Michael Haneke ist Stammgast bei den großen Filmfestivals. Für seine Faschismus-Parabel „Das weiße Band“ wurde er 2009 mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Seine Filme sind oft wie Krimis ohne Auflösung. Am Freitag wurde der Meister-Regisseur 70 Jahre alt.
Am gefährlichsten ist es, wenn es ruhig wird: Bei Regisseur Michael Haneke ist Ruhe meist der Vorbote einer Katastrophe. Auf der Suche nach Wahrheit dringt der österreichische Filmemacher tief in menschliche Abgründe vor. Seine Bildsprache ist kühl und streng, sein Zugang intellektuell, sein Blick gnadenlos. An seinem 70. Geburtstag am vergangenen diesem Freitag (23. März) wollte er sich nicht feiern lassen.
Den Tag verbrachte er in oder bei Venedig – das hat sein Freund André Heller ausgeplaudert, der einen Tag vorher seinen 65. Geburtstag feiert. Heller und Haneke wollten demnach mit ihren Partnerinnen gemeinsam ein paar Tage im Süden sein. Eine Freundschaft, die auf den ersten Blick erstaunt: Heller, der Meister der bunten Sinnlichkeit, und Haneke, der strenge Analytiker, der die menschliche Natur auf den Seziertisch legt und dabei immer Gewalt und Grausamkeit findet.
Der Regisseur verlangt dem Publikum viel ab. Dabei sind seine Filme elegant und kühl inszeniert, oft wie ein Thriller oder ein Krimi. Doch die Auflösung bleibt Haneke schuldig. Das sei sein Prinzip, sagte er, als er 2009 in Cannes für seine Faschismus-Parabel „Das weiße Band“ mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Die Aufgabe von Kunst sei es, Fragen zu stellen. Danach sei der Betrachter dran: „Ein Film ist wie eine Sprungschanze. Springen muss der Zuschauer selbst.“
Haneke, der am 23. März 1942 in München geboren wurde und in Wiener Neustadt aufwuchs, kam erst spät zum Film. Der Sohn des Schauspielers Fritz Haneke und der Schauspielerin Beatrix von Degenschild studierte zunächst Psychologie, Philosophie und Theaterwissenschaften, arbeitete dann als Dramaturg beim Südwestfunk in Baden-Baden und debütierte dort im Stadttheater mit Marguerite Duras‘ Stück „Ganze Tage in den Bäumen“ als Theaterregisseur.
Erste eigene Fernseharbeiten brachten ihm bereits Erfolge, doch seine klare, einzigartige Bildsprache entwickelte Haneke erst mit dem Wechsel zum Kinofilm. Schon seine erste Arbeit „Der siebente Kontinent“ von 1989 wurde beim Festival von Locarno ausgezeichnet. Der Film wurde zum ersten Teil einer Trilogie über „die Vergletscherung der Gefühle“, dem Haneke 1992 die Studie über jugendliche Gewalt „Bennys Video“ und dann den Streifen „71 Fragment einer Chronologie des Zufalls“ folgen ließ.
Zwei Jugendliche, die ein Ehepaar mit Kind in ihrem Wochenendhaus mit sadistischen Spielen quälen und schließlich töten, ohne dass ein Grund dafür erkennbar ist: damit schockierte Haneke 1995 in dem Film „Funny Games“.
Große Bewunderung erntete Haneke in Frankreich, wo er seine Arbeit fortsetzte und zunächst Elfriede Jelineks verstörenden Roman „Die Klavierspielerin“ verfilmte. Für seine grausamen Erzählungen findet Haneke oft eine glamouröse Besetzung. Seine „Klavierspielerin“ war Isabelle Huppert, für „Code inconnu“ und „Caché“ gewann er Juliette Binoche, in „Funny Games“ begaben sich Susanne Lothar und Ulrich Mühe auf eine tödliche Wochenendfahrt.
Haneke ist überzeugt, dass „alle Formen von Gewalt und Terrorismus derselben Quelle entspringen“, sagte er in Cannes, wo er seit „Die Klavierspielerin“ Stammgast ist und mehrfach ausgezeichnet wurde. Der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand, der den Österreicher 2010 für sein Lebenswerk ehrte, sagte über den Regisseur, er zeige zwar Grausamkeiten auf, bewahre jedoch gleichzeitig Abstand dazu: „Haneke sucht in seinen Werken nach der Wahrheit und zeigt den Mechanismus der Gewalt und des Totalitarismus auf.“
Haneke ist seit 1983 verheiratet. Mit seiner Frau Susanne hat er einen erwachsenen Sohn. Seit zehn Jahren lehrt er Regie an der Wiener Filmakademie. Zur Zeit arbeitet er an dem in Paris gedrehten Streifen „Amour“, in dem ein Schlaganfall die Liebe eines alten Paares und die Beziehung zur Tochter auf die Probe stellt.Archiv
[Irmgard Rieger/su]
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