Mit „Saw: Spiral“ verwandelt sich der Kinosaal wieder in eine Folterkammer. Im neuesten Teil der berühmten Horrorfilmreihe müssen korrupte Polizisten um ihr Leben kämpfen.
Die „Saw“-Reihe hatte sich Anfang der 2000er Jahre, inmitten des Post-9/11-Traumas ihre eigene, vor Schmutz triefende, dampfende und ratternde Welt geschaffen. An verlassenen Orten mussten Sünder beichten und büßen. Eingesperrt und umgeben von monströsen Maschinen und Fallen, alles in dieser Umgebung schien sich zu verselbständigen und wurde zur potentiellen Lebensgefahr. Ihr Meister: ein krebskranker Mörder, John Kramer alias Jigsaw, der sich in seiner Folter-Ideologie von Selbstjustiz und korrektiver Gerechtigkeit vorgenommen hat, das Böse zu bestrafen. Oder vielmehr es sich selbst bestrafen zu lassen.
Immer wieder mussten sich seine Opfer Fleisch abschneiden, zerstechen, verdrehen oder ausbluten lassen. Wählen zwischen dem eigenen Wohl oder dem der anderen. Den eigenen Körper überwinden, um den Geist vielleicht in einer doppelten und finalen Grenzüberschreitung reinzuwaschen. Im Laufe der acht Teile umfassenden und kommerziell äußerst erfolgreichen Horror-Saga nahmen diese „Spiele“ immer spektakulärere, effekthaschendere Ausmaße an. Jigsaw war irgendwann schon längst tot, seine Nachfolger agierten fortwährend grausamer.
Das konnte man allein daran erkennen, dass man in der Zensurgeschichte von „Saw“ für passende Altersfreigaben nahezu im Wettlauf mit den Fallen, die ihre Opfer zerstückelten, an den Filmen selbst wüst und bis zur Unkenntlichkeit herumschnitt. Die zerfetzten Leiber überdeckten dabei schon längst den Reiz dieser filmischen Welt, die ursprünglich ganz klein und unscheinbar anfing: in einem Badezimmer, wo zwei angekettete Männer erwachten und sich ihr Verderben zusammenpuzzelten, das in einer grausamen und bis heute aufregenden Schlusspointe den Voyeurismus des Publikums selbst ins Visier nahm.
Chris Rock wagt den Neustart
Nach dem vorläufigen Ende der Reihe in „Saw VII: Vollendung“ (2010, damals in 3D) und einem gescheiterten Reboot mit „Jigsaw“ im Jahr 2017, versucht nun Komiker Chris Rock als Ideengeber, ausführender Produzent und Hauptdarsteller, noch einmal Frischluft in den miefigen Folterkeller zu leiten. „Spiral: From the Book of Saw“, so heißt der Film im Original. Allein der Titel will verdeutlichen, dass man als Spin-Off nur lose an Bisheriges anknüpft. Dass im Deutschen daraus schlicht „Saw: Spiral“ wird, erscheint nur konsequent. Auch wenn dieser neunte Teil nur grob im bereits etablierten Kosmos stattfindet und mit komplett neuen Figuren arbeitet, ist es doch ein klassischer „Saw“-Film durch und durch.
Gleich zu Beginn hängt einer an seiner Zunge. Ein Polizist wird in einen U-Bahn-Schacht gelockt und von einem Maskierten überwältigt – ausgerechnet am amerikanischen Unabhängigkeitstag. Er hat in seiner Laufbahn mehrfach gelogen und Menschen unschuldig hinter Gitter gebracht. Nun soll er sich dafür seine eigene Zunge abreißen oder er wird von der anrollenden Bahn überfahren. Weil die „Saw“-Reihe Sadismus zum ästhetischen Prinzip erklärt, geschieht natürlich beides.
Es bleibt nicht das einzige Opfer im Laufe des Films. Ein Nachahmer von Jigsaw scheint sein Unwesen zu treiben und steckt verbrecherische Cops in seine Fallen. Detective Ezekiel Banks (Chris Rock) begibt sich auf die Suche nach dem Täter. Sein Vater, ein berühmter pensionierter Polizeichef (Samuel L. Jackson), warnt ihn früh vor der Grausamkeit der Jigsaw-Spiele.
„Saw“ ist zahmer geworden
Nachdem sich die vorherigen Teile gänzlich einem seriellen Erzählen hingegeben hatten, dessen erzählerisches Konzept auf reiner Verästelung beruhte, zeigt sich „Saw: Spiral“ zumindest etwas bemüht, auf eigenen Beinen zu stehen. Wo man sich bislang vor allem im Ausschmücken der Perversionen übte, soll dieses Mal alles ein wenig bedachter, etwas vorsichtiger auf der Leinwand angegangen werden. Darren Lynn Bousman, der bereits die Teile 2 bis 4 gedreht hat, inszeniert „Spiral“ in einem Grenzbereich zwischen Konservierung und Aufbruch. Labyrinthe aus Stacheldrähten, rostigen Maschinenteilen, Zahnrädern und dampfenden Rohren verwandeln sich nun überwiegend in aufgeräumte, generische Cop-Thriller-Bilder in Grün, Blau und Braun.
Die wenigen Todesszenarien, die zwischendurch noch eingefügt sind, wirken wie brüchige Überreste eines abgestorbenen Genrezweigs. Finger werden da abgerissen, Nacken durchschnitten, Menschen mit Glasscherben beschossen; ganz so hart wie früher darf es aber nie werden. Im Jahr 2021 wird bedeutend erträglicher gefoltert, Hollywood ist auch im Genrekino nicht nur sensibler, sondern auch prüder geworden. Das hat sich bereits in „Jigsaw“ abgezeichnet.
