„Rickerl“ mit Voodoo Jürgens: Was die Kunst zum Leben braucht

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Voodoo Jürgens als Rickerl
Foto: Pandora Film/ Giganten Film

In „Rickerl“ schlüpft der Singer-Songwriter Voodoo Jürgens in die Rolle eines erfolglosen Musikers, dem Armut und Behörden im Nacken sitzen.

„Musik is höchstens a Hobby“ – dieser Satz, der Untertitel des Films, knallt mit der Peitsche. Er klingt wie ein engstirniger elterlicher Rat, der dem Kind entgegengespuckt wird, um ihm die Flausen aus dem Kopf zu treiben. Für Erich „Rickerl“ Bohacek, gespielt von Voodoo Jürgens, ist er harte Realität. Musik als ersehnter Traumberuf und Lebensunterhalt scheint sich nicht zu vertragen mit der Welt, durch die sich Rickerl bewegt. Von einem Job zum nächsten muss er ziehen. Seine Arbeit als Totengräber verliert er gleich zu Beginn des Films, später drängt man ihn in eine Stelle als Verkäufer im Sexshop. Daneben tritt er gelegentlich als Party-Musiker auf oder erfreut mit seinen Songs abends Kneipengäste. Ein neues Album ist zwar in Arbeit, der Vorschuss seines Produzenten fällt jedoch enttäuschend aus. Aussicht auf kommerziellen Erfolg: gering.

Erich singt zwar am Schmissigen vorbei, in die Herzen seiner kleinen Fangemeinde treffen seine sentimentalen Lieder dennoch. Dass sich daraus einmal eine große Karriere, ein Hauptberuf entwickeln könnte, daran glaubt Erich selbst nicht ganz. Auch das ist der bittere Beigeschmack, eine zweite Bedeutung, die der zitierte Untertitel von „Rickerl“ mit sich bringt. Zumindest klappt es mit dem großen Musikgeschäft nicht, solange sich nicht mal eben ein nützlicher Kontakt in die Wiener Stammkneipe verirrt und der Außenseiter seine Chance ergreift.

Szene aus "Rickerl"
Rickerl bringt seinen Sohn mit in die Kneipe. Foto: Gigantin Film/ Pandora Film

„Rickerl“ bemüht sich um eine facettenreiche Milieustudie

„Rickerl“, dieser österreichische Artverwandte von „Inside Llewin Davis„, ist ein Film, der dem beschriebenen Lebensgefühl und dem Milieu, in dem es verortet ist, mit großem Einfühlungsvermögen begegnen will. Der Autor und Regisseur Adrian Goiginger kreiert mit seinem Kameramann Paul Sprinz stimmungsvolle, ungeschönte Bilder und Eindrücke aus den Alltäglichkeiten einer marginalisierten Lebensrealität, in der Geringverdienende und Arbeitslose über ihr Leben nachdenken, Geselligkeit genießen, aber auch ihre eigene Klassenidentität ausdiskutieren.

Man muss noch nicht einmal von einer Authentizität in der Darstellung sprechen – das sozialrealistische Bestreben von „Rickerl“ glückt, indem es sich einfach Zeit zum Beobachten und Entfalten lässt, ein gewisses Panorama in seinem Ausschnitt und seiner porträtierten Biographie kreiert. Sein ästhetisches Lokalkolorit aus spartanischen Wohnungen, Dialogen in tiefstem Schmäh und verrauchten Kneipen hat nichts Verklärendes oder Romantisches an sich, weil Goigingers Film es gekonnt kontextualisiert.

