Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft feiert im Juli ihr 70-jähriges Bestehen. Die Wiesbadener Jugendschützer fordern bei der Altersfreigabe die Gleichbehandlung von Online-Medien und Kinofilmen.
Es ist still im kleinen Kinosaal an der Wiesbadener Murnaustraße. Nur fünf Zuschauer sitzen verteilt in dem Raum. Sie schauen konzentriert zu, wie der kleine Sam in seinen Ferien über den Tod nachdenkt und das Leben entdeckt. Dabei haben sie beleuchtete Klemmbretter auf den Knien und machen sich Notizen. Ab und zu wird gelacht, denn der Kinderfilm „Meine wunderbarseltsame Woche mit Tess“ ist streckenweise wirklich lustig.
Eigentlich fasst der Saal rund 100 Zuschauer, die fünf Frauen und Männer haben ihn aus einem wichtigen Grund ganz für sich: Sie prüfen im Auftrag der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), ab welchem Alter sich Kindern diesen Film im Kino anschauen dürfen.
Es gibt verschiedene Stufen – ohne Altersbeschränkung, ab 6, 12 oder 16 Jahren sowie keine Jugendfreigabe (FSK ab 18). Ein Kriterium für die Einstufung ist beispielsweise, ob Beziehungskonflikte bedrohlich auf kleinere Kinder wirken können und wie diese gelöst werden. Welche Bildfolgen kann ein Kind in welchem Alter verkraften? Bei Filmen für Jugendliche geht es unter anderem um die Frage, ob und wie Gewalt oder Sexualität dargestellt wird.
Die FSK ist eine Einrichtung der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft und hat ihren Sitz in Wiesbaden. Die Gesellschaft agiere selbstständig und finanziere sich zu 100 Prozent aus den Gebühren, die etwa Verleihfirmen für die Altersprüfung ihres Filmes zahlen, erklärt FSK-Geschäftsführer Stefan Linz. Es bestehe zwar in Deutschland keine gesetzliche Vorlagepflicht für Filme, aber faktisch würden fast alle im Kino laufenden Filme geprüft. Der jährliche Etat der FSK beträgt laut Linz rund drei Millionen Euro, die Prüfung eines Spielfilms kostet je nach Länge zwischen 1.000 und 1.500 Euro.
Während Filme im Kino und auf DVD aufgrund des Jugendschutzgesetzes geprüft werden, gilt bei Online-Angeboten der seit 2003 gültige Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder. Geht es nach Linz, sollten Filme online und offline in Zukunft gleich behandelt werden: „Es sind die gleichen Inhalte, die bei den Zuschauern auch die gleiche Wirkung erzielen“, sagt er.
Laut Linz sind die Regelungen bei Kinofilmen derzeit erheblich strenger. So dürfe ein Film, der von der FSK keine Altersfreigabe erhalten habe, Kindern und Jugendlichen im Kino nicht gezeigt werden. Bei Online-Inhalten reiche es aus, wenn der Anbieter selbst eine Altersbewertung vornimmt, auch wenn er dann die rechtliche Verantwortung dafür trage.
Die FSK, die am 18. Juli dieses Jahres ihr 70-jähriges Bestehen feiert, arbeitet seiner Auskunft nach daran, ihre Prüfverfahren zu vereinfachen. So soll in Zukunft nicht mehr jeder Film von einem fünfköpfigen Ausschuss begutachtet werden. Die Gesellschaft will ein Klassifizierungs-Tool mit Fragebogen entwickeln, das die Altersfreigabe bestimmt. „Rund 90 Prozent der freigegebenen Werbefilme erhalten von uns zum Beispiel die Altersfreigabe ab 0 Jahren und viele Fernsehserien, wie etwa aus dem Kinderprogramm, sind unter Jugendschutzaspekten ebenfalls eher unproblematisch“, sagt Linz.
Nächstes Jahr will die FSK das neue Prüfverfahren starten. Davon ausgenommen sind Filme, bei denen über die Altersfreigabe ab 18 Jahren entschieden wird. Solche Filme müssen sich Birgit Goehlnich, Annette Lohse, Sebastian Schnurr, Sandra Jung und Bernd Wolter weiterhin selbst anschauen. Die fünf Mitglieder des Arbeitsausschusses stimmen darüber ab, welche Altersfreigabe ein Film erhält. „Wir hatten hier schon Diskussionen, die eine Stunde dauerten“, erinnert sich Goehlnich, die als ständige Vertreterin der obersten Landesjugendbehörden als einzige Prüferin hauptamtlich Filme einstuft. Die restlichen vier Ausschussmitglieder arbeiten ehrenamtlich – so wie insgesamt mehr als 200 ehrenamtliche Prüfer.
Während ihres 70-jährigen Bestehens haben die FSK-Prüfer fast 250.000 Filme, Trailer und andere Inhalte begutachtet, wie Linz erklärt. Dabei gibt die Gesellschaft Filme für eine von insgesamt fünf Altersstufen frei ein. Diese reichen von der Freigabe ohne Altersbeschränkung bis zur Freigabe ab 18. Kinos können solche Filme vor Erwachsenen aufführen – aber auf eigenes rechtliches Risiko.
Wenn ein Antragsteller mit dem Ergebnis der Prüfer nicht einverstanden ist, dann kann er Widerspruch einlegen. Dann prüft der FSK-Hauptausschuss den Film. Als letzte Instanz kann der Appellationsausschuss angerufen werden. Das geschieht laut Linz etwa einmal im Jahr.
Auch Marc Urlen, wissenschaftlicher Referent beim Deutschen Jugendinstitut in München, sieht Reformbedarf in Sachen Jugendschutz. Seiner Einschätzung nach verliert die Arbeit der FSK an Relevanz. „Heute werden so viele Inhalte von Jugendlichen gestreamt, dass die FSK eine immer geringere Rolle beim Jugendschutz spielt“, sagt er und ergänzt: „Kino und Fernsehen sind nur noch ein Teil des Medienkonsums, viele Kinder sind auf ihren Smartphones stundenlang im Internet unterwegs.“ Dennoch räumt Urlen ein, dass die Altersfreigaben eine wichtige Hilfe für Eltern seien, um Filme zu beurteilen.
Grundlegende Kritik äußert Daniela Broda, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings: „Mit dem System der freiwilligen Selbstkontrolle stiehlt sich der Staat aus der Verantwortung, einen wirksamen Jugendmedienschutz selbst zu organisieren und zu finanzieren“, sagt sie. Nötig sei ein neues Schutzsystem, dass Kinder und Jugendliche einbinde.Zuerst wurde 1949 „Intimitäten“ geprüft
Im Auftrag der US-amerikanischen Besatzungsmacht wurde die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) 1948 gemeinsam von Filmproduzent Erich Pommer, dem Dokumentarfilmer Curt Oertel und dem Geschäftsführer des Verbandes der Filmverleiher, Horst von Hartlieb, konzipiert. Das Gremium trat erstmals im Sommer 1949 zusammen und bestand aus Vertretern der Filmwirtschaft, der Länder, der katholischen Jugend Bayerns und der Kirchen.
Als ersten Film prüfte die FSK am 18. Juli 1949 im größtenteils unzerstört gebliebenen Westflügel des Biebricher Schlosses in Wiesbaden den Film „Intimitäten“. Der Film wurde zur öffentlichen Vorführung ab 16 Jahren freigegeben, aber als nicht geeignet für die stillen Feiertage eingestuft. [Robert Maus]
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