„Liebesdings“ mit Elyas M’Barek: Hier tanzen die Tampons

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In Anika Deckers neuer Komödie „Liebesdings“ stolpert ein als Sexsymbol verehrter Filmstar in die Welt des feministischen Theaters. Das prominente Ensemble kann wenig retten.

Ein Schritt vor, ein Schritt zurück, so geht das „Liebesdings“. Da stehen alle Zeichen auf Emanzipation, Annäherung, Liberalisierung – quasi in Form einer imaginären Checkliste mit vielen identitätspolitischen Streitthemen, die gerade öffentlich verhandelt werden. Anika Deckers Komödie baut sich ein Gruppenbild, das sich aus queeren Identitäten und marginalisierten Perspektiven zusammensetzt. Dennoch: Den Auslöser betätigt man mit dominanzkulturell geprägtem Blick.

Ein waschechter Ensemblefilm ist dabei herausgekommen, das ist prinzipiell nett anzusehen. Elyas M’Barek spielt mit, Lucie Heinze, Rick Kavanian, Peri Baumeister, Jochen Schropp oder auch Maren Kroymann – prominente Namen, die die Regisseurin gekonnt zusammenhält. Gegenwärtig, zeitgeistig, inmitten aktueller Diskurse will sich Deckers Unterhaltungsfilm dabei positionieren und wirkt doch nur oberflächlich zeitgemäß. Vielmehr entfaltet sich sein Plot wie ein sehr langes Pamphlet. Es sagt gefällige Statements am laufenden Band auf, zu denen sich die Bilder einfach nicht passend verhalten wollen.

Anika Decker hat in den vergangenen Jahren einige sehr publikumswirksame deutsche Komödien geschrieben und/oder inszeniert. Dazu zählen etwa der Til-Schweiger-Hit „Keinohrhasen“ oder die Komödie „Traumfrauen“. Ihr neuester Streich begibt sich nun mitten hinein in die eigene Branche, wo ein gefeierter Filmstar namens Marvin (Elyas M’Barek) keine Lust mehr auf Boulevardpresse, Premieren und aufdringliche Verehrerinnen hat. Auf seiner Flucht aus dem Geschäft landet das wandelnde Sexsymbol in einem feministischen Theater, das kurz vor dem Ruin steht. Dort performt Frieda (Lucie Heinze), mit der Marvin eine Affäre beginnt, während er um seinen eigenen Ruf fürchten muss. Eine Star-Reporterin hat es auf ihn abgesehen.

Der Star und die Presse

Der Blick aus der Komfortzone

Die altbackene Liebesgeschichte, der allzu vorhersehbar zusammengeklaubte Plot, das ist noch nicht einmal das große Problem des „Liebesdings“. Nein, es ist die Verhätschelung des Publikums, dem Deckers Film so wenig zutraut. Ein Vorwurf, der in all den Social-Media-Diskussionen gerne vorgebetet wird, wenn es etwa um Fragen nach Sexualität und Geschlecht geht, ist, es handle sich um rein akademische und damit nischige, also vermeintlich unbedeutende Debatten, die von einer kleinen Minderheit ausgehen. Dass diese Debatten in der Regel am erbittertsten von denjenigen geführt werden, die sich von jener vermeintlichen Nische abgrenzen wollen, sei dahingestellt.

Ein Film wie „Liebesdings“ kommt nun mit der löblichen, aber auch naiven Mission daher, gegen verkrustete Strukturen innerhalb der ganzen Konflikte anzukämpfen, sie mit etwas Liebeskitsch von der Bedeutung von Toleranz und Diversität überzeugen zu wollen – auf merkwürdig scheinheilige Weise. Denn da wird ja überhaupt kein Weltbild, keine Perspektive ernsthaft erschüttert mit diesem Film. Da verharrt doch viel zu viel in verstaubten Narrativen, Bildern und Rollenmustern. Geeinigt wird sich höchstens auf kleinste gemeinsame Nenner.

Friedas Theater steht vor dem Aus

Drogentee und Mundart-Gags

„Liebesdings“ bietet seinem Publikum kaum Anlass, die eigenen Sichtweisen auf Mitmenschen grundlegend zu hinterfragen, von überholten Denkmustern vollends abzurücken, die Komfortzone zu verlassen, echte Irritationsmomente zu erfahren. Kaum ein Klischee wird bei allem Fortschrittsgeist ausgelassen, um die selbst ausgerufene Revolution lediglich als sanfte Streicheleinheit zu präsentieren, die am liebsten noch um Erlaubnis fragt, bevor sie zur Tat schreitet.