Rickerl verliert seinen Job als Totengräber. Foto: Giganten Film/ Pandora Film

„Rickerl“ und die Gewalt der Ämter

Goiginger bietet seinem Publikum an, für begrenzte Zeit an Erichs getriebener Odyssee teilzuhaben, wie er immer wieder Anlauf nimmt, bevor das nächste Ungeschick geschieht, bevor die nächste Chance verstreicht und der nächste Rückschlag im Leben folgt – beruflich wie privat. Vor allem aber wirft „Rickerl“ einen passend desillusionierten Blick darauf, was es heißt, eigentlich (künstlerische) Ambitionen zu besitzen, sie aber nur in einem unterdrückten und gehemmten Rahmen ausleben zu können, weil die ökonomischen Grundlagen fehlen und die Lohnarbeit für das Nötigste dann wiederum Ressourcen raubt, den eigenen Talenten mit der benötigten Intensität nachzugehen.

„Rickerl“ taumelt also durch diesen Teufelskreislauf, der von einem unsensiblen, blinden Ämtersystem in Gang gehalten wird, das seine Schützlinge in immer neue prekäre, unterbezahlte Jobs zu stecken versucht, um die brüchige Fassade gesellschaftlicher, wirtschaftlicher Nützlichkeit zusammenzuhalten. Musik, das soll eben nur a Hobby sein. All das gleicht einer Farce und spielt man selbige nicht mit, drohen die höheren Instanzen damit, das wenige verbleibende Geld zu sperren, das letzte Hab und Gut zu pfänden.

Private und berufliche Krisen

Wo „Rickerl“ als Spielfilm jedoch problematisch wird, das ist der gesamte letzte Akt, in den die reichlich 100 Minuten Laufzeit münden. Nämlich dann, wenn die geschilderten Eindrücke und Beobachtungen das Pointierte, Bissige, Angriffslustige ein Stück weit scheuen. Stattdessen fällt das Narrativ seinem eigenen Protagonisten in den Rücken, indem es dessen Misere mittels einer üppig ausgebreiteten Familiengeschichte ausfransen lässt.

Erich lebt getrennt von seiner Ex-Frau (Agnes Hausmann) und Mutter seines Sohnes. Um den Kleinen kann sich der Musiker kaum kümmern, auch weil das Geld fehlt. Also müssen Wege gefunden werden, wieder eine freundschaftliche Basis innerhalb der kaputten Familie herzustellen, einen Draht zum Kind zu finden. Der Vater, der nie wirklich einer sein konnte, fürchtet sich bereits vor der eigenen Elterngeneration. Auch dort wurden emotionale Schneisen der Verwüstung hinterlassen. Rickerls ignoranter Vater ist spielsüchtig geworden, taucht nur noch hier und da als Schwerenöter auf, von dem nicht viel zu erwarten ist.

Voodoo Jürgens als Rickerl am See
Die Gitarre als wichtigster Besitz Foto: Giganten Film/ Pandora Film

Das Leben ordnen

Empathisch erzählt sind diese Krisen zweifellos. Das Problem an dieser Erzählweise ist allerdings, dass sie sich freiwillig Scheuklappen anlegt, das Große auf das Kleine verengt. „Krieg dein Leben endlich auf die Reihe!“, könnte ebenfalls ein zynischer Untertitel für diese zweite Filmhälfte lauten. Als wären die Probleme, unter denen Rickerl und einige seiner Mitmenschen leiden, damit beseitigt, ein wenig Gesprächstherapie unter Vertrauten und Verwandten abzuhalten, etwas Struktur in den Alltag zu bringen, aktiv zu werden und Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln.

„Rickerl“ müsste, wäre er konsequenter, eigentlich als Reaktion auf die besichtigte Welt sein ganzes wutverzerrtes Gesicht zeigen. Stattdessen ringt er sich final ein zaghaftes Lächeln ab. Er lässt Gesellschaftskritik schlicht und fatal konsumierbar werden und zelebriert die bloße Anpassung. Man kann daher ruhig spekulieren: Das Ende von Rickerls Charakterentwicklung wird sicher auch jenen Zuschauern ein wohliges Gefühl bereiten können, die im Anschluss an den Kinobesuch immer noch irren, man könne soziale Ungerechtigkeiten beseitigen, indem man ökonomisch Schwächere noch stärker bestraft.

„Rickerl“ läuft ab dem 1. Februar 2024 im Verleih von Pandora Film in den deutschen Kinos.

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