![das-licht-eidinger Lars Eidinger im Regen am Potsdamer Platz](https://www.digitalfernsehen.de/wp-content/uploads/2025/02/das-licht-eidinger-696x400.jpg)
Nach Jahren der TV-Arbeit ist Tom Tykwer („Lola rennt“) zurück im Kino: „Das Licht“ entpuppt sich als filmische Wundertüte und enttäuscht dennoch.
Es ist zum Augenrollen: Natürlich eröffnet die 75. Berlinale mit einem Film, den man leicht als „Liebesbrief an das Kino“ bezeichnen kann. Tom Tykwer, der zuletzt vor allem mit dem Serien-Hit „Babylon Berlin“ beschäftigt war, konstruiert seinen neuen Kinofilm, seinen ersten seit 2016, rund um eine Lampe. „Das Licht“ beginnt mit einer Kamerafahrt über den Dächern Berlins. Sie nähert sich langsam einem Wohnblock, wo es in einem Zimmer hell flackert. Schon von weitem ist das Blitzlicht zu sehen. Eine syrische Migrantin hat diese Lampe aufgebaut, von der man später erfahren wird, dass sie regelrechte Schocks kreieren kann. Eine Art Trance löst sie aus. Der Körper schüttet DMT aus, das dabei helfen soll, in eine Distanz zu sich selbst zu treten, sich selbst zu reflektieren.
Und dieses sinnestrübende Licht kann ebenso zur Ekstase führen und Kontakt zu einer anderen Sphäre ermöglichen. Natürlich ist das neben der therapeutischen Funktion – der Film erzählt von der Krise einer dysfunktionalen Familie – als große Kino-Metapher platziert. Menschen schauen in das Irrlicht und werden plötzlich mit ungeahnten Emotionen und Eindrücken konfrontiert. Der Verstand spielt ihnen Streiche. Ein anderer Blick auf den Alltag und die Welt tut sich auf. Aber Kino bleibt ebenso oft einfach nur Blendwerk und „Das Licht“ zählt leider zu dieser Kategorie Film.
Musical-Nummern in Berlin
An Ambitionen und Ideen fehlt es ihm keinesfalls! Und wahrscheinlich braucht man in der deutschen Filmindustrie erst einmal einen Status, wie ihn Tykwer genießt, um so formverspieltes, grenzüberschreitendes Kino überhaupt in der Größenordnung auf die Beine stellen zu können. Der Autor und Regisseur reichert sein Familiendrama mit allerlei Fantastik an. Gespenster werden hier beschworen. Trennlinien zwischen Diesseits und Jenseits, Gegenwart und Vergangenheit werden durchlässig. Geisterreich und Virtual Reality verschmelzen. Zwischendrin gibt es wiederholt Musical-Nummern. Eine davon, eine Interpretation von Queens „Bohemian Rhapsody“, verwandelt sich plötzlich in Zeichentrickbilder.
Eine Tunnelfahrt am Potsdamer Platz wird zur riesigen medialen Halluzination. Eine Tanznummer bringt Menschen zum Schweben und Fliegen. Das ist irgendwo angesiedelt zwischen der „Helene Fischer Show“ und ungebremster Kinoliebe, zwischen Fremdscham und Verblüffung, wie abwechslungsreich, aber auch wie bemüht und stocksteif das alles inszeniert ist. All das ästhetische Spiel und die Suche nach im besten Sinne irren Bildern, die dabei immer wieder entstehen, retten diesen Film nicht.
Tom Tykwer erzählt von der Krise einer Berliner Familie
„Das Licht“ bleibt behäbiges, auf fast drei Stunden aufgeblasenes deutsches Problemkino, das seine eigenen, arg unsympathischen Figuren ein Stück weit überschätzt. Tykwers Film handelt von den üblichen gestressten Berliner Patchwork-Großstädtern, die zwischen Weltschmerz, gecheckten Privilegien und allerlei Scheinheiligkeit, mit der man sich für das angeblich Gute in den Dienst der Wirtschaft stellt, versuchen, ihre Midlife-Crisis und familiären Schräglagen zu therapieren.
Flucht und Migration, die Klimakrise und Unberechenbarkeit des Kapitalismus, all die Reizwort-Debatten der Zeit, vom Gendern, Abtreibung, Transidentität bis zur Letzten Generation und anderen Protestbewegungen – all das soll in dieser Familie gespiegelt werden. Am Ende ist man näher an „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und Zeitgeistfilmen wie „Alter weißer Mann„, als es alle Beteiligten wahrscheinlich intendiert haben.
Dauerregen, schlechte Laune
„Das Licht“ könnte in Teilen als deutsches Pendant zum Oscar-Gewinner „Everything Everywhere All at Once“ gelesen werden. Auch hier explodiert der familiäre Alltag in wilden Tagträumen und Visionen alternativer Lebensentwürfe. Man durchschreitet Trugbilder und andere Sphären, um sich als Familie wieder zusammenzuraffen. Einfach mal wieder einander zuhören, einfach mal wieder Zeit verbringen und reden. Und leider wird diese Aussöhnung auch hier die meiste Zeit als Lösung angehimmelt, die viel fundamentalere Probleme überlagert.
Dazwischen: ganz viel Trübsal. Immerzu regnet es in der Hauptstadt. Lars Eidinger zieht blank und schaut traurig. Nicolette Krebitz spielt die frustrierte Mutter, die sich in der Küche vor ihrem Kind auskotzt wie Toni Collette im Horrorfilm „Hereditary“. Die Kinder halten Standpauken oder ziehen sich zurück und immer geht es so weiter.
„Das Licht“ begeistert erst im Finale
Dabei fängt das mitreißend an! Wenn Tom Tykwer seine einzelnen, in der Stadt verstreuten Figuren einführt und auf einen ersten Schicksalsschlag zusteuern lässt, ist das faszinierend über die Parallelmontage vernetzt. Tykwer eröffnet das Drama einer Familie mit demselben Pathos und einer ähnlichen Verschachtelung, wie es einst „Cloud Atlas“ getan hat, dieser mehrere Jahrhunderte umspannende Film, den Tykwer gemeinsam mit den Wachowski-Geschwistern inszeniert hatte.
Wenn sich all die Konflikte dann aber so schlagwortartig und behäbig immer wieder um die eigene Achse drehen und Dialogzeilen fallen wie „Jetzt bin ich die Kolonialtante!“, dann gleicht es einer Wohltat, wenn „Das Licht“ immerhin im Finale so richtig freidreht. Dann, wenn die Realitäten der privilegierten Berliner mit denen der syrischen Haushälterin verzahnt werden, die der Familie mit ihrer wundersamen Lampe bei der Krisenbewältigung hilft. Dann, wenn „Das Licht“ vollends zu einer Séance wird, die allzu naive Erlösungsfantasien mit allerlei Schrecken und offenen Enden versieht.
„Das Licht“ feierte seine Weltpremiere als Eröffnungsfilm der 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Am 20. März 2025 startet der Film regulär in den deutschen Kinos.