Zum Vermächtnis des Showmasters Rudi Carrell gehört ein Lied, das immer dann Hochkonjunktur hat, wenn es im Juli und August eher nass und kalt ist: „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ Die Hymne der Jammerer scheint in diesem Sommer endgültig widerlegt zu sein. Oder?
Seit mehr als 40 Jahren gibt Rudi Carrell allen Nörglern eine Stimme, für die klar ist, dass früher alles besser war – auch das Wetter. „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ fragt der Showmaster in seinem Schlager von 1975. Zur aktuellen Hitzewelle kann man ihn leider nicht mehr befragen, Carrell starb 2006. Mit Blick auf das Thermometer will man ihm aber zurufen: Jetzt! Jetzt ist Sommer!
So einfach ist es aber nicht. Carrell definiert in dem Text selbst, was er unter einem „richtigen“ Sommer versteht. Ein Faktencheck.
„Wir brauchten früher keine große Reise. Wir wurden braun auf Borkum und auf Sylt.“
Nicht nur auf Borkum und Sylt kann man sich in diesem Jahr eine knackige Bräune holen, sondern im Grunde in ganz Deutschland, sofern man das Haus verlässt. Punkt auf der Carrell-Skala.
„Ja früher gab’s noch Hitzefrei.“
Es ist nicht ganz klar, was Carrell hier meint. Schulen? Büros? An den Schulen ist Hitzefrei momentan kein großes Thema – es ist Sommerferien-Zeit. Allerdings gab es in diesem Jahr an einigen Schulen bereits Hitzefrei, auch schon im Mai. Ämter und Behörden verkürzen mitunter die Öffnungszeiten. Punkt auf der Carrell-Skala.
„Das Freibad war schon auf im Mai.“
Vielerorts wurde im Mai 2018 angebadet. Punkt auf der Carrell-Skala.
„Ich saß bis in die Nacht vor unserem Haus.“
Gleich reihenweise gab es in diesem Jahr schon sogenannte Tropennächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fiel. Carrell könnte sogar die ganze Nacht vor dem Haus sitzen, ohne zu frieren. Punkt auf der Carrell-Skala.
„Da hatten wir noch Sonnenbrand und Riesenquallen an dem Strand.“
Über Sonnenbrand muss man kaum reden, viele Deutsche werden 2018 als scharlachrot in Erinnerung behalten. Das Quallen-Thema ist schwieriger. Welches Tier meint Carrell genau? Der Schirm der in Deutschland anzutreffenden Feuerquallen kann bis zu 50 Zentimeter groß werden, manchmal sogar größer. In den vergangenen Tagen wurden sie etwa an der Ostseeküste gesichtet. Eine Riesenquallen-Invasion gibt es aber nicht. Daher: halber Punkt auf der Carrell-Skala.
„Und jeder Schutzmann zog die Jacke aus.“
Ein Schutzmann ist ein Polizist. In dieser Absolutheit ist das Kriterium schwer zu erfüllen. Es sind Situationen denkbar, in denen ein Beamter trotz Hitze gern die Jacke trägt, zum Beispiel als Schutz vor Dreck. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilt auf Anfrage aber mit: Carrell sei im Großen und Ganzen recht zu geben. Im alltäglichen Job kenne man keine Regelung, die die warme Jacke zwingend vorschreibe. In Schleswig-Holstein wurden sogar die Vorschriften zum Tragen der Dienstmützen gelockert. Punkt auf der Carrell-Skala.
„Pulloverfabrikanten gingen ein.“
Insolvenzen aufgrund der Hitzewelle sind bislang nicht bekannt. Auch die Modehändler lässt der heiße Sommer noch kalt. Der von manchen befürchtete Umsatzeinbruch sei bislang ausgeblieben, berichtet das Fachblatt „Textilwirtschaft“. Kein Punkt auf der Carrell-Skala.
„Da gab es bis zu 40 Grad im Schatten.“
Den bislang heißesten Tag des Sommers erlebte Deutschland am Dienstag. Spitzenreiter wurde Bernburg in Sachsen-Anhalt mit 39,5 Grad – das damit knapp an der magischen 40-Grad-Marke vorbeischrammte. Kein Punkt auf der Carrell-Skala.
„Wir mussten mit dem Wasser sparsam sein.“
Vereinzelt baten Stadtwerke die Bürger bereits, sorgsam mit dem Wasser umzugehen, weil der Verbrauch so angezogen habe. Flächendeckend gilt das aber nicht. Daher: halber Punkt auf der Carrell-Skala.
„Die Sonne knallte ins Gesicht, da brauchte man die Sauna nicht.“
Entscheidend ist hier die Frage, welche Temperaturen man in der Sauna bevorzugt. 40 Grad? Da kann ein Finne nur müde lächeln. Aber es gibt auch sogenannte Biosaunen, die schon mit 45 Grad arbeiten. Und: Viele Deutsche schwitzen ihre Klamotten momentan derart durch, dass der Sauna-Vergleich nahe liegt. Halber Punkt auf der Carrell-Skala.
„Ein Schaf war damals froh, wenn man es schor.“
Die Gemütslage von Schafen ist schwer zu ergründen. Zudem sind die Tiere in dieser Jahreszeit bereits geschoren, wie Ortrun Humpert vom Schafzuchtverband NRW erklärt. Das sei aber tatsächlich eine Erleichterung. „Bei diesem extremen Wetter dürften die Schafe froh sein, keine Winterwolle mehr zu haben“, sagt Humpert. Das kann man gelten lassen. Punkt auf der Carrell-Skala.
„Es war hier wie in Afrika.“
Deutschland und Afrika trennen momentan keine großen Temperaturunterschiede. Punkt auf der Carrell-Skala.
„Wer durfte, machte FKK.“
Schwierig. Es gibt natürlich FKK-Strände und wenn man sich an gewisse Regeln hält, kann man in Deutschland auch an anderen Orten sehr nackt sein. Wenn es niemanden stört, kann man sogar nackt wandern. Aber machen das alle, die dürfen? Nunja. Kein Punkt auf der Carrell-Skala.
Ergebnis: Keine volle Punktzahl. Aber trotzdem: Rudi Carrell und sein alter Ohrwurm „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ bleiben, was sie sind – ewige Klassiker.
[Jonas-Erik Schmidt]
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