Ab dieser Woche läuft Filippo Meneghettis Spielfilmdebüt in den deutschen Kinos. In „Wir beide“ erzählt der gebürtige Italiener von der geheimen Liebe zweier Seniorinnen und dem Drama des Alterns.
Wie Pyramus und Thisbe in der antiken Sage nur von einer Wand getrennt waren, sind Nina und Madeleine nur durch einen Hausflur getrennt. Immer wieder schleichen die beiden Seniorinnen von Wohnungstür zu Wohnungstür, um die Nähe der anderen zu suchen. Beide Frauen träumen davon, ihre letzten Jahre gemeinsam in Rom zu verbringen, wo sie sich einst kennengelernt haben. Aber noch weiß ihr Umfeld nichts von der Beziehung. Während Nina den gemeinsamen Aufbruch kaum erwarten kann, traut sich die Witwe Madeleine nicht, ihrer Familie von der neuen alten Liebe zu erzählen.
Filippo Meneghettis Drama hätte zu diesem Zeitpunkt eine recht konventionelle Geschichte über Outing und gesellschaftlichen Druck erzählen können. Doch „Wir beide“ geht in mehrerer Hinsicht ungewöhnliche Wege. Man muss da zunächst einmal die Themenwahl an sich loben. Wenn sich im Kino Menschen im fortgeschrittenen Alter lieben, dann werden sie gerne als kindlich naive Erscheinungen angesehen, die dann im Zuschauerraum belächelt werden. Oder aber sie werden in einer drastischen Körperlichkeit ausgestellt, mit der dann eine Konfrontation mit dem eigenen physischen Zerfall stattfinden soll. „Wir beide“ ist aber nun ein Film, der glücklicherweise weder in das eine noch das andere Extrem rutscht, sondern gekonnt einen Mittelweg wählt. Einer, der trotz seiner reduzierten Erzählweise lebendige und durchdachte Bilder findet, die ins Kino gehören. Das Liebesdrama sucht eine romantischen Utopie, die bis ins hohe Alter reicht und doch von der biologischen Uhr eingeholt wird.
Schauspielkino durch und durch
So ist nun der Fall, dass „Wir beide“ eben nicht einfach nur Coming-Out-Film geworden ist. Dieser Teil der Geschichte endet bereits nach gut zwanzig Minuten, der Film gewinnt dadurch ungemein. Was gäbe es auch noch zu erzählen? Wir kennen ja diese Dialoge, die in solchen Geschichten aufgesagt werden, die Probleme, die dramatischen Zuspitzungen. Das hat alles seine Dringlichkeit, aber ist eben auch schon oft gezeigt und durchexerziert worden, wenn auch meist mit jüngeren Figuren. „Wir beide“ ist aber deshalb so bemerkenswert, da er einen größeren Rahmen wählt.
Er braucht für diese enorme Melancholie noch nicht einmal viele Worte. Stattdessen ist das ein Film der stillen Beobachtungen. Und es gibt einiges zu beobachten! Mit Martine Chevallier und Barbara Sukowa gibt es hier zwei gestandene Darstellerinnen in den Hauptrollen zu sehen, die sich überragend durch all diese ruhigen Momente spielen. Bei denen man nie das Gefühl hat, dass es hier im bloße Technik, um ein Abspulen von Regungen und Blicken geht. Sondern die mit ganzer Kraft in ihren Rollen aufgehen, auch wenn sie im Grunde genommen nur selten aus ihrer Haut fahren dürfen.
So kommt es nun, dass die Erzählung schon nach ihrem ersten Akt einen Bruch erlebt. Madeleine, eine der beiden Liebenden, erleidet einen Schlaganfall und muss fortan gepflegt werden. Nina versucht nun, um jeden Preis weiterhin Teil ihres Lebens sein zu können. Der Konflikt rund um ein misslungenes Coming Out wird zu einer Auseinandersetzung mit dem Altern an sich. Wie kann denn die Liebe Bestand haben, wenn einer der beiden nur noch hilflos in seinem eigenen Körper gefangen ist? In dieser Hinsicht erinnert „Wir beide“ fast ein wenig an Michael Hanekes Kammerspiel „Liebe“. Zwar nicht ganz auf dieser Qualitätsebene und weniger finster, aber nicht weniger dramatisch.
Orientierungslose zweite Hälfte
„Wir beide“ krankt nur etwas daran, dass ihm irgendwann dabei die Stringenz verlorengeht. In seiner zweiten Hälfte zerfällt Meneghettis Geschichte in zu viele lose Szenen, die nur noch Bekanntes wiederholen. Mehrere Nebenfiguren wuseln da durch die Handlung, die jedoch selten mehr als bloße Repräsentanten sein dürfen, um den Konflikt am Laufen zu halten. Nur schleppend geht es vorwärts. Meneghettis Film ist überraschend unsentimental. Aber nicht, weil es dem Stoff an Tragik fehlt. Sondern weil wir das Liebespaar viel zu oft für erzählerische Umwege verlassen. Weil dieses Debüt noch etwas unbeholfen umherstolpert, wenn es darum geht, alle Figuren und Stationen zusammenzubringen.
So wie Nina die lästige Familie ihrer Geliebten loswerden will, möchten auch wir sie loswerden. Weil sie innerhalb der Erzählung Fremdkörper bleiben. Wahrscheinlich entfaltet die rührende Schlusssequenz auch deshalb so gekonnt ihre Wirkung, weil wir nach all den kleinen Längen endlich wieder zu dieser anfänglichen Chemie zwischen den beiden Darstellerinnen zurückkehren dürfen. Ohne ihr störendes Umfeld. Nur die beiden.
„Wir beide“ läuft ab dem 6. August in den deutschen Kinos.
Bildquelle:
- wirbeide2: Weltkino Filmverleih
- wirbeide: Weltkino Filmverleih