Pablo Larraíns ungewöhnliche Filmbiographie „Spencer“ zeigt drei schicksalshafte Tage aus dem Leben von Prinzessin Diana, umwerfend gespielt von Kristen Stewart. Jetzt startet der Oscar-Anwärter in den Kinos.
„Spencer“ ist der bislang bemerkenswerteste Film, der über das Leben von Lady Di gedreht wurde. Wie nicht anders zu erwarten, hat Regisseur Pablo Larraín ein Biopic geschaffen, das sich von sonst üblichem Abklappern einzelner Lebensstationen distanziert. Ihn interessiert die Verdichtung, die Momentaufnahme, anhand derer sich Großes abzeichnet.
Mit der ehemaligen First Lady Jacqueline „Jackie“ Kennedy ist er etwa so verfahren. Damals glänzte Natalie Portman als Präsidentengattin in den ersten Tagen nach der Ermordung ihres Mannes. Portman erhielt dafür eine Oscar-Nominierung und mit Kristen Stewart („Jean Seberg„) hat der Regisseur nun der nächsten potentiellen Preisträgerin die Bühne bereitet.
Der ganze Film dreht sich um ihre Gestalt, ihre fulminante Verkörperung, die zwischen verblüffender Nachahmung, Übertreibung und Emanzipation zur eigenen Filmfigur schwankt. Eine Sensation ist Stewart zweifellos, mag der Film noch so verbissene Ikonenmalerei mit ihr betreiben. „Spencer“ rekonstruiert dabei einen dramatischen Wendepunkt im Leben der Prinzessin von Wales. In wenigen Tagen soll sich ein ganzes Leben spiegeln. Ein Film voller Kitsch, Polemik und Geisterbeschwörungen.
Weihnachten im Geisterhaus
Es ist das letzte Weihnachtsfest, das Diana mit der royalen Familie 1991 auf Schloss Sandringham verbringen wird. Ein letztes Mal beugt sie sich den zermürbenden Zeremonien und Ritualen, lässt sich in Kostüme zwängen und mit Juwelen behängen. Im folgenden Jahr wird sie sich scheiden lassen, Presseskandale kursieren bereits überall. Weihnachtsstimmung kommt mitnichten auf. Der Nebel hängt schwer über Sandringham, bereits auf der Hinfahrt verliert sich Diana mitten im rauen Nirgendwo dieser Gothic-Kulissen.
In verengten Bildern fängt Larraín diese Räume ein, in deren starre Geometrie bereits das strenge Hofzeremoniell eingeschrieben ist. An den drei Weihnachtstagen treibt es Diana rastlos durch das Gemäuer, immer dem Wahnsinn nahe. Das Personal marschiert mit militärischem Gehorsam auf, die Zimmer werden mit bedrohlicher Akribie wie künftige Tatorte eines Auftragsmordes präpariert. Irgendwann schirmt man selbst das Tageslicht ab, vor dem Fenster könnten Paparazzi lauern.
Wie ein Horrorfilm ist diese Filmbiographie mitunter aufgezogen. Die kargen Landschaften verwandeln sich in schauerromantische Tableaus, im Hintergrund klingen dissonante Quältöne. Haarsträubend anstrengend ist dieser Film, er muss nicht nur seine Protagonistin, sondern auch das Publikum malträtieren. Im Schloss erscheint der Geist Anne Boleyns. Eine, die ebenfalls wegen einer erdrückenden, verlogenen Ehe ihren Kopf verlor. Gleich zu Beginn des Films liegt ein toter Vogel auf der Straße, der beinahe auch noch von Autos überfahren wird. „Spencer“ ist voll von solchen morbiden Bildern und Analogien.
Sehnsucht nach dem Durchschnitt
Dianas Leidensweg spielt sich insbesondere im Körperlichen ab. In den Kostümen, die wie Zwangsjacken angelegt werden. In der riesigen Perlenkette, die mit der Suppe verspeist wird. Das sündhaft teure Dinner wird wieder ausgekotzt. Später verletzt sich die Prinzessin selbst. Larraín schenkt ihr schließlich eine befreiende Montage, die sich in der Bewegung, im Rennen und Tanzen aus dem strengen Familienkorsett zu befreien versucht — „Spencer“ erkämpft in solchen Momenten etwas Essayistisches, Versuchendes.
Die Royal Family agiert bei alldem meist nur verschwommen im Hintergrund. Ebenfalls wie unheilvolle Gespenster — da ist wieder der Horror — in einem System, das seine erdrückende Kraft offenbart. „Spencer“ scheut dabei keinesfalls das Polemische, alles erscheint noch fieser und beklemmender, als man es sich immer vorgestellt hat. In seiner Überzeichnung sucht er das Wahrhaftige.
Das Wunder dieses Films besteht darin, dass er trotz seines vertrauten Stoffes zumindest inszenatorisch noch zu überraschen vermag. Weil er immer neue, eindringliche Kino-Bilder für jene Geschichte findet, die längst selbst zur ewigen Sensation geworden ist. Pablo Larraín nutzt das auch, um von gesellschaftlichen Rollenbildern und -zuweisungen im Allgemeinen zu erzählen, auch wenn ihm das bedeutend banaler gelingt als in „Jackie“. Dass der Traum der heimeligen und durchschnittlichen Mutterrolle hier als oberstes emanzipatorisches Ziel gesetzt wird, ist wahrscheinlich ernster gemeint, als es dem Film gut tut. Generell erscheint die offensiv ausgestellte Sehnsucht nach dem einfachen Leben wie eine biedere Doppelmoral, wo das Drama doch in erster Linie zum Blick durch das Schlüsselloch der Welt der Schönen und Reichen verlocken will. Vielleicht ist aber auch das nur eine weitere simple Provokation gegenüber dem Megxit-gebeutelten Buckingham Palace.
Happy-End für eine Tote
Eine „Fabel nach einer wahren Tragödie“ nennt Larraín seinen Film. In der Tat ist es einer, der für seinen vielfach bearbeiteten Plot allerhand Lust am Formen und Ausmalen mitbringt. Da ist es auch verkraftbar, dass sich schon wieder jemand dieses reale Trauerspiel für eine künstlerische Adaption anmaßt, weil Larraín keinen Historienfilm gedreht hat, der sich an Fakten abarbeiten will.
„Spencer“ ist vielmehr ein enorm unterhaltsames, in Teilen lächerliches, aber dennoch einzigartiges Was-wäre-wenn, gerade in seinem Überzeichnen und Erfinden. Eines, das Wesentliches mit der Fiktion filtert, tarnt und transformieren kann. Und Toten ihr nachträgliches Happy-End zu schenken vermag. Dass dieser Film ungemein zum Lästern über seine eigene Verbissenheit und Naivität einlädt, ist vielleicht nur konsequentes Kalkül, dem Boulevardstoff zu begegnen. Natürlich, man kann die Prinzessin einfach Prinzessin sein lassen. Den goldenen Käfig nicht zum universellen Politikum erheben, das er nicht ist, gleichgültig die Nase rümpfen. Warum den alten Kaffee aufwärmen? Weil dabei so wunderbar überkandidelte Gruselgeschichten herauskommen.
„Spencer“ feierte seine Weltpremiere im Rahmen der 78. Filmfestspiele von Venedig. Ab dem 13. Januar 2022 läuft der Film bundesweit in den deutschen Kinos. Auf Blu-ray und DVD kann der Film ebenfalls bereits vorbestellt werden.
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Bildquelle:
- Spencer-DF: Pablo Larrain, DCM