Skandalregisseur Paul Verhoeven jongliert in „Benedetta“ lustvoll mit Sünde, Tabu und Glaube, um sich dem Göttlichen anzunähern. Jetzt läuft der Historienfilm in den Kinos.
Vor dem Kloster brennen die Fürze. Komödianten treiben Schabernack auf einer Bühne, irgendwo zwischen Totentanz und Fäkaltheater. Zuvor kackt ein Vogel einem Räuber auf den Kopf. Ein göttliches Zeichen! Allein der Weg, den Paul Verhoeven seine titelgebende Benedetta hinein in die heiligen Ordensmauern zurücklegen lässt, ist gepflastert von ersten Leibesspäßen und kleinen Ferkeleien, die im Laufe des Films gleichermaßen Schauwerte und erzählerisches Prinzip werden.
Die angehende „Braut Christi“ wird für eine stolze Summe an das Kloster verkauft. Ihr Vater solle nur nicht „schachern wie ein Jude“, mahnt Mutter Oberin Charlotte Rampling, die neben „Dune“ in diesem Jahr ein weiteres Mal die strenge Ordenshüterin mimt. Ihre Glaubensgemeinschaft erscheint als elitärer Zirkel, der die Hand nach der Mitgift ausstreckt. Später wird Benedetta in die grausamen Mühlen der Inquisition der Männer geraten, die im Hintergrund die Strippen ziehen.
Nach einer wahren Geschichte
Benedetta, das ist ein junges Mädchen, das nachts an der entblößten Brust einer Marienstatue saugt, welche plötzlich auf sie herabstürzt. Eines von mehreren Wundern, die darum ringen, als solche akzeptiert zu werden. Paul Verhoeven, der Regisseur hinter Kult-Werken wie „Basic Instinct“, „Showgirls“ und zuletzt „Elle„, zieht das als furchtbar unterhaltsames und mitreißend erzähltes Spektakel auf.
Basierend auf dem Sachbuch „Immodest Acts“ der Autorin Judith C. Brown, dient ihm die reale Geschichte der lesbischen Nonne Benedetta Carlini, die im 17. Jahrhundert zur Äbtissin aufsteigt, als Stoff für eine Religionsstunde für unsere postsäkularen Zeiten. Zusammengerührt in einem großen Potpourri aus Nunsploitation-Referenzen, Softcore, B-Movie-Schwulst, Mysterienspiel und wiederentdeckter Heiligkeit. Mit Bartolomea kommt eine weitere Novizin in das Kloster, die vor ihrer übergriffigen Familie flieht. Beim Plausch auf der Latrine kommen sie und Benedetta sich näher. Im strengen Sittenkorsett erwächst eine verbotene Liebschaft.
Das Inventar des Nunsploitation-Kinos
Verhoeven lässt kaum eine Pseudo-Anrüchigkeit aus, um auch im Jahr 2021 noch für hitzige Statements zu sorgen, die seit dem Festival in Cannes mal ironisch, mal mit eigenartiger Vehemenz grassieren und ausgefochten werden. Sex, Körperflüssigkeiten, Peitschenhiebe, Folter, Besessenheit, sadomasochistische Bestrafungen.
Jesus erscheint als hipper Verführer, der im Traum Kriminellen den Kopf abschlägt, den man blutend am Kreuz anschmachtet und der – Huch! – plötzlich seine Vagina enthüllt. Ernsthaft schmuddelig wirkt das selten, die Bilder sind opulent, mitunter kitschig, durchweg glänzend aufpoliert. Ein trashiges Kostümfest, dem mehr am Arrangement seiner Versatzstücke als an stilistischer Vollendung liegt.
Verklemmte können auf die Schockeffekte empört reagieren. Von „Blasphemie“ war hier und da zu lesen. Andere werfen dem Regisseur Sexismus vor ob der notgeilen Blicke, die er auf seine nackten, kopulierenden und gequälten Frauenkörper wirft. Ob des Machtmissbrauchs und des Unheils, von denen die lesbische Beziehung hier zu leben scheint. Nun, man kann sich an solchen Fragen abarbeiten und zugleich Verhoeven ins Netz gehen. Die eigentliche Provokation von „Benedetta“ besteht nicht in all dem lustvoll ausgestellten Altherren-Schweinkram, sondern in seiner radikalen Religiosität.
Kirchenkritik trifft auf Gottessehnsucht
Verhoeven lädt unter seiner effektheischenden Fassade zu einer durchaus vielschichtigen Auseinandersetzung mit dem Katholizismus ein. Er irritiert, indem er das 2021er-Publikum das Wundersame neu erkunden lässt. Genre-Kenner mögen auffächern, bei welchen Filmen er sich dabei bedient. Der Klasse von Verhoevens Werk tut das keinen Abbruch. Sein Vorhaben geht über bloße Institutionskritik hinaus, die in anderen Kritiken immer wieder angeführt wurde.
