Carey Mulligan führt in „Promising Young Woman“ einen erbitterten Rachefeldzug gegen übergriffige Männer. Für den überraschenden Film von Regisseurin Emerald Fennell gab es den verdienten Drehbuch-Oscar.
Es dauert nur wenige Minuten, da hat einen dieser Film schon das erste Mal aufs Glatteis geführt. Das beginnt noch recht offensiv: Zu lauter Musik bewegen sich Männerkörper in einer Disco. In Zeitlupe stoßen sie ihr Becken vor und zurück, eine notgeile Menge, toxische Männlichkeit und Potenz in Reinform, die Regisseurin Emerald Fennell da vorführt. Einer dieser Männer, ein Anzugträger, macht sich sogleich an eine hübsche Blondine heran, die im Vollrausch auf einer Polsterbank lungert. Es ist Carey Mulligan (Oscar-nominiert!), die als Cassandra übergriffige Männer in die Falle lockt.
Sie spielt die betrunke junge Frau und lässt sich von den Herren mit nach Hause nehmen, bis die ihr blaues Wunder erleben. Hintergrund ist der Freitod ihrer Freundin, die sexuell missbraucht wurde. Man kennt das aus zahllosen anderen Rape and Revenge Streifen seit „I Spit on Your Grave“: Die Rächerin, die blutig mit der Männerwelt abrechnet und somit Katharsis für sich und das Publikum erlangt.
„Promising Young Woman“ bricht mit dem Genre
Bei Emerald Fennell ist dieses bekannte Narrativ viel überraschender, viel verunsichernder erzählt und inszeniert. Mit Carey Mulligans Blick in die Kamera wird der erste Bruch eingeläutet. Die Maske fällt. Aber was hat sie da wirklich mit dem erschrockenen Mann angestellt? Eine erste bedrohliche Leerstelle. Im Hintergrund erklingt bedrohliche Musik, das sind Horror-Klischees, die Emerald Fennell heraufbeschwört, ohne den Horror zu zeigen. Sie arbeitet lange Zeit nicht mit expliziter Gewalt, sondern viel mehr mit Verstörung, mit psychologischer Konfrontation – wie ihre Protagonistin.
Ihr Film schimmert in Bonbonfarben, unter der Optik einer Highschool-Komödie schlummern finstere Abgründe. Zu Wagners „Liebestod“ zertrümmert Cassandra wutentbrannt das Auto eines pöbelnden Fremden. „Promising Young Woman“ steckt voller Gegensätze und Widersprüche. Das ist wie ein wackeliges Kartenhaus, das Fennell immer höher baut, immer riskantere Aktionen wagt und doch bleibt am Ende irgendwie alles stehen. Alles hat seinen Platz und greift ineinander über.
Eine wunderbare Provokation
Wie Mulligans Figur Sexualität und Verführung als Waffe gebraucht und gegen Stereotype und äußere Zwänge rebelliert, das ist im besten Sinne eine große Provokation, ohne jemals effekthaschend zu wirken. Sie rechnet irgendwann nicht mehr nur mit den Männer-Schweinen ab, die der Film immer wieder aus allen Ecken zerrt (man muss sie hier so drastisch betiteln), sondern auch mit unsolidarischen Frauen. Da steckt eine radikale Unerbittlichkeit in diesem Film. Zugegeben, er macht es seinem Publikum hier und da etwas leicht, sich zu gewissen Figuren zu verhalten. Aber warum eigentlich nicht?
Das ist endlich mal wieder ein Film, der sich traut, sich zu positionieren und niemanden dabei verschont. „Promising Young Woman“ erzählt keine neue Geschichte, aber die vielen kleinen Details und Raffinessen sind es, die ihn so interessant machen. Wie Emerald Fennell Erotik inszeniert, die immer wieder ins Gegenteil kippt. Wie sie eine zarte, hinreißend ambivalent gespielte Liebesgeschichte zwischen Carey Mulligan und Bo Burnham anbahnt, bei der man schnell ahnt, dass ein Happy End für sie unpassend wäre.
Das heterosexuelle Verhältnis wird bei Fennell gnadenlos in die Unsicherheit getrieben, da stecken überall unbewusste und bewusste Verletzungen und Übergriffe. Ihr Film ist von einem großen kämpferischen, aber auch enttäuschten Geist beseelt, der es dennoch bestens versteht, im wörtlichen Sinne einen Smiley hinter sich selbst zu setzen, ohne die eigene Schlagkraft zu schmälern. „Promising Young Woman“ ist noch dazu ein enorm witziger Film mit einem herrlich bösartigen Humor. Gerade deshalb, weil man mit Mulligans Figur und ihrer Erbarmungslosigkeit jubeln möchte, aber zugleich einer unfassbar traurigen (Selbst-)Zerstörung zusieht.
Neues Rape and Revenge Kino
Generell reiht sich „Promising Young Woman“ in eine spannende neue Welle an Rachefilmen ein. „Revenge“ ist da etwa noch zu nennen von Coralie Fargeat, der den Male Gaze in einem kunterbunten Splatter-Spektakel befragt hat. Oder der Schocker „Violation“, der ebenfalls noch in diesem Jahr erscheinen soll, und sich rund um einen unerträglich grausamen Opferritus dreht, der archaisch-mythische Ausmaße annimmt. Das Mythische steckt auch in „Promising Young Woman“, wobei man sich auch darauf nicht eindeutig verlassen kann. Cassandra ist eben nicht die hellsichtige Kassandra. Sie wird – das kann man noch vorsichtig verraten – scheitern, aber damit ist noch lange nicht alles vorbei. Ihre ungehörte Botschaft strahlt ebenso tragisch wie zerstörerisch in die Zukunft, wie ihr antikes Vorbild. Fennells Rachegeschichte ist hochgradig konstruiert, darauf muss man sich einlassen können. Aber es lohnt sich ungemein.
Da gibt es sicherlich noch diverse filmhistorische Verweise und Klischees zu differenzieren, auf die „Promising Young Woman“ kontrovers zu antworten weiß. Dabei spielt überhaupt keine Rolle, ob dieser Film nun männerfeindlich oder frauenfeindlich ist, wie in der Rezeption zum Teil diskutiert wurde. Am Ende ergibt das ein vollkommen konsequentes Gesamtbild, eine spannende Diskussionsgrundlage, auf die nun das Publikum antworten muss. Emerald Fennell fährt eine Agenda, die stilisiert, zuspitzt und angreift und gerade in einigen stilleren Momenten wunde Punkte trifft.
Weil hier eine etwas vom Geschichtenerzählen und Inszenieren versteht, die genau um das Suggestive und das Ausbeuterische des Kinos weiß. Weil am Ende alles doch gar nicht so überzeichnet ist, wie die animalischen Männerkörper in ihrer anfänglichen Trockenkopulation andeuten. Das ist Kino, bei dem vermeintlich alle Karten auf dem Tisch liegen, aber bei genauerem Hinsehen und Hinhören tickt da eine Bombe unter ihm. Manchmal ist das Ticken zu hören, manchmal gerät es in Vergessenheit. Im letzten Drittel des Films explodiert die Bombe so oder so.
„Promising Young Woman“ läuft seit dem 19. August 2021 in den deutschen Kinos.
Bildquelle:
- promisingyoungwoman: 2020 Focus Features, LLC.