Kino im digitalen Zeitalter: Hochsicherheitstrakt aus Hollywood

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Bild: © Romolo Tavani - Fotolia.com
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Mit der Digitalisierung wird das Ende des Kinos, wie wir es kennen, eingeläutet. Es ändert sich mehr als nur die Technik, denn die digitale Umrüstung hat auch Auswirkungen auf das Programmangebot und den Arbeitsmarkt.

30 Jahre lang war stets das vertraute Rattern des Filmprojektors zu hören, wenn der Vorführer Jens Wandrich (53) im Streit’s Kino am Hamburger Jungfernstieg einen Film eingelegt hat. Inzwischen herrscht im Vorführraum des renommierten Traditionskinos beklemmende Stille. Das Filmabspiel erfolgt dort jetzt per Knopfdruck. „Das digitale Projektionssystem ist einfach wie ein Videoplayer zu bedienen“, sagt der Filmvorführer – „solange alles läuft“.
 
Passiert eine technische Panne, sind die Kinobetreiber vom Terminplan der Techniker oder dem Know-how der Hotline-Mitarbeiter abhängig. Einen 35mm-Projektor konnte ein Vorführer selbst warten, um Störungen zu beheben. Bei den digitalen Systemen muss bei jedem Problem ein Service-Techniker gerufen werden. „Der digitale Projektor ist durch die von Hollywood auferlegte DCI-Norm ein Hochsicherheitstrakt“, sagt der Hamburger Arthouse-Kinobetreiber Hans-Peter Jansen. „Wenn ein Kinomacher oder Filmvorführer versucht, diesen Hochsicherheitstrakt zu betreten, schaltet sich das Gerät sofort ab.“

Die großen 35mm-Filmrollen sind in vielen deutschen Kinos bereits aus dem Vorführraum verschwunden, denn die Filmkopie liegt als digitale Datei auf dem Server. Damit dieses Digital Cinema Package (DCP) nicht einfach kopiert werden kann, lässt es sich nur mit einem digitalen Schlüssel öffnen, der separat geliefert wird. „Über den Schlüssel wird zugleich festgelegt, zu welcher Zeit ein Film in welchem Kino gezeigt werden darf“, erläutert Wandrich.
 
Derzeit sind im Streit’s Kino noch drei Filmvorführer beschäftigt, doch mittelfristig stirbt dieser Berufsstand aus. „Wenn ein Kino nur digital spielt, wird kein klassischer Kino-Vorführer mehr benötigt, um den Film einzulegen, umzurollen, scharf zu stellen“, erklärt der Wiener Programmkinobetreiber Michael Stejskal. Nach Schätzung von Matthias Elwardt, Geschäftsführer des Hamburger Abaton-Kinos, sind davon allein in Deutschland mehr als 5000 Filmvorführer betroffen, die von den Kinos entlassen oder in den weniger lukrativen Service-Bereich versetzt werden.
 
Für die Filmtheater ist die Digitalisierung mit hohen Kosten verbunden. Die digitalen Projektionsanlagen erfordern nach Aussage von Peter Dinges, Vorstand der Filmförderungsanstalt (FFA) in Berlin, Investitionen von 60 000 bis 80 000 Euro pro Kinosaal.
 
Da die digitalen Filmkopien wesentlich weniger kosten, sind die Verleiher gefordert, sich finanziell an der Umrüstung zu beteiligen. „Durch die Einführung neuer Geschäftsmodelle verändern sich grundlegend die klassischen Strukturen auf dem Kinomarkt“, konstatiert Adeline Monzier, Geschäftsführerin des unabhängigen europäischen Verleiherverbandes Europa Distribution.
 
Viele große Kinoketten in ganz Europa haben Verträge mit internationalen Firmen abgeschlossen, die ihnen die digitale Konvertierung vorfinanzieren, die Gelder von den Verleihern einsammeln, aber auch die Konditionen diktieren. „Diese Third-Party-Modelle sehen eine bestimmte Anzahl von Startkopien vor“, berichtet Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino, dem Verband der unabhängigen Arthouse-Kinobetreiber in Deutschland. „Deshalb müssen die Kinos die Filme der Verleiher, welche einen Vertrag mit den Third Parties geschlossen haben, über einen gewissen Zeitraum in bestimmten Vorstellungen spielen. Für den Einsatz von alternativen Content wie Oper und Fußball, aber auch für unabhängige Filme muss extra gezahlt werden.“
 
Die Hollywoodstudios bauen ihre Pole Position hingegen weiter aus. Da die Kopien im digitalen Zeitalter erheblich günstiger geworden sind, können immer mehr Kinos die großen Blockbusterfilme schon zum Start spielen. Potenzielle Kassen-Hits werden breiter gestartet. „Im Kinobereich schrumpft weltweit die Abspielbasis für Arthousefilme“, stellt der italienische Verleiher Antonio Medici fest. Da die Kinofilme in immer kürzerer Zeit ihr Geld einspielen müssen, ist für die Filmstarts zudem ein höherer Werbe- und Marketingaufwand erforderlich.
 
„Durch die Digitalisierung ist es erforderlich geworden, wesentlich mehr als zuvor ins Marketing zu investieren“, bestätigt Frank L. Stavik, Chef des norwegischen Kleinverleihs Fidalgo Film Distribution. Diese teuren Werbekampagnen können sich in der Regel nur die großen Studios leisten. „Die Konsequenz daraus ist“, prognostiziert Stavik, „dass es künftig ein kleineres Filmangebot gibt, das stärker von Hollywoodfilmen geprägt ist, während weniger europäische Filme ins Kino kommen werden.“ Und auch für den Filmvorführer aus dem Streit‘s Filmtheater steht fest: „Die Digitalisierung bedeutet das Ende des Kinos, wie wir es kennen.“[Birgit Heidsiek]

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