Ja, die Kirche ist in ihrer Historie ein Haufen engstirniger, gieriger Männer, die alles zerstören, was nicht in ihre errichtete Ordnung passt. Die Emanzipationsbotschaft ist die naheliegendste, die Benedetta ihrem Publikum mit Teufelszunge entgegenbrüllt. Ihr eigentlicher Konflikt ist vertrackter. Das Messianische ihrer Figur entfacht sowohl Triumphjubel als auch Unbehagen. Verhoevens gewitzter Historienschinken ist auch, aber nicht ausschließlich damit zu fassen, dass es allein um die Ausübung freier Liebe im eigenen Nest als ultima ratio ginge. Nur konsequent, dass jede Rückzugsfantasie im Film zum Scheitern verurteilt wird.
Benedetta: Heilige oder Hochstaplerin?
Das Erlösende und letztlich Wundersame strömt in „Benedetta“ aus dem leiblichen Exzess, aus dem Schinden, Entäußern und Neudenken des Sündhaften. Dem Unterdrücken und Überwinden des Fleisches steht dessen Erkundung und Entfesselung gegenüber oder bedingt sogar einander. Vielleicht wohnt der Sadomasochismus dem Glaube von Natur aus inne? Als Lust an der Unterwerfung unter das höchste Versprechen, am Auferlegen von Verboten, Regeln oder gar Marter. Benedetta dreht dieses Spiel lediglich einige Stufen weiter.
Man könne Jesus nur im Leiden erfahren, erklärt man ihr im Beichtstuhl. Sie stellt dem die Erotik gegenüber und letztlich die Kreuzung aus Erotik und Leid. Weil das eine Figur ist, die sich fehlbar macht, indem sie die Riten des Klosterlebens bis zum Äußersten durchlebt und durchleidet, Ja, vielleicht als Einzige wahrhaftig erfahren kann. Obwohl sie der göttlichen Fügung eventuell auf die Sprünge hilft.
Während der gespielten Himmelfahrt in einer Theateraufführung zerstört sie die Illusion, weil ihr der Herr leibhaftig erscheint. Zugleich folgt der Rückfall ins Profane. Auf Stigmata und Dornenmal will sie nicht warten, nicht auf das ewige Gebet vertrauen. Eine Glasscherbe schafft Abhilfe. Oder war es doch ganz anders? Ist da wirklich ein Wunder geschehen? Verhoeven lässt das bis zum Schluss im Vagen. Alles wäre ruiniert, sobald er sich diesbezüglich festlegen würde.
Der Blick durchs geheime Guckloch
Der Glaube braucht seine Inszenierung, ihm reicht das Symbolische. „Benedetta“ feiert seine Transzendenz-Fantasien im Gespielten, Zeichenhaften wie im Performativen, im unverfälschten Widerfahren von körperlichen Ausnahmezuständen. Die mögliche Lüge und Manipulation muss bei Verhoeven als solche akzeptiert werden, um tatsächlich in die höheren Sphären vorzudringen. Benedetta muss zurückkehren, um diese Botschaft zu verkünden. Das Kloster braucht sie, auch wenn es noch nicht darum weiß.
Ohne Tabu keine Sünde, ohne Sünde keine Überschreitung und Transzendenz, das erzählt Verhoeven. Zugleich erscheint das reale Wunder nicht minder wirkungsvoll als das inszenierte. Es reicht, um Macht auszuüben, sofern es sich ins Verschwommene und Geheime zurückzieht. Wobei wir wieder im Schlafzimmer wären. Auch wenn womöglich bereits von draußen ein skeptisches Auge durch ein kleines Guckloch späht. Es erblickt das Heilige oder vielmehr: eine Version dessen.
„Benedetta“ ist mitnichten eine bloße Dekonstruktion christlicher Einfalt und Manipulationsfähigkeit. Er provoziert vielmehr mit einem Verkomplizieren und Beharren darauf, dass da vielleicht tatsächlich Höheres im Gange ist. Damit religiöse Institution und Fetischobjekte lustvoll entweiht werden können, müssen diese erst einmal in ihrer Heiligkeit anerkannt werden. Eine Marienstatue, die als umfunktionierter Dildo zur höchsten Ekstase führt – ein größeres Glaubensbekenntnis kann man kaum inszenieren.
„Benedetta“ von Paul Verhoeven läuft seit dem 2. Dezember 2021 in den deutschen Kinos.
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