Im feministischen Theater erzählt man auf der Bühne von den Problemen der Männer, die Klitoris zu finden, bevor tanzende Tampons über das Podium wackeln. Eine betagte Revoluzzerin (Maren Kroymann) mixt irgendwelche Drogentees und schwule Nebenfiguren tapsen als wandelnde Witzfiguren durch den Film. Gekrönt von ulkigen Hüten und Mundart-Gags, die höchstens an alte „Schuh des Manitu“-Zeiten erinnern – alles unter dem Deckmantel der emanzipatorischen Botschaft.

Im Off-Theater tanzen die Tampons

Diskretion bitte!

Emanzipation, das heißt hier, wie bereits angedeutet, die Bekehrung des angehimmelten Schauspielers. Man könnte den Spieß zugleich umdrehen und sagen: Schon wieder ein Film, der seine Erlösung allein darin erfährt, dass der attraktive Mann mit seinen finanziellen Mitteln letztlich zur Rettung eilt, Lovestory inklusive! Was sich da als kollektive Vermählung andeutet, zieht sich direkt in die eigene Blase zurück. Vieles will nicht so recht zusammenpassen in dieser Komödie. Ihr betuliches Vorführen von Stereotypen und Karikaturen erscheint weder sonderlich clever noch allzu komisch.

Nicht weniger will man die Nase rümpfen, wenn man über das Selbstverständnis der Filmbranche nachdenkt, das „Liebesdings“ bei alldem äußert. Na klar, man will Elyas M’Barek ja bemitleiden, wie lästig das öffentliche Ausbreiten der Schmutzwäsche sein kann, die fehlende Privatsphäre. Aber es handelt sich doch um einen Trugschluss, wie sich „Liebesdings“ von Beginn an die ach so böse Welt der Klatschpresse ins Schwarz-Weiße rückt. Das sind alte Kamellen aus einem Promi-Komödien-Einmaleins, die schon ewig an der Realität vorbeigeirrt sind.

Der Star, der keiner sein will

Ohne Glamour kein „Liebesdings“

Die Kulturindustrie, in der „Liebesdings“ spielt, braucht Stars. Stars brauchen die Öffentlichkeit, die künstliche Fassade und die Bühne, auf der nicht nur, aber auch eine Biographie erscheint. Da besteht eine Wechselwirkung und Symbiose. Eine konfliktreiche, sicherlich, aber eine Symbiose, so sehr sich vielleicht jede Partei dagegen zu sträuben versucht. „Liebesdings“ scheut jedoch eine angemessen ambivalente Auseinandersetzung mit ebendieser Symbiose. Da werden in erster Linie Schattenseiten aufgezählt.

Deren angestrebte Überwindung erscheint so behauptet wie das gesamte letzte Drittel des Films, das mehr schlecht als recht seine einzelnen Handlungsfäden zu verknüpfen versucht, inklusive wüster charakterlicher Kehrtwenden. Ja, er negiert sogar ein Stück weit die Tatsache, dass er doch selbst vom Star-Glamour seines Ensembles, von der aufpolierten Fassadenhaftigkeit seiner gesamten Welt lebt.

Deckers Film verlässt sich lieber auf seine bequemen Gut-Böse-Fraktionen und lässt nebenbei das Fantasieren von der trauten Heimeligkeit und einem wahren Ich mitschwingen, das endlich einmal leben will, aber vom bösen Zwang der öffentlichen Inszenierung in Zaum gehalten wird. Man kann nach „Liebesdings“ nur erneut auf Jöns Jönssons brillante Komödie „Axiom“ verweisen, die sich dieser Gedankenschleife ungleich reflektierter annimmt. In Anika Deckers Film ist besagtes Ich, die Star-Persona, noch blauäugig damit beschäftigt, ihre eigene Vergangenheit reinzuwaschen und im vermeintlich Kleinen, Abgeschotteten und damit Rebellischen die frisch entdeckte Selbstverwirklichung zu finden. Nur eines hat sie dabei noch nicht bemerkt: Sie ist schon längst in die nächste Rolle geschlüpft.

„Liebesdings“ läuft ab dem 7. Juli 2022 bundesweit in den deutschen Kinos.

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Bildquelle:

  • liebesdings-df: Constantin Film
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