Nostalgie bei den Oscars: Die diesjährigen Favoriten „Hugo Cabret“ und der Stummfilm „The Artist“ gehen auf eine Zeitreise zu den Anfängen des Kinos. Wim Wenders könnte mit moderner 3D-Technik Gold holen. Eine Vorschau auf die Favoriten.
Den großen Stummfilmstars Charlie Chaplin und Rudolph Valentino hätten die Oscars 2012 bestimmt die Sprache verschlagen. Denn die Favoriten mit den besten Chancen auf einen der Goldjungen gehen zurück in ihre Zeit, als die Bilder sprechen lernten. Und sogar noch davor, als sie gerade laufen lernten. Am 26. Februar werden in Los Angeles zum 84. Mal die Oscars verliehen.
Martin Scorseses „Hugo Cabret“ ist für elf Oscars nominiert. Hollywoods Altmeister entführt ins Paris der 30er Jahre. Der Waisenjunge Hugo Cabret, der zwischen riesigen Uhrwerken in einem Bahnhof lebt, entdeckt dort die faszinierende Welt des Kinopioniers Georges Méliès, welcher um 1900 die ersten Trickfilme bastelte. Oscar-Preisträger Scorsese („Departed – Unter Feinden„) könnte dafür eine weitere Regie-Trophäe und den Goldjungen für den „Besten Film“ gewinnen, doch die meisten Nominierungen entfielen auf Nebenkategorien.
Aus Méliès‘ Heimat kommen die eigentlichen Stars der diesjährigen Oscar-Saison. Das Team um den französischen Regisseur Michel Hazanavicius lässt mit dem Stummfilm „The Artist“ schon seit Monaten Hollywoods große Stars verstummen. Die kleine Schwarzweiß-Produktion geht mit zehn Nominierungen ins Rennen um den begehrtesten Filmpreis der Welt. Hazanavicius, der selbst den Oscar für Regie, Original-Drehbuch und Schnitt gewinnen könnte, strahlte nach Bekanntgabe der Nominierungen: „Ich habe einen Liebesbrief nach Hollywood geschickt, und Hollywood hat geantwortet“.
Seine Liebeserklärung an Hollywoods Silent Movies hat der Franzose in wenigen Wochen in Los Angeles abgedreht. Jean Dujardin spielt den Stummfilmstar George Valentin, dessen Karriere durch den Tonfilm ein abruptes Ende findet. Sollte „The Artist“ am 26. Februar zum „Best Picture“ gekürt werden, so wäre das der erste Oscar für einen Stummfilm in der Königskategorie seit mehr als 80 Jahren. Nur bei der ersten Academy-Awards-Verleihung im Jahr 1929 gab es mit „Wings“ und „Sunrise“ zwei Stummfilm-Gewinner, danach gaben Tonfilme den Ton an.
Zeitlich zurück in den Ersten Weltkrieg zog es Steven Spielberg mit dem Pferde-Epos „Gefährten“. Das sentimentale Drama ist für sechs Oscars nominiert, darunter in der Kategorie „Bester Film“. Woody Allen könnte mit einer märchenhaften Zeitreise viermal Gold holen. In „Midnight in Paris“ erweckt der New Yorker Regisseur Größen wie Ernest Hemingway, Cole Porter und Pablo Picasso im Paris der 20er Jahre zum Leben. Die Filmakademie muss es Allen längst verziehen haben, dass er seine Oscars nie selbst abholt. Für den Hollywood-scheuen New Yorker ist dies bereits seine 15. Nominierung als Drehbuchautor.
Ebenfalls vier Gewinnchancen hat das Südstaaten-Drama „The Help“ über schwarze Hausmädchen der weißen Oberschicht in den 1960er Jahren. Hauptdarstellerin Viola Davis sollte eine Dankesrede parat haben, ebenso ihre Nebenrollen-Kollegin Octavia Spencer. Beide gewannen im Januar bereits die Preise des US-Schauspielerverbandes SAG, ein recht sicherer Vorbote für den Oscar.
Davis‘ größte Konkurrentin ist „Die Eiserne Lady“. In der Rolle der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher überzeugte Meryl Streep die knapp 6000 Academy-Juroren. Rekordhalterin Streep holte sich damit ihre 17. Nominierung. Gewonnen hat sie jedoch erst zweimal, beide Siege liegen Jahre zurück. 1979 gewann sie erstmals für „Kramer gegen Kramer“ und erneut 1982 für „Sophies Entscheidung“.
Mit dem SAG-Gewinn sind auch die Chancen des Franzosen Jean Dujardin („The Artist“) auf seinen ersten Oscar deutlich gestiegen. Allerdings machen ihm George Clooney („The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten“), Brad Pitt („Die Kunst zu gewinnen – Moneyball„), Gary Oldman („Dame, König, As, Spion„) und Demián Bichir („A Better Life“) Konkurrenz.
Mit „Hugo Cabret“ setzt Martin Scorsese auf nostalgische Fantasy, bringt aber gleichzeitig auch geniale 3D-Technik ins Spiel. Damit tanzt auch der deutsche Regisseur Wim Wender bei seiner Doku „Pina“ aus der Reihe, denn erstmals nominierte die Academy eine 3D-Dokumentation. Wenders‘ Film über die 2009 gestorbene Wuppertaler Choreographin Pina Bausch ist seine zweite Oscar-Chance. 2000 war der 66-Jährige für die Musik-Doku „Buena Vista Social Club“ nominiert, ging dann aber bei der Preisvergabe leer aus.
Spannend wird es auch für den Hamburger Nachwuchsregisseur Max Zähle, der mit „Raju“ in der Kategorie „Live-Action-Kurzfilm“ antritt. 2011 hatte er damit schon den bronzenen Studenten-Oscar gewonnen. Die deutsche Kostümbildnerin Lisy Christl könnte für ihre Arbeit an Roland Emmerichs Shakespeare-Film „Anonymus“ ihren ersten Oscar in Empfang nehmen.
Auch die deutschen Produzenten des polnischen Kriegsfilms „In Darkness“ von Regisseurin Agnieszka Holland hoffen in Hollywood auf Gold. Der weitgehend in Deutschland gedrehte Film mit Benno Fürmann, Herbert Knaup und Maria Schrader geht für Polen in den Wettbewerb um den Oscar für das beste nicht-englischsprachige Werk (Foreign Language Film).
Vorab steht bereits fest, dass Angelina Jolie, Tom Cruise, Jennifer Lopez und Tom Hanks bei der Oscar-Gala auf der Bühne stehen werden. Nicht als Preisempfänger, sondern als Helfer beim Trophäenverteilen. Auch bei der Moderation dürfte es wenig Überraschungen geben, denn die Akademie greift wieder ganz nostalgisch auf einen altbewährten Komiker zurück. Zum neunten Mal wird Billy Crystal den wichtigsten Filmpreis der Welt präsentieren. [Barbara Munker]
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