Mit „Im August in Osage County“ startet in dieser Woche ein weiterer Oscar-Anwärter in den deutschen Kinos. Darin mimt Meryl Streep die tablettensüchtige Matriarchin Violet Westen, die ihrer Familie mit ihren Wutausbrüchen das Leben schwer macht. Mitten drin im verbalen Gemetzel: Julia Roberts als Tochter, die reichlich Hiebe einstecken muss.
Sam Shepard kommt gleich zur Sache. In seiner Rolle als Beverly Weston – ein alternder und lebensmüder Dichter – weiht er die Zuschauer in den ersten Minuten von „Im August in Osage County“ in das offene Geheimnis seiner kaputten Ehe ein. Seine Frau schluckt Pillen, und er ist ein Trinker. Schon betritt Meryl Streep als tablettensüchtige Matriarchin die Szene. Wie ein Wirbelsturm, der an einem heißen Sommertag durch die US-Südstaaten fegt, macht Violet Weston mit ihren hasserfüllten Wutausbrüchen und spitzen Beleidigungen alles um sich herum platt.
So selbstzerstörerisch und mit so viel Mut zur Hässlichkeit hat man Hollywoods Verwandlungskünstlerin noch nicht erlebt. An ihren guten Tagen trägt Violet eine schlecht sitzende Perücke und eine riesige schwarze Sonnenbrille. Sie leidet an Mundkrebs. An ihren schlechten Tagen lallt und torkelt sie mit ausgefransten grauen Haaren durch das ländliche Herrenhaus in Oklahoma.
Das plötzliche Verschwinden des Ehemanns bringt die engste Verwandtschaft für mehrere Tage zusammen – und damit die heimlichen und dysfunktionalen Seiten von jedem Familienmitglied ans Licht. Teller fliegen, Geheimnisse werden gelüftet, Ohrfeigen ausgeteilt.
Als Margaret Thatcher in „Die Eiserne Lady“ musste sich Streep kühl beherrscht geben – und gewann damit 2012 ihren dritten Oscar. Als pillenschluckende Matriarchin, die gnadenlos über die Stränge schlägt, schraubte sie ihren Nominierungs-Rekord nun auf 18 Anwartschaften hoch.
Die Golden-Globe-Verleiher stuften Streep im Januar als Komödien- Darstellerin ein. Tatsächlich hat die Selbstzerfleischung der Familie komische Momente. Doch den Charakteren und den Zuschauern gefriert das Lachen, selbst in der drückenden Sommerschwüle.
Die gewöhnlich strahlende Julia Roberts hat als älteste Weston- Tochter Barbara partout nichts zu Lachen. Hollywoods „Pretty Woman“ verzichtete auf Make-up und weiche Filter. Mit verhärmter Miene gibt sie ihrer Mutter Paroli, steckt aber reichlich Hiebe – und eine verdiente Oscar-Nominierung als beste Nebendarstellerin – ein.
In dem Showdown ihrer Hass-Liebe schießen Streep und Roberts mit ihren Auftritten mitunter über das Ziel hinaus. Doch eine Nebenriege von starken Figuren beugt dem Alleingang des Mutter-Tochter-Duos vor. Juliette Lewis dreht als aufgetakelte mittlere Schwester Karen auf, Julianne Nicholson spielt die stille jüngste Schwester Ivy, die heimlich in ihren vermeintlichen Cousin (Benedict Cumberbatch) verliebt ist.
Vorlage ist das preisgekrönte Theaterstück „August: Osage County“ von Tracy Letts. 2008 hatte das mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnete Stück fünf Tony-Awards gewonnen. Letts schrieb auch das Drehbuch für den Film und vertraute das Material dem Spielfilmneuling John Wells an. Der war bislang erfolgreicher Produzent von Fernseh-Kultserien wie „Emergency Room – Die Notaufnahme“ und „Southland“. Mit Ben Affleck, Chris Cooper und Kevin Costner in „Company Men“ drehte er 2011 seinen ersten Kinospielfilm und hat wohl beste Hollywood-Connections. George Clooney, ein guter Bekannter, kam als Produzent an Bord. Damit kam auch der Ball für die Starbesetzung ins Rollen. Kein Problem für Wells, der überlässt seinen starken Frauen das Feld.
Kinokritiken im Überblick
[Barbara Munker/fm]
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