu human, sind verwundbar, kaufen Möbel bei IKEA, ringen mit ihren Befindlichkeiten, sehnen sich nach Harmonie und – natürlich – Familie.
Erzählt wird damit alles und nichts. Das Verhandeln von Macht und Verantwortung der Göttlichen formiert sich zu reinstem Weltschmerz-Geplänkel. Eroberungskriege oder Atombombe müssen als Stichworte reichen, um zur entleerten Auseinandersetzung mit dem ominösen Bösen zu gelangen, zu einer Suche nach der Conditio humana, die nur noch in Extremen begriffen wird.
Chloé Zhao, 2021 mit dem Oscar ausgezeichnet, war einmal eine interessante Regisseurin, die sich mit Ausgestoßenen befasst hat. Mit Milieus zwischen Vergänglichkeit und stiller Revolte, mit durchaus interessanten Identitätsfragen in den Western-Abgesängen „Songs My Brothers Taught Me“ und „The Rider“. Oder mit kapitalistischen Kehrseiten in ihrem Oscar-Gewinner „Nomadland“, auch wenn dieser haarscharf an der Grenze zu Verklärung und Naturkitsch arbeitete. In „Eternals“ ist von Zhaos Ambitionen als sozialpolitische Beobachterin kaum noch etwas zu spüren, das ist ein einschneidender Tiefpunkt, auch wenn es unter der Fantasy-Kostümierung menschelt und grübelt, was das Zeug hält.
Eigene visuelle Note
Dieser Superheldenfilm sieht tatsächlich anders aus als seine Vorgänger aus dem MCU, findet zum Teil subjektivere, wuchtigere Bilder. Das ist zumindest mal wieder einer, der eine künstlerische Handschrift erkennen lässt, wenngleich auch sie sich starren Konventionen fügen muss. „Eternals“ will weg von allzu bunter Videospiel-Action hin zum Drama, zum Düsteren, auch visuell. Allein das Raumschiff der Eternals erscheint etwa nicht als schwebendes Spielzeug-Vehikel, wie man es aus anderen Genrevertretern kennt, sondern es schält sich als brutalistischer Steinklotz aus dem Himmel über der kargen Landschaft, als stamme er direkt aus Denis Villeneuves „Dune“-Verfilmung.
Aus solch bräunlich-gräulichen Elementaraufnahmen spricht in erster Linie das Naturalisierte dieser Superhelden-Universen. Der Gedanke einer regenerativen Natur spielt da eine prominente Rolle – das hat Zhao offensichtlich von ihrem ausgewiesenen Vorbild, dem Regisseur Terrence Malick („The Tree of Life“), entlehnt. In sie fügen sich die Marvel-Helden ein, in deren Hierarchie die Menschen unten stehen. Mit den göttlichen „Eternals“ rückt Hollywood wieder eine Stufe weiter in der herbeifantasierten totalen gesellschaftlichen Determinierung.
Während auf Handlungsebene über die Rolle von Superhelden schwadroniert wird, sind diese längst als Strippenzieher im Universum, als immanenter Teil des Lebenskreislaufs ausgewiesen, der schon immer da war und – schlimmer noch – immer sein wird, Ja, muss. Das Publikum soll sich in den Verfehlungen dieser Wächter erkennen. Umso leichter fällt das Zurücklehnen, das Abgeben der Verantwortung an jene Übermenschen für eine Beurteilung alles Politischen, dessen Zusammenhänge auch aus Chloé Zhaos Film längst verschwunden sind. Die Furcht vor einem strafenden Gott; im Jahr 2021 zelebriert man sie wieder im Kinosaal.
Was soll danach noch kommen?
Das globale Erzählen dieses Films, das sich auch in der oft besprochenen Diversität der Besetzung und Schauplätze widerspiegelt, zementiert vor allem eine universelle Ohnmacht. Gefochten wird nach einem kurzen Ausflug in die Stadt besonders in archaischen Landschaften, im Urzeitlichen. Wo bei den Avengers bereits in größtmöglichen Ausmaßen das Universum gerettet werden musste, stößt „Eternals“ an eine vorläufige Grenze.
Die Gnadenfrist, die man uns im Kampf um Selbstbestimmung und Besserung gewährt, muss sich längst einer noch größeren Macht unterordnen. Alle Enden offen. Wäre dieses Spektakel tatsächlich ein Anstoß für neue Erzählweisen innerhalb des MCU, würde es das Kleine, Intime suchen, was unter dem Joch der enormen Figurenzahl und des zu bedienenden Comicstoffs nicht möglich scheint. Nicht das ausschließlich Private, Heimische, aber klar Umrissene und Abgesteckte!
Was soll noch Vorstellbares auf einen solchen Ausflug ins Kosmische folgen? Höchstens ein Kampf gegen das verschlingende Nichts, gegen Raum und Zeit selbst. Das Böse erscheint inzwischen als dröhnender, überlebensgroßer Koloss, der sich am Horizont aus dem All erhebt und anscheinend alles Irdische mit den Händen zu zerquetschen vermag. Nach „Eternals“ kann im Marvel-Universum die nächste Steigerung wohl nur darin bestehen, Felsbrocken, Wasser und Feuer beim Aufeinanderprallen zuzusehen.
„Eternals“ läuft ab dem 3. November 2021 in den deutschen Kinos.
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Bildquelle:
- eternals: The Walt Disney Company Germany
- richardmadden: Walt Disney Company Germany