Filmkritik „Waves“: Was hält eine Familie aus?

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Größeres Gefühlskino als „Waves“ wird man so schnell nicht auf der Leinwand zu sehen bekommen. Trey Edward Shults‘ Familiendrama ist ab dieser Woche in den deutschen Kinos zu sehen.

Trey Edward Shults dreht Filme, die man nicht einfach nur sieht, sondern die man durchlebt. Die einen körperlich angreifen. Und die man, egal wie man zu ihren Inhalten nun stehen mag, zumindest für einen kurzen Moment verändert wieder verlässt. In seinem Debüt „Krisha“ (2015) zeigte er den dramatischen Rückfall einer drogenabhängigen älteren Frau. Ein Leben in permanenter Reizüberflutung, bis zum Kollaps. Sein zweiter Kinofilm, der Endzeit-Horror „It Comes At Night“ (2017), ließ eine Familie während der Seuchen-Isolation in den Wahnsinn gleiten. Beide Filme hatten thematisch eines gemeinsam: Sie zeigten die Familie als heilende Kraft, aber auch als zerstörerisches Gefängnis. Shults‘ neues Werk setzt wieder an dieser Stelle an.

„Waves“ taucht in das Leben einer afroamerikanischen Familie in Florida ein. Der Teenager-Sohn, Tyler, eine charismatische Sportskanone. Sein Vater Bauingenieur. Disziplinierung steht an der Tagesordnung. Das Testosteron kurz vorm Überkochen. Alles scheint perfekt, doch natürlich wird es anders kommen: Es beginnt mit einer Sportverletzung. Tyler betäubt seinen Schmerz mit Pillen. Und dann wäre da noch seine Freundin, die ihm plötzlich mitteilt, dass sie von ihm ein Kind erwartet. Die Familie bewegt sich untentwegt auf den Abgrund zu.

Audiovisuell überwältigend

Shults zeigt diese Abwärtsspirale mit einem ungeheuren Gespür für Rhythmus. „Waves“ ist ein Film, dem man sich zunächst nur schwer intellektuell nähern kann, sondern der erst einmal sinnlich erlebt werden will. So weit, so gut! Es gelingt ihm. Zumindest in der ersten Hälfte. Der Film rauscht – um beim Titel zu bleiben – wie eine Welle über einen hinweg. Ein lauter, aufsaugender Klangteppich, ein brachialer Song geht in den nächsten über. Zu Kanye West geschieht die Eskalation. Das Leben ein einziges Musikvideo.

Über den Bildern liegen knallige Farbfilter. Die Kamera im ständigen Taumeln, Wirbeln und Drehen. Immer mitten hinein ins Geschehen. Zumindest das hat sich der ehemalige Terrence Malick – Praktikant von seinem früheren Mentor abgeschaut! Generell denkt man an viele andere Filmemacher, die offensichtlich Pate standen. Doch Shults‘ immersive Hochglanzästhetik hat auch ihren eigenen Wiedererkennungswert! Das kann man als selbstgefällig betiteln, doch diese überbordende Stilisierung erweist sich auch als äußerst gekonnte Projektion der Gefühlswelt der getriebenen Hauptfigur. Es fällt schwer, sich von diesem Sog nicht mitreißen zu lassen.

Der Regisseur wurde von einigen Seiten kritisiert, er würde sich als weißer Filmemacher der schwarzen Lebensrealität bemächtigen. Doch hier findet weder ein Verurteilen noch ein erhebendes Erklären statt. Vielmehr liegt die Stärke dieses Familiendramas genau darin, dass es sich so vielseitig öffnet. Es zeigt die Last des gesellschaftlichen Drucks, der bürgerlichen Scheinidylle und Männlichkeitsrituale. Eben weil die Familie mit Diskriminierung zu kämpfen hat. Weil sie es sich nicht leisten kann, einfach nur durchschnittlich zu sein, wie es im Film heißt.

Und doch setzt sich der Film über Hautfarben hinweg, unterwandert damit in gewisser Weise auch Seherwartungen, weil sich in diesem Leistungsdruck eine ganze Generation junger Menschen im Allgemeinen wiederfinden kann. Kein Film hat das in letzter Zeit so eindringlich erfahrbar gemacht. Die erste Hälfte von „