Ein Computer, der wie das menschliche Gehirn arbeitet, ist zwar der Traum der Computerindustrie aber bisher reine Science Fiction. Doch einige Wissenschaftler aus Bielefeld scheinen der Erfüllung des Traums etwas näher gekommen zu sein.
Wer das Labor von Andy Thomas betritt, sieht gelb. „Das Gelblicht brauchen wir, weil wir mit lichtempfindlichem Lack arbeiten“, erklärt der Experimental-Physiker. Thomas und sein Team von der Bielefelder Universität erforschen die sogenannten Memristoren. Ihre Messungen belegen, dass die elektronischen Bauteilchen ähnlich funktionieren wie die oft zitierten „grauen Zellen“. Das Ziel, einen Computer zu bauen, der ähnlich arbeitet wie das menschliche Gehirn, scheint einen Schritt näher gerückt zu sein.
Mit Hilfe der Memristoren sollen Computer entstehen, die beispielsweise selbstständig von ihrer Programmierung abweichen können, wenn eine neue Verbindung häufiger genutzt wird als die ursprüngliche: Wenn etwa eine Sonde auf Weltraummission ein unvorhergesehenes Objekt gleich mehrfach registriert, könnte sie eigenständig einen Beschluss fassen, nämlich dass es von Belang sein könnte, zumindest Daten über die Begegnung zu sammeln und zur Erde zu senden.
Der Bielefelder Physiker Thomas hält eine kreisrunde Grundplatte in der Hand, den „Wafer“. Hier befinden sich mehrere hauchdünne, metallhaltige Schichten übereinander. Das Herzstück besteht aus einer Schicht Magnesiumoxid, die auf beiden Seiten von Kobalt-Eisen-Bor umgeben ist. Zusammen bilden sie die Funktionsschicht, aus der mittels Fotolithografie und Ätzung die Memristoren entstehen.
Dazu wird die Funktionsschicht mit Fotolack überzogen und belichtet. Was nach der Entwicklung vom Lack übrig bleibt, markiert die späteren Memristoren. Und nur, was sich unter dem Lack befindet, bleibt, die restliche Funktionsschicht wird komplett weggeätzt. Am Ende befinden sich auf dem Wafer zahlreiche winzige Türmchen der dreiteiligen Funktionsschicht: eine Vielzahl von Memristoren, die zusammen ein Nano-Speicherelement bilden, das Thomas und sein Team für ihre Untersuchungen benötigen.
Das Ganze spielt sich in Größen-Dimensionen ab, die die menschliche Vorstellungskraft stark strapazieren, wie Andy Thomas durch einen Vergleich deutlich macht: „Die Höhe eines Memristoren- Türmchens entspricht der Dicke eines tausendmal gespaltenen Haares“. Doch die Winzlinge haben es in sich: Denn anders als die bislang üblichen Transistoren merken sie sich, wenn Strom durch sie hindurch geflossen ist; die sogenannte memristive Leistung erbringt die mittlere Schicht, hier das Magnesiumoxid.
Die Verbindung wird stärker, je öfter sie genutzt wird – ähnlich wie bei menschlichen Nervenzellen, deren Synapsen umso schneller reagieren, je häufiger sie aktiviert werden. Beispiel: Wenn etwa ein Schüler das Einmaleins so lange übt, bis zwischen den Zahlen vier, sieben und 28 sozusagen eine Standleitung geschaltet ist.
Was im Pennäler-Hirn automatisch funktioniert, hat das Team um den Experimental-Physiker Thomas jetzt erstmals für die Memristoren nachgewiesen. „Unsere Messungen zeigen, wie stark der Strom sein muss und wann er fließen muss, damit die Leitfähigkeit sich auf ähnliche Weise verstärkt wie die Verbindungen im menschlichen Gehirn“, erläutert er. „Damit ist belegbar, dass Memristoren tatsächlich Nervenzellen imitieren und mit ihnen der Bau künstlicher Gehirne möglich ist“.
Experten der Luft- und Raumfahrt verfolgen die Forschung mit großem Interesse. Allerdings vor allem deshalb, weil die winzigen Speicherelemente wahre Energiesparwunder sind. Andreas Schütz vom Deutschen Zentrum für Raum- und Luftfahrt in Berlin: „Das Energiemanagement ist eine der wichtigsten Rahmenbedingungen für erfolgreiche Weltraummissionen. Wenn wir weniger Energie benötigen, müssen wir sie erst gar nicht mitnehmen“.
„Noch sind die Experten sich nicht einig über den genauen Nutzen der neuen Technik“, sagt Rainer Waser von der RWTH Aachen, der eines der führenden Forscherteams auf dem Gebiet leitet. Deshalb werde zurzeit beispielsweise das Verhalten unterschiedlicher Materialien untersucht. „Wir müssen realistisch sein: Bis ein Computer tatsächlich ähnlich wie ein menschliches Gehirn arbeitet, dauert es auf jeden Fall noch eine ganze Weile“. Aber schon mit der enormen Energieeinsparung werde der Memristor den Computermarkt revolutionieren.
Der Name Memristor setzt sich zusammen aus den Worten Memory (Speicher) und Resistor (elektrischer Widerstand). Die theoretische Basis für Speicherelemente mit Gedächtnisleistung legte 1971 der Amerikaner Leon Chua. Allerdings nahm dann die Entwicklung von Transistoren als Speicher einen zielgerechteren Verlauf als die Erforschung von Memristoren, Chuas Idee geriet in Vergessenheit. 2008 wurde seine Theorie von Wissenschaftlern des Unternehmens Hewlett Packard wiederentdeckt und ein erster Memristor entwickelt. Sie lösten damit eine neue Forschungswelle aus.
Inzwischen erforschen weltweit 30 Teams Memristoren. Die Chancen liegen in der hohen Leistungsfähigkeit bei geringem Energieaufwand. Praktische Anwendung finden Memristoren noch nicht. Denkbar ist die Ersetzung von Transistoren durch die viel kleineren Memristoren, aber auch die Entwicklung künstlicher Netzwerke, die sich den Funktionen eines menschlichen Gehirns nähern. Am konkretesten klingen Pläne, Memristoren auf Speicherkarten für Digitalkameras einzusetzen. [Deate Depping/rh]
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