„Große Freiheit“: Eindringliches Gefängnis-Drama mit Franz Rogowski

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In seinem neuen Film „Große Freiheit“ befasst sich Sebastian Meise mit der Verfolgung Homosexueller im Nachkriegsdeutschland. Franz Rogowski begeistert in der Hauptrolle.

In „Große Freiheit“ wird der Film zur Waffe. Zu Beginn rattert und krisselt das Bild, Sebastian Meise eröffnet sein Drama mit Super 8 Aufnahmen aus einer öffentlichen Toilette, einer Klappe, wo sich der von Franz Rogowski gespielte Hans mit Männern trifft, um heimlich seine Sexualität auszuüben. Doch da stimmt etwas nicht mit diesen Bildern. Das als historisch ausgewiesene Dokument verwandelt sich in eine Peepshow, ein voyeuristisches Zusehen. Im nächsten Moment ist es als Beweislast enttarnt, die direkt hinter Gittern führt.

Die staatliche, observierende Gewalt hat sich aus dem Unsichtbaren herausgewagt, zugeschlagen und sich ihren neuen Sündenbock für die eigenen lustvollen Blicke gesucht. Alles unter dem Deckmantel des Paragraphen 175, der noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg Homosexualität zum Strafbestand erhob. In „Große Freiheit“ manifestiert sich das anfängliche Überwachen nun im Strafen und umgekehrt.

Ganz nah dran an den Figuren

Sebastian Meises Films ist allein deshalb in seiner Erschütterung so beeindruckend, weil er die Diskriminierung und Stigmatisierung Homosexueller gekonnt in die Sprache seiner grausamen Filmarchitektur übersetzt. In riesige Zäune, Geländer, Gitter, Zellentrakte, in Gucklöcher, die jede Privatsphäre verhindern, in dunkle Kammern, die als Marter bereitstehen. Crystel Fournier, die für die Kameraarbeit verantwortlich war und dafür nun den Europäischen Filmpreis erhält, fängt das mit größtmöglichem Naturalismus, mit höchster Immersion und Unmittelbarkeit, aber auch einer düsteren Eleganz ein.

Körper scheinen mit den rauen Gefängnismauern zu verschmelzen, während sich ihre Gesichter herausschälen, bemühen, ihre Persönlichkeit und Würde zu wahren. Immer stürzen die Bilder ins Dunkel, aus dem die Figuren nicht entrinnen können. Dem Publikum ergeht es gleich, auch ihm raubt man wiederholt die Freiheit des Sichtfeldes. Die Welt des Gefängnisses wird zur queeren Lebenserfahrung stilisiert. Und doch dringen diese unangenehmen Bilder immer wieder zum Erleuchtenden. Sei es auf visueller Ebene im Flackern eines brennenden Streichholzes, im ersehnten Öffnen von Pforten oder aber im Kampf der Inhaftierten um Menschlichkeit.

Romantik und Repression

Seit seiner Weltpremiere in Cannes wird „Große Freiheit“ zu Recht mit Lob überhäuft, Österreich schickt das Drama als Einreichung zu den Oscars. Immer wieder betonte man dabei auf die eine oder andere Weise, es würde sich nicht einfach um einen weiteren „Problemfilm“ handeln, es würde in erster Linie um die Liebe gehen, um eine Form der Rückaneignung von Würde und Selbstbestimmung, trotz aller Unterdrückungen und Strafmaßnahmen von außen. Das weckt vielleicht eine etwas falsche Vorstellung von diesem beeindruckenden wie fordernden Film.

Es stimmt natürlich: Das ist ein Werk, das das Leiden ausbreitet, aber seine Betonung dennoch auf das optimistisch Kämpfende, das Zwischenmenschliche, Empathische und, Ja, auch das Romantische legt. Es gibt in diesem Film herzzerreißend intime, gefühlvolle Momente. Welche, in denen man versucht, das repressive System zu unterwandern oder in denen die eingemauerten Aufnahmen in innerlichen Wunschvorstellungen aufbrechen.

Gerade Franz Rogowski spielt die Annäherungen an andere Inhaftierte, das Ringen um Normalität und Utopie meisterhaft. Das ist eine der erinnerungswürdigsten schauspielerischen Leistungen, die man in diesem Jahr auf der Leinwand erleben konnte. Und doch handelt es sich bei allem Optimismus um einen zutiefst bedrückenden Film, dessen herbeigesehnte Utopie gleichermaßen gelingt wie scheitert. Die titelgebende „Große Freiheit“ steht letztlich auf dem Prüfstand, die Verbrechen einer Mehrheitsgesellschaft gegenüber Minderheiten dauern an. Ihr verursachter Schmerz steckt tief in diesem Film.

Befreiung und doch keine Erlösung

Meise lässt seine Erzählebenen zu einem zermürbenden Zustand der gedehnten Zeit verschmelzen. „Große Freiheit“ erstreckt sich über mehrere Jahre, in denen Rogowskis Figur hinter Gittern sitzt. Die Nummer aus dem KZ ist noch im Unterarm zu sehen, jetzt steckt man ihn in das nächste Gefängnis. Sie wird später von seinem Zellengenossen (Georg Friedrich) überstochen werden. Das ist ein Abgrund deutscher Geschichte, der da mit großem inszenatorischen Geschick gezeigt wird und der bislang in der Filmlandschaft noch nicht genug beleuchtet wurde.

Erst 1994 streicht man den Paragraph 175 nach vorangehenden Reformen endgültig. Sebastian Meise stellt den ersten politischen Aufbrüchen einen interessanten, widerspenstigen Epilog gegenüber. Liberalisierung und Rückzug in den Untergrund gehen Hand in Hand. Sexuelle Befreiung bricht auf freizügige Weise Bahn, doch irgendetwas fehlt. Ganz davon abgesehen, wie die Torturen der Vergangenheit ihre Wunden aufgerissen haben. „Große Freiheit“ antwortet mit einem Freundschaftsbekenntnis, der in das Unabgeschlossene seiner Filmhandlung wie auch der gesellschaftlichen Prozesse führt. Ein echtes, geschickt arrangiertes Irritationsmoment.

„Große Freiheit“ läuft ab dem 18. November 2021 bundesweit in den deutschen Kinos.

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