„Tides“ und „Ich bin dein Mensch“: Endlich deutsches Genrekino?

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Foto: Gordon Timpen/ BerghausWöbke Filmproduktion GmbH

Vom Endzeit-Thriller zur Roboter-Romanze: Mit „Tides“ und „Ich bin dein Mensch“ erscheinen zwei ungewöhnliche deutsche Filme. Bei der 71. Berlinale feiern beide ihre Weltpremiere.

Endlich, werden sich einige denken. Endlich mal wieder deutsches Genrekino. Dieser Wunsch nach deutschen Ausflügen in das Sci-Fi-, Horror-, Fantasy- oder auch Thrillergenre ist immer wieder zu vernehmen. Da steht im Kern meistens gar nicht mal der Wunsch nach interessanter Filmkunst im Vordergrund, sondern in erster Linie einer nach Abwechslung.

Von seinem bloßen Historienfilm- und Familienkomödien-Image kann sich der deutsche Film nach wie vor kaum befreien. Das mag auf einen großen Teil des kommerziellen Mainstreamkinos auch zutreffen, taugt dennoch nicht als Verallgemeinerung. Noch unangenehmer wird es, wenn dann eine latente Deutschtümelei in diesem Flehen nach Genrekino mitschwingt. Ein Wunsch, die Filmkultur seines Landes mehr auf dem internationalen Parkett mitspielen zu lassen.

Überhaupt, was meint Genrekino? Eines, das sich vielleicht durch besonders deutliche Form der Fiktionalisierung auszeichnet, das sich bestimmten Formeln unterwirft. Ohne Formeln kein Genre. Der beste deutsche Film der vergangenen Jahre, Maren Ades „Toni Erdmann“, hatte das bekanntlich nicht nötig und tanzte dennoch aus der Reihe, bot dieses Neue und Ungewohnte, obwohl man ihn keinesfalls als Genrefilm bezeichnen würde. Zu diesem Begriff passen eher Vertreter wie „Der Nachtmahr“, die ARD-Produktion „Exit“ oder jüngst der Horrorfilm „Schlaf„.

Endzeit auf dem blauen Planeten

„Tides“, produziert von Roland Emmerich, reiht sich nun in letztere Filme ein, wenn auch mit weniger Schlagkraft. Die deutsch-schweizerische Produktion ist derzeit als Berlinale-Special zu sehen und wird im Laufe des Jahres dann auch dem Publikum präsentiert. Tim Fehlbaum („Hell“), einer jener deutschen Genrefilmer, entwirft ein postapokalyptisches Szenario mit Schauwerten, die man, zugegeben, im deutschen Kino selten zu Gesicht bekommt.

Die Erde ist verwüstet, eine gigantische Flut hat alle Lebensgrundlagen vernichtet. Nur noch wenige Menschen durchstreifen das Ödland, um während der Ebbe-Perioden nach Nahrung Ausschau zu halten. Eine Astronautin (Nora Arnezeder) stürzt nun in dieses Horrorszenario vom Himmel herab und muss selbst um ihr Leben kämpfen.

Große Schauwerte

Womit „Tides“ besticht, ist das Wühlen im Dreck, die Unerbittlichkeit seiner zerstörten Welt, in der sich der Morast selbst über die Kamera zu ergießen scheint. Inszeniert hat man das mit großem Aufwand und Produktionswert und mit internationalen Stars wie Iain Glen („Game of Thrones“). Ein Film für die große Leinwand, sofern das bald mal wieder möglich wird. Und doch muss man fragen: Soll das nun wirklich das Außergewöhnliche sein, das man dem deutschen Kino wünscht? Letztendlich fehlt es „Tides“ an eigener DNA, an einem neuen, interessanten Stoff. Endzeit, Flutkatastrophe, Überlebende mit Augenklappen und zerfetzten Kleider, ein Kampf aller gegen alle, Verschwörungen, Machtmissbrauch, eine Revolution, die inmitten der Apokalypse für einen Neubeginn aufbegehrt: Man hat das alles schon hundertfach gesehen.

Dass ein deutscher Kinofilm nach Hollywood aussieht, ist schön und gut für die Branche. So mancher Sci-Fi-Fan mag sich vielleicht ebenso darüber freuen. Viel erfrischender wäre es jedoch, solche Klischees, Bilder und Gestaltungsmittel nicht nur mit dem nötigen Budget zu reproduzieren, sondern sie mit eigenen Gedanken, mit frischem Leben zu formen und weiterzudenken. Und hier kommt in gewisser Weise Maria Schraders „Ich bin dein Mensch“ ins Spiel, der bei der Berlinale im Wettbewerb läuft.

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Im Bett mit einem Roboter

Der neue Kinofilm von Maria Schrader, der mit der Netflix-Serie „Unorthodox“ ein großer internationaler Erfolg gelang, ist so ein lobenswertes Beispiel. Maren Eggert spielt in der Literaturadaption eine Wissenschaftlerin in Berlin, die einen humanoiden Roboter (Dan Stevens) testen soll, der quasi als Ersatz-Ehemann an ihrer Seite lebt. Okay, auch dieser Plot ist bekannt. Man ahnt bereits nach kurzer Zeit, auf welche Fragen dieser Film zusteuert. Zumal die Dialoge hier und da immer wieder mit etwas zu viel Pathos aufwarten, viele Dinge unnötig explizit ausgesprochen werden.

„Ich bin dein Mensch“ ist weit von einem Meisterwerk entfernt. Und doch ist Schraders Roboter-Romanze ein Film, der mit seinem selbstironischen Humor und der Leichtigkeit seiner Inszenierung angenehm überrascht. Man kennt solche Geschichten, in denen der Roboter irgendwann die Oberhand gewinnt, die Menschen nach seinen Belieben manipuliert und alles vermeintlich „echte“ Leben verdrängt. Aber nein, Maria Schrader verweigert sich, ihr Drama in bloßen Horror abgleiten zu lassen.

Existenzialismus statt Horror

Stattdessen entscheidet sie sich für ein unaufgeregtes, etwas zielloses, aber dennoch treffsicheres Sinnieren, gestaltet aus dem Sci-Fi-Szenario ein gegenwärtiges Großstadtstück über Emanzipation, Erfüllung, generell der Begegnung mit dem Anderen. Man stelle sich einmal vor, der Roboter wäre schlichtweg eine menschliche Arbeitskraft, ein Mann aus Fleisch und Blut. Schraders Fremdheitsstudie würde auf ähnliche Weise funktionieren.

Das eigentliche Drama entfaltet sich in der Erkenntnis, dass der Mensch doch ohnmächtig gegenüber seinen Sehnsüchten ist und in dem Anderen immer nur sich selbst erkennt, nicht aber dessen eigene Gefühlswelt. Diesen Graben zu überwinden, davon erzählt „Ich bin ein Mensch“ auf seine ganz eigenwillige, tragikomische Weise. Mehr davon!

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„Tides“ und „Ich bin dein Mensch“ laufen im Programm der 71. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Ein regulärer Kinostart ist noch nicht offiziell bestätigt.

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