Stattdessen stolpern mit Chris Rock und Samuel L. Jackson zwei Stars und Publikumsmagneten durch diesen routiniert durchkonstruierten, aber auch erstaunlich unspektakulären Krimi. Beide sind gefangen in einem befremdlichen Zwiespalt zwischen auflockernden und eher fehlplatzierten Gags, kühler Abgebrühtheit und moralischem Psychoduell, das der Film inmitten einer sommerlichen Hitzewelle entfalten will.
Neue Ideen fehlen
Die eigentliche Tortur von „Saw: Spiral“ besteht in seiner Reizüberflutung. Nie traut man dem Publikum eine Aufmerksamkeitsspanne zu, die über eine Minute hinausreicht. Der Stoff von Chris Rock will wieder weg vom Schock und hin zum Erzählen. Es scheitert an der Abwesenheit einer grundlegend neuen Idee, die sich hier irgendwann nur erneut in den Mustern ihrer Vorgänger verliert. Permanent springt man zwischen Figuren, Schauplätzen und Handlungssträngen. Spannungsmomente, selbst die Folterszenen werden zerteilt, als fürchteten sie sich vor ihren eigenen lustvollen Blicken.
Was „Saw“ bei alldem schon immer so bizarr faszinierend und konfrontativ vorgeführt hat, war das Unmoralische seiner Moral. Die Perversion einer Täterperspektive, die sich ihrer eigenen Verantwortung zu entziehen scheint und die vermeintlich richtigen Personen bestraft. Verschiedenste soziale Bereiche hat man im Laufe der Jahre dezimiert: von fehlbaren Ärzten über Versicherungsvertreter bis zu Kleinkriminellen. Menschen aus einem offenbar verrotteten System in verrotteten, höllischen Industrieräumen, deren Ausgeburten sich in Waffen gegen ihre Schöpfer verwandeln. Über Vergebung entscheidet kein Gott mehr, sondern die Maschine.
Zeitgemäßes Streitthema
Dieses Mal sind nun die Cops an der Reihe, die Rolle, Status und Macht missbrauchen. „Saw: Spiral“ stellt dabei groß sein politisches Update in Richtung gegenwärtiger Diskurse um Polizeigewalt aus. An sich eine spannende Idee, wenn nicht ihre Grautöne und Tabubrüche so eng geschnürt und zahm vollstreckt werden würden. Da geht es gar nicht um das Bebildern der Gewalt: Vielmehr fehlt es diesem Thriller an einer grundlegenden, echten Lust an der Verkehrung und Subversion.
Er arbeitet sich an den Sünden der Behörden ab, ohne sich eine Welt ohne diese auch nur vorstellen zu können. „Saw: Spiral“ ist durch und durch Law and Order verpflichtet. Zu wenig hält von der Intelligenz des Publikums, sich mit dem Bösen auseinanderzusetzen. Wo man sich früher wenigstens einer genregemäßen, kurzzeitigen Freude an Zerstörung und Chaos hingab, sucht man jetzt nach Moral und Kontrolle, die vor allem die Mittel ihrer Restaurierung, nicht aber ihre grundlegenden Konzepte hinterfragt. Es raubt dem extremen, ambivalenten Gedankenspiel jegliche Fallhöhe.
„Saw“ hat noch nie sonderlich um das Überleben seiner Opfer gebangt. Spannend war in den späteren Teilen vielmehr die Frage, wen es dieses Mal in die Faszination der Rache getrieben hat, wer sich am Ende als Mittäter entpuppt. Bei „Saw: Spiral“ ist das nicht anders. Die nahbare Fehlbarkeit einzelner Individuen tauscht man derweil gegen ein offenbar ohnehin hoffnungslos verlorenes, wörtlich ausgeblutetes System, das man krampfhaft zu reanimieren versucht.
Hängen in den eigenen Fäden
Das Bild einer menschlichen Puppe bleibt nach kurzweiligen wie ernüchternden 90 Minuten übrig. Eine, die die Kontrolle über ihre Glieder verliert und nur noch ihrem Ende entgegenblicken kann. Treffender hätte sich die „Saw“-Reihe nicht visualisieren können. Vielleicht ist es ein grundlegender Irrtum, diese Horror-Saga könnte im Jahr 2021 in ihrer klassischen Form noch existieren. Regisseur Bousman, der in wenigen Splatterszenen noch einmal jenen anarchischen Schocker-Geist, jenes tabubrechende Gedankenspiel heraufzubeschwören versucht, hängt hilflos in einem Studiosystem fest. Sein Spin-Off siedelt sich irgendwo im Mittelmaß der Reihe an. In jeder Minute spürt man, von wie vielen Seiten offenbar an dem Stoff gewerkelt wurde, um aus ihm ein marktkonformes, versöhnendes Produkt zu kreieren.
„Saw: Spiral“ schwadroniert von Vätern und Söhnen, von vergangenen Verbrechen, die heute Sühne und Revolution fordern. Von Erbsünde, die in den Folter-Tableaus und immer gleichen Erzählstrukturen ihr affektentladendes Ritual sucht. Seine Transformation in ein massentaugliches Thrillerkino gleicht eher einer Selbstverleugnung, die doch nicht den Blick von ihrem eigenen Spiegelbild lassen kann. Am Ende schließt sich wieder krachend und bedeutungsvoll ein Tor, verlässt wieder ein neuer Strippenzieher das Spielfeld. Hätte all das Gewaltspektakel tatsächlich ein Interesse an Provokation und (Über-)Forderung, würde er ihn nicht als Schreckgespenst von dannen ziehen lassen.
„Saw: Spiral“ läuft ab dem 16. September 2021 ungeschnitten in den deutschen Kinos.
Bildquelle:
- sawspiral: Lionsgate/Studiocanal/ Brooke Palmer