Zu den ersten größeren Kinostarts nach dem Corona-Lockdown gehört in dieser Woche der Festivalhit „Monos – Zwischen Himmel und Hölle“. Der bildgewaltige Kriegsfilm von Alejandro Landes ist einer, den das Kino als Institution gerade gut gebrauchen kann.
Vielleicht reichen die ersten Minuten aus. Vielleicht erzählt Alejandro Landes in der Eröffnungssequenz bereits alles, was man über seinen neuen Film wissen muss. Und vielleicht bekommt man hier den beeindruckendsten Schauplatz des unterbrochenen Kinojahres zu sehen. Die ersten Szenen von „Monos“ spielen oben im Gebirge. Drückende Stille, Zwielicht, im Hintergrund ziehen Wolken vorbei. Auf einer kargen Wiese spielt eine Gruppe Jugendlicher mit verbundenen Augen Fußball. Landes zeigt sie gleichermaßen als Marionetten und Gesetzlose, die sich nur noch auf ihre Instinkte verlassen und für den potentiellen Angriff proben. Nach dem Torschuss folgen die nächsten Disziplinierungsmaßnahmen. Körper werden für das Kämpfen gestählt. Der Alltag in diesem Lager gleicht einem einzigen leeren Ritual. Noch einmal: Vielleicht ist mit diesen ersten Minuten bereits alles über das Aufwachsen in und nach einem Krieg erklärt.
Alejandro Landes hat einen albtraumhaften Film über Kolumbien gedreht, das sich nach ewigen politischen Konflikten immer noch in einem Schockzustand befindet. Aber einen, der eben nicht genau zeitlich oder räumlich verortet werden kann, sondern zu einem finsteren, archaischen Mythos zurückkehrt. Landes zeigt den Zerfall einer Gruppe junger Guerillakämpfer. Eine Milchkuh und eine amerikanische Geißel, „Doctora“ genannt, sollen die Kinder bewachen. Die Geißel wird eines Tages fliehen, die Kuh versehentlich erschossen. Es folgt die Vertreibung aus dem Paradies über den Wolken. In der zweiten Hälfte geht es hinab in den undurchdringbaren Dschungel, wo die Gewalt endgültig Bahn bricht.
Auf den Spuren von Herzog und Coppola
„Der Herr der Fliegen“ und die Flussfahrt ins „Herz der Finsternis“, „Apocalypse Now“ und die aussichtslosen Wahnsinnstrips eines Werner Herzog standen Pate. „Monos“ ist splitterhaft, offen, bisweilen kryptisch gehalten. Die Zitate und Versatzstücke liegen auf der Hand. Alle genannten Vorbilder haben die Stoffe zweifellos tiefschürfender behandelt und doch drängt sich die Frage auf, ob nicht genau diese zitatreiche Bildsprache eine höhere Ebene findet.
Vielleicht ist es für Außenstehende ja gar nicht mehr anders möglich, als sich über all die ikonischen, eingebrannten Hochglanz-Filmbilder einen Eindruck von der Natur des Krieges zu verschaffen? Ist Krieg nicht umgekehrt immer auch selbst Inszenierung? Eine zentrale Figur heißt nicht umsonst „Rambo“. Doch wie grausam ist das eigentlich wirklich, wenn man mit Schmutz getarnt im Dickicht hockt und auf den Feind lauert? Landes spielt auf surreale Weise an Originalschauplätzen mit Kindern durch, was es bedeutet, wenn man diese Hollywood-Bilder auf ihren Erfahrungswert befragt, sie in ihrem Kern nachstellt und nachempfindet. Strenge Ordnung und Inszenierung lösen sich auf im Chaos. Ein bemerkenswerter, wenngleich etwas schwammig dargebotener Verfremdungseffekt!
Großes Kinoerlebnis
„Monos“ ist ein Film, der sich vor allem sehr lang anfühlt, der verstört und erschöpft. Wenn all der Schweiß, der Schlamm und das Blut von den Körpern gewaschen ist, kommt dann hier wirklich noch etwas über den Krieg zum Vorschein, das man noch nicht wusste? Universell und allegorisch wurde diese Parabel nach ihren umjubelten Festivalscreenings beim Sundance oder der Berlinale oft genannt. Beliebig und zäh könnte man es mitunter auch nennen. Und doch ist „Monos“ ein Film, den das Kino in dieser Zeit gut brauchen kann, um nach der Wiedereröffnung seinen Alleinstellungswert und Status wiederherstellen zu können. Ein inszenatorisches Mammutwerk, das zeigt, wie man das Medium nutzen kann, um sich sinnlich an ein solch schweres Thema heranzuwagen. Und ein Film, der generell wieder Lust darauf macht, sich im Kinosaal einer solchen Wirkgewalt auszusetzen.
„Monos“ gelingt das mit ungeheuer malerischen Bildern, mit furchteinflößenden Geräuschen und rührenden Kriegstrommeln. Regisseur Landes zieht dabei, zugegeben, alle Register, wie man ohne viel Geschwätz und mit viel Vertrauen in das Audiovisuelle etwas Herausragendes schaffen kann. Er versetzt das Publikum in einen anderen Bewusstseinszustand, quält hier und da etwas zerfasert mit seiner symbolhaften Höllenfahrt. Und doch wagt er zum Schluss gekonnt die Rückkehr aus der Wildnis in das Hier und Jetzt. „Monos“ vermag es, in einem einzelnen, finalen wässrigen Kinderblick die Geschichte eines Landes zu spiegeln. In einem Moment, wie es ihn eben doch nur im Kino geben kann.
„Monos“ läuft seit dem 4. Juni in ausgewählten deutschen Kinos, die nach der Corona-Pandemie wieder geöffnet haben. In einigen Bundesländern kann der Kinostart auch noch in den kommenden Wochen erfolgen.
Bildquelle:
- monos: DCM
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