Kinokritik: „Hugo Cabret“ – Scorseses Oscar-reifes Märchen

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Bild: © Romolo Tavani - Fotolia.com
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Was kommt dabei heraus, wenn ein Altmeister des Kinos ein Kinderbuch verfilmt? Ein Märchen, das auch Erwachsene verzückt. Mit „Hugo Cabret“, nominiert für elf Oscars, entführt Martin Scorsese die Zuschauer in eine Wunderwelt – und widmet den Pionieren des Films eine zauberhafte Hommage.

Die Zeitreise ins Paris der 1930er Jahre, wo Hugo Cabret lebt, beginnt mit einem fantastischen 3D-Kameraflug durch ein riesiges Uhrwerk. An gigantischen Zahnrädern vorbei saust das Publikum durch einen historischen Bahnhof hindurch, über die Dächer der Stadt hinweg und bis in ihre Straßen hinab, in denen verführerisch die warmen Croissants dampfen und alle Welt Tango tanzt.
 
Dieses stark romantisierte Parisbild ist die ideale Kulisse für die Verfilmung von Brian Selznicks Bestseller „Die Entdeckung des Hugo Cabret“. Mit dem Kinderthema beschreitet der US-amerikanische Regisseur Martin Scorsese, der im kommenden November 70 Jahre alt wird, neue Pfade. Denn der Altmeister des Kinos hat zuletzt vor allem monumentale Historienfilme („Gangs of New York“, „Aviator“) und harte Mafia-Geschichten auf die Leinwand gebracht („Casino“, „Departed – Unter Feinden“).
 
Aber wenngleich Scorsese hier etwas andere Töne anschlägt, so erzählt er doch auch diesen Film mit viel Spannung. Das ist offenbar ein Erfolgsrezept. Für sein Paris-Märchen wurde er bereits mit einem Golden Globe für die Beste Regie ausgezeichnet und der Film ist für elf Oscars nominiert. Zu Recht. Denn mit „Hugo Cabret“ hat Scorsese nicht weniger geschaffen als einen neuen Klassiker.

Der gewitzte Kinderheld Hugo (Asa Butterfield) schlägt sich als Uhren-Steller in einem großen Pariser Bahnhof durch. Sein Onkel, der lieber dem Alkohol frönt als zu arbeiten, hat ihm einst beigebracht, wie man die Zeitmesser instand hält. So lebt Hugo in den versteckten Wohnräumen hinter dem Ziffernblatt einer Riesenuhr, stets auf der Hut vor dem knurrigen Bahnhofspolizisten („Borat“-Darsteller Sacha Baron Cohen), welcher nichts lieber tut, als heimatlose Waisen wie ihn ins Heim einzuliefern.
 
Doch Hugo hat auch ein großes Geheimnis. Er bastelt unermüdlich an einem defekten Schreibroboter, den ihm sein verstorbener Vater (Jude Law) hinterlassen hat. Der vereinsamte Junge hofft, dass die Maschine ihm eine Botschaft übermitteln könnte. Doch als ihn ein Kramladenbesitzer (Ben Kingsley) beim Klauen erwischt, nimmt dieser ihm ausgerechnet das Skizzenbuch mit der Reparaturanleitung ab. Fortan kämpft Hugo darum, das Heft zurückzubekommen.
 
Dabei freundet er sich mit der Ziehtochter des Händlers an, der Leseratte Isabelle (Chloë Grace Moretz). Schnell gewinnt er das abenteuerhungrige Mädchen als Komplizin für seinen Plan. Was Hugo nicht weiß: Der kauzige Krämer ist niemand geringeres als der gealterte und melancholische Kinopionier Georges Méliès, der zunächst als Zauberer und Theaterbesitzer berühmt wurde, um später die Leinwandkunst für sich zu entdecken und als Produzent und Regisseur mehr als 500 Filme zu drehen.

Scorsese nutzt das Erbe des realhistorischen Filmpioniers, um in seinem Märchen die Magie des Kinos zu feiern. Damit wird „Hugo Cabret“ stellenweise zu einer Art fiktiver Dokumentation, in der die Zuschauer das Filmmaterial von Méliès neu entdecken können, etwa dessen frühen Science-Fiction-Film „Die Reise zum Mond“ von 1902.
 
Doch Scorsese geht noch weiter und setzt Sequenzen aus berühmten Stummfilmen neu in Szene, zum Beispiel wenn sich Hugo auf der Flucht vor dem Bahnhofspolizisten an den Zeiger der Riesenuhr hängt, der sich unheilvoll weiter nach unten bewegt. Damit erlebt der junge Held am eigenen Leib eine Filmszene, die er kurz zuvor auf der Leinwand gesehen hat, als er sich mit Isabelle in eine Vorführung der Komödie „Ausgerechnet Wolkenkratzer!“ (1923) mit Harold Lloyd schleicht.
 
In einer anderen Szene wiederum rollt ein Zug bedrohlich in die Bahnhofshalle hinein und scheint dabei aus der Leinwand hinaus zu fahren. Ein Effekt, vor dem sich schon das Publikum der Brüder Lumière überrascht weggeduckt hat („Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat“, 1896) und der sich nun neue Geltung verschafft durch die 3D-Optik, die in diesem Film auch insgesamt sehr gut durchdacht zum Einsatz kommt.
 
Mit seinem Märchen macht Scorsese der zauberhaften Illusionsmaschine Kino eine große Liebeserklärung. Der Film ist ein Geschenk an Cineasten und alle Kinogänger, die sich gern dazu verführen lassen, ganz und gar in eine Leinwandfantasie einzutauchen.Kinokritiken im Überblick
[Franziska Bossy]

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