Im Zentrum der aktuellen Kino-Woche stehen die inneren Kämpfe herausragender Frauenfiguren und Geschichten verheerender menschlicher Triebe.
Im letzten Sommer
Die französische Regisseurin Catherine Breillat gehört zu den großen Skandal-Regisseurinnen des europäischen Kinos. Mit Werken wie „Romance XXX“, „Meine Schwester“ und „Romance 2 – Anatomie einer Frau“ hat sich die Filmemacherin wiederholt auf unerschrockene, teils äußerst explizite Weise mit Tabus auseinandergesetzt, zuvorderst mit Geschlechterdynamiken und Sexualität. In ihrem packenden neuen Werk „Im letzten Sommer“, einem Remake des Films „Königin“ von 2019, erkundet Breillat nun die brisante Affäre einer Anwältin mit ihrem minderjährigen Stiefsohn.
Was Breillats Interpretation dieser Geschichte auszeichnet, ist einmal mehr der Blick auf Körperlichkeit, auf überkochendes Begehren, küssende Münder, zärtliche und brutale Berührungen, die auf beinahe unbehagliche Weise die komplette Leinwand ausfüllen. Und zugleich die Radikalität, mit der „Im letzten Sommer“ nicht nur auf den Kampf seiner Protagonistin mit ihrer sozialen Rolle, sondern auch auf den Zerfall einer Familie blickt, die sich höchste seelische Schmerzen zufügt, einander täuscht und belügt, um das eigene gemeinschaftliche Konstrukt noch irgendwie aufrechterhalten zu können. Stärker als das Original!
15 Jahre
Fast zwei Dekaden ist es her, dass Chris Kraus sein Drama „Vier Minuten“ mit Hannah Herzsprung herausbrachte. Jetzt erscheint mit „15 Jahre“ eine späte Fortsetzung im Kino, die sperrig, widerspenstig und auf eigenartige Weise faszinierend in der deutschen Filmlandschaft erscheint. Herzsprung spielt erneut die Protagonistin Jenny, eine ehemals inhaftierte, höchst begabte Pianistin, die inzwischen als Reinigungskraft arbeitet und von einer christlichen Organisation zurück in den Alltag begleitet werden soll.
Eine Gefangene im eigenen Körper und in der eigenen Vergangenheit: angestaute Emotionen, die jeden Moment wie ein Vulkan ausbrechen könnten – Herzsprung in Höchstform! Die Situation scheint zu eskalieren, als die gescheiterte Musikerin nun an einer Talentshow teilnehmen soll und in dem exzentrischen Moderator, dem Popstar Gimmiemore (Albrecht Schuch), ihren einstigen Liebhaber erkennt, für den sie hinter Gittern wanderte.
Chris Kraus inszeniert diesen über zwei Stunden langen Seelenstriptease zwischen Traumabewältigung und Rachefantasie als Abrechnung mit einer Entertainment-Kultur, die Marginalisierte und Ausgestoßene für Kapital und Sensation im Rampenlicht ausschlachtet. Jederzeit selbst an der Grenze zum gefühligen und gänzlich überzeichneten Schwulst und Kitsch, der aus den exzessiv aufgebauschten Schicksalsschlägen seiner Hauptfiguren eine größtmögliche Gefühlsregung nach der anderen herauszupressen versucht. Ein interessanter, ambivalenter Flirt des deutschen Films mit dem Edeltrash-Kino und seinen Qualitäten.
The Royal Hotel
Kitty Green legt nach ihrer eindringlichen #metoo-Studie „The Assistant“ eine weitere starke Auseinandersetzung mit männlicher und patriarchaler Gewalt, mit einem omnipräsenten Sexismus vor, dem sie in „The Royal Hotel“ mit den Mitteln des Genrekinos begegnet. Im Stile eines Outback-Horrorfilms schickt die Regisseurin zwei junge Kanadierinnen in das australische Niemandsland, wo sie als Kellnerinnen in der Bar eines abgelegenen Hotels arbeiten sollen.
Während sich jeden Abend Horden betrunkener und notgeiler Männer um den Tresen scharen, wächst das Unbehagen, wie sich die Frauen gegenüber all den Übergriffigkeiten behaupten können. Kitty Green strickt daraus eine gekonnt zwiespältige Charakterstudie, die das Verhalten zwischen Erduldung, Schuldgefühlen, Ohnmacht und Gegenwehr immer wieder neu aushandeln muss. Wiederholt begeben sich die Konflikte von „The Royal Hotel“ in die Schwebe, ob von dieser oder jener Figur tatsächlich eine Gefahr ausgeht, oder ob die schwelende Panik schlicht den Blick verstellt.
Green vermittelt ein Gespür dafür, was es heißt, in einer sexistischen Gesellschaft in ständiger Angst vor der potentiellen Gefahr eines Missbrauchs durch Männer zu leben, wie diese Angst zugleich den sozialen Umgang prägt, ihn vielleicht ebenso verfälscht, durchkreuzt. Vor allem aber ist „The Royal Hotel“ ein Horrorthriller, der zwar bis zum Schluss etwas geschmacklos seine größte Intensität aus der Frage zieht, ob tatsächlich eine Vergewaltigung in diesem Hotel geschehen wird, aber dann immer wieder raffiniert Erwartungen unterläuft, Motive verschiebt und aufs Glatteis führt. Kitty Greens Szenario eines eskalierenden Kontrollverlustes steigert seine Hochspannung von Minute zu Minute, bis ein kompromissloser Kahlschlag den fraglichen Neustart verlangt.
Außerdem neu im Kino seit dem 11. Januar 2024
- Animalia
- The Beekeeper
- Baby To Go
- Mutluyuz
- Orca
- Sonntagskind
- Merry Christmas
- Mami Wata
- Night To Be Gone
- Mami Wata
- Cuntur Kaaram
Hinweis: Bei einigen Verlinkungen handelt es sich um Affiliate-Links. Mit einem Kauf über diesen Link erhält DIGITAL FERNSEHEN eine kleine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.