[Kinokritik] „The Tree Of Life“: Das Leben als Bilderrausch

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Bild: © Romolo Tavani - Fotolia.com
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Mit seinem neuen Film „The Tree Of Life“ bleibt Ausnahme-Regisseur Terrence Malick seinem bildgewaltigen und wortkargen Konzept von „Der schmale Grat“ und „The New World“ treu und erzählt die Geschichte des Lebens.

Die O’Briens repräsentieren das Ideal einer amerikanischen Vorstadtfamilie in den 50er Jahren. Der Vater arbeitet in leitender Position, die Mutter zieht die drei Kinder auf. Ein Haus, ein Garten, sonntägliche Besuche des Gottesdienstes – alles schein perfekt zu sein. Doch die Fassade trügt.
 
Vor allem Jack (Hunter McCracken), der älteste von drei Söhnen, wird von seinem Vater (Brad Pitt) streng erzogen, damit dieser später ganz oben auf der Karriereleiter landet. Im Gegensatz dazu vermittelt die warmherzige Mutter (Jessica Chastain) ihren Kindern, die Schönheit der Dinge wahrzunehmen und das Leben an sich zu achten.
 
Zwischen den beiden Polen hin- und hergerissen, entwickelt sich zwischen Vater und Sohn eine komplizierte Beziehung, die sich in einem zunehmend aggressiven und auflehnenden Verhalten ausdrückt. Nicht zuletzt der frühe Tod des jüngeren Bruders Steve lässt den erwachsenen Jack (Sean Penn) trotz lukrativen Jobs völlig desillusioniert seine eigene Existenz hinterfragen, um eine Antwort auf den Sinn des Lebens zu finden. Die Macht der Bilder

Mit einem biblischen Zitat von Hiob bereitet Malick den Zuschauer auf die folgende bildgewaltige Geschichte über Schöpfung und Zerstörung, Natur und Gnade vor. Gleich zu Beginn erfüllt sich mit dem Tod des Sohnes Steve die Hiobsbotschaft und führt dem Publikum bereits in der Anfangsphase des Films die Vergänglichkeit des Lebens vor Augen. Eine wortlose, entfremdete und wenig Trost spendende Berührung des Ehemanns genügt, um die Beziehung der Eheleute zu charakterisieren.
 
Und auch im weiteren Verlauf reduziert Malick den Wortanteil auf ein Minimum und lässt parallel zu seinen frühere Filmen lieber die Kraft der Bilder sprechen, die teilweise wie impressionistische Gemälde wirken.
 
Malick stellt in „The Tree Of Life“ elementare Fragen religiöser und existenzieller Natur und führt uns mit einer epischen Urknall-Sequenzdie unbändige Kraft der Natur in einem universellen Ausmaß vor Augen, um sie danach wieder auf den Mikrokosmos Mensch zu konzentrieren. Die visuell beeindruckende Entstehung unseres Planeten ist zugleich der Beginn eines Kreislaufs, der Leben hervorbringt, um dieses scheinbar willkürlich, in diesem Fall von einem Meteor, wieder vernichten zu lassen.
 
Auf die Menschheit übertragen, ist es das Schicksal, welches als unberechenbarer Faktor in unser aller Leben tritt und es jederzeit zerstören kann. So, wie es uns am Beispiel der religiösen O’Briens vor Augen geführt wird. Mit dem Tod des Sohnes, dessen Ursprung unklar bleibt, wird die Frage aufgeworfen, warum Gott scheinbar willkürlich über Freude und Leid entscheidet, Leben gibt und Leben nimmt und auch rechtschaffene Menschen nicht von Schicksalsschlägen verschont.

Immer wieder lässt Malick die Charaktere in einen kurzen Dialog zu Gott treten, um seine Entscheidungen zu hinterfragen. Geschickt wechselt er von einer abstrakten Ebene zu einer fassbaren Situation, indem er die Söhne den eigenen Vater als autoritäre Gestalt wahrnehmen lässt, der nicht Dad, sondern Vater genannt werden will. Eine Auflehnung gegen den eigenen Vater kommt somit einer Auflehnung gegen religiöse Doktrinen gleich.
 
Der Vater selbst versucht mit aller Macht, die Natur zu kontrollieren. Sei es im eigenen Garten oder beim kahler werdenden Rasen. Und wenn er nach einem Streit seine Frau festhält und fordert „Hör auf!“ scheint er damit der Natur an sich Einhalt gebieten zu wollen. Bewusst verzichtet der Regisseur auf die Verwendung von Vornamen der Elterteile, um die Assoziation von Vater/Religion und Mutter/Natur zu ermöglichen.Das Leben bewegt sich wie ein Fluss

Als zentrale Leitmotive nutzt Malick unter anderem die Elemente. So ist in „The Tree Of Life“ wiederholt Wasser zu sehen, sei es als tosendes Meer, als Fluss oder Wasserfall. Alles Leben entspringt dem Wasser und kehrt am Ende des Films als Ausdruck eines Jenseitsgedankens dorthin zurück. Das Feuer einer Kerze, die der erwachsene Jack in Gedenken an seinen Bruder anzündet, scheint die einzige Wärme in seinem trostlosen Leben abzugeben, in dem es keinen Platz für Intimität zu geben scheint. Ein Vogelschwarm im Dschungel der Hochhäuser, ein Schmetterling auf der Hand der Mutter und natürlich der Wald symbolisieren die Schönheit der Natur.
 
Malick scheint mit seiner bedeutungsvollen Bildsprache seine Zuschauer teilweise zu überfordern, schafft damit aber den Anreiz, sein Opus erneut zu sehen. Letztlich sollte der Filmfreund auch das Prinzip von Kultregisseur David Lynch im Kopf behalten und Sequenzen wirken lassen, anstatt alles bis ins kleinste Detail zu sezieren. Die Anleihen bei Stanley Kubricks „2001“ sind natürlich offensichtlich, stammen die Bilder des Urknalls doch von Douglas Trumbull, der bereits für die Effekte in Kubricks Kultfilm verantwortlich war.
 
Wie die Natur ständig in Bewegung ist, ist es auch die Kamera, die den Zuschauer direkt am Geschehen teilhaben lässt. Wie ein stiller Beobachter wird er durch die gekonnte Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki zum Teil der Familie und ist an allen Dingen beteiligt, durchlebt Trauer und Freude, Aggression und Sinnlichkeit.
 
Der Faszination der Bilder steht der Soundtrack in nichts nach. Von leisen Klaviertönen bis bombastischen Chören werden intime Momente wie die Geburt von Jack noch emotionaler, währenddie Urknall-Sequzenz in einen Rausch der Sinne gesteigert wird. Der klassisch gehaltene Score von Oscar-Preisträger Alexander Desplat verbindet sich dabei nahtlos mit klassischen Zitaten von Ligeti und Berlioz.
 
Die Darstellerriege kann ebenfalls überzeugen. Brad Pitt mimt perfekt den autoritären Vater, während Jessica Chastain mit ihrer teilweise entrückt wirkenden Darstellung den lebensspendenden, gefühlvollen Gegenpart mit Leben füllt. Ein Blick in das desillusionierte Gesicht von Sean Penn genügt, um zu wissen, was im erwachsenen Jack vorgeht. Es ist aber vor allem den Jungdartsellern zu verdanken, dass die Geschichte immer wieder in der alltäglichen Realität Fuß fasst. Vor allem Hunter McCracken als junger Jack brilliert in seiner Rolle.Kontroverses Kino für Kopf und Sinne

Malick hat mit „The Tree Of Life“ einen Film geschaffen, der Kino für den Kopf, aber kein rein verkopftes Kino darstellt. Zwar fordert der Film die volle Aufmerksamkeit seines Publikums, belohnt es aber mit einem einzigartigen, spirituellen Kinoerlebnis. Die zentralen Aussagen scheinen fasst schon banal, sind aber in der von Malick präsentierten Erzählform einzigartig. Und auch, wenn der Zuschauer droht, sich in der nicht linearen Erzwählweise, der impressionistischen Bildsprache und dem reduzierten Gebrauch von Dialogen zu verlieren, führt der Regisseur ihn stets zurück in das Geschehen.
 
Während der Premiere bei den Filmfestspielen gab es für den Gewinner der Goldenen Palme neben Standing Ovations auch Buh-Rufe. Einige Kritiker werfen Malick vor, sein Werk wäre überladen, kitschig und würde Religion verherrlichen. Tatsächlich feiert „The Tree Of Life“ das Leben an sich und stellt keine reine Bibelstunde dar. Keine Frage – Malicks Epos spaltet. Doch das ist für den Ausnahmeregisseur nichts neues. Genauso wenig, wie für sein Publikum.
 
Für Fans von „2001“, „The Fall“, „Solaris“ und „The New World“.
 
Originaltitel: The Tree Of Life | Produktionsjahr: 2011| Genre: Drama Darsteller: Brad Pitt, Sean Penn, Jessica Chastain, Hunter McCracken, Tye Sheridian, Laramie Eppler, Fiona Shaw Regie: Terrence Malick | Drehbuch: Terrence Malick | Musik: Alexander Desplat | Kamera: Emmanuel Lubezki

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[Rayk Hoppe]

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5 Kommentare im Forum
  1. AW: [Filmkritik] "The Tree Of Life": Das Leben als Bilderrausch Beim letzten Kinobesuch den Trailer gesehen - sieht sehr interessant aus der Film. Aber ich denke den werd ich mir mal auf BD reinziehen .. ins Kino zieht er mich nicht
  2. AW: [Kinokritik] "The Tree Of Life": Das Leben als Bilderrausch Also mir gefällt der Trailer. Ob ich mir den Film im Kino ansehe, weiß ich aber noch nicht. Ich denke, ansehen werd ich ihn auf jeden Fall. Schön das man bei DF jetzt auch mal so etwas zu lesen bekommt. Ist ja nen potenzieller Kandidat für VoD oder Pay-TV. Obwohl er glaub ich für's Free-TV zu "spirituell" ist. :P
  3. AW: [Kinokritik] "The Tree Of Life": Das Leben als Bilderrausch Ich habe den Film gesehen. Er ist wirklich absolut SEHR sehenswert, aber keine leichte Kost. Da ich ein riesiger Fan bin von Terrence Malick, kann ich nur sagen : Thumbs up.
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