Ist „Interstellar“ Nolans schlechtester Film?

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Bild: © Romolo Tavani - Fotolia.com
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Mit „The Dark Knight Rises“ blieb Christopher Nolan hinter den Erwartungen der Fans zurück, mit „Inception“ verwirklichte er intelligentes Popcornkino mit Gänsehautgarantie. „Interstellar“ soll nun Nolans Weiterentwicklung als Regisseur aufzeigen, doch bedeutet Fortschritt auch Rückschritt?

Die Kinokritiker sind sich uneins, sowohl auf den Wertungsportalen Metacritic.com und rottentomatoes.com rangiert „Instellar“ nur im guten Mittelfeld. Bei den Kinogängern findet der Science-Fiction-Film dagegen breiten Anklang, denn die Userwertungen sind durchweg positiv. Der Grund für diese unterschiedlichen Auffassungen: Wer „Interstellar“ zerstückelt betrachtet, wird neben Regiefehlern hölzerne Dialoge und unfreiwillig komische Situationen inmitten der Dramatik, Bildgewalt und Sogkraft dieses Zeitreiseepos entdecken.

Wie glaubhaft ist es zum Beispiel, dass ein ehemaliger Pilot mehr oder weniger durch Zufall das Gelände der NASA entdeckt und über Nacht zum Retter der Erde wird? Warum versteckt sich die letzte technische Hoffnung der Menschheit hinter einer dünnen Wand eines Konferenzraums? Warum erklärt Nolan den Zusammenhang zwischen Gravitation, Zeit und Entfernung in fast drei Stunden umständlicher, als dreiminütige Erklärvideos auf Youtube? Warum wird gegen Ende des Films nur wiederholt „Heureka“ gerufen, ohne die wesentlichen Zusammenhänge zu erklären, die sich hinter dem Jubel verstecken? Und warum wählt der Regisseur genau diese Mischung aus Zeitreise und Drama, die sich kaum in Bildern, Musik und Worten ausdrücken lässt?
 
Vielleicht ist es genau der letzte Punkt, der aus „Interstellar“ wieder einmal einen echten Nolan-Film macht, und in meinen Augen ist es ein guter Film. Vielleicht bin ich all der Mehrteiler-, Action- und Fantasy-Filme überdrüssig, die man gefühlt schon einhundert Mal besser gesehen hat. „Interstellar“ ist in meinen Augen überaus ambitioniert, vielleicht auch zu ambitioniert, sodass ich über viele Fehler hinwegsehen kann.
 
Nachdem ich „Interstellar“ gesehen hatte, fühlte sich vieles, bereits Gesehenes klein an und dabei schließe ich „2001: Odyssee im Weltraum“ mit ein. Nicht falsch verstehen: Was Stanley Kubrik 1968 geleistet hat, ist nach damaligen Maßstäben betrachtet unfassbar, noch heute sieht man diesen Ausnahmefilm und fragt sich, wie der Regisseur diese Aufnahmen auf die Kinoleinwand gebannt hat. Von solchen Qualitäten ist „Interstellar“ trotz vieler beeindruckender Sequenzen weit entfernt. Aber Nolan gibt, im Gegensatz zu seinem Vorbild, Antworten.
 
Kritiker meinen „2001: Odyssee im Weltraum“ wäre vor allem deshalb so gut, weil er Fragen aufwirft und der Film nicht gänzlich erklärt werden kann beziehungsweise will. Doch habe ich als Kinogänger nicht auch das Recht, am Ende einer langen Reise mit einer Sache abschließen zu dürfen? Nolan liefert in „Interstellar“ einen Anfang und ein Ende, und auch wenn er dafür Kritik angesichts der unglaublichen Auflösung erntet, so bin dafür dankbar. Als der Abspann von „Interstellar“ lief, überwog das gute Gefühl, etwas von enormer Größe aber zugleich menschlicher Zuneigung gesehen zu haben.
 
„2001: Odyssee im Weltraum“ war für mich eine neue Sinneserfahrung, die aber stets unterkühlt und distanziert erschien und mich deshalb emotional nicht berührte. Nolan überspannt zwar teilweise den Bogen, aber ebnet durch seinen Stil den Weg, ein komplexes Thema einem Massenpublikum näherzubringen. Dass „Interstellar“ dabei keinesfalls so stupide wirkt wie viele Kinoblockbuster, rechne ich ihm hoch an. Derzeit scheint es keinen anderen Regisseur zu geben, der mit derart viel Budget ausgestattet seine eigenen Ideen umsetzen kann.
 
Womit wir zugleich bei einem nicht unwesentlichen Problem wären: Nolan filmte „Interstellar“ im IMAX-Riesenformat ganz klassisch auf Band. In 99% aller deutschen Kinos bleibt von seiner ursprünglichen Bildaussage nichts mehr erhalten, denn der Film wird über die gesamte Laufzeit im extremen Bildbeschnitt im 21:9-Format gezeigt.
 
Es erscheint schon reichlich Paradox, dass Nolan für seine moderne Zeitreise eine Aufnahmetechnologie wählt, die in den Augen der Kinoausstatter zum Aussterben verdammt ist. Aber vielleicht sagt genau das vieles über Nolan und seinen neuen Film aus: Um in die Zukunft blicken zu können, müssen wir uns der Vergangenheit bedienen. [Kommentar von Christian Trozinski, Chefredakteur HDTV]

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23 Kommentare im Forum
  1. Da kann ich mich nur anschließen. Ein Film für Erwachsene. Großartig. Und Batman 3 war um einiges besser als Teil 2.
  2. AW: Kommentar: Ist "Interstellar" Nolans schlechtester Film? Das Beste was ich seit langem gesehen habe.
  3. AW: Ist "Interstellar" Nolans schlechtester Film? Falls das wirklich der Schlechteste ist, dann will ich gern mehr schlechte Filme schauen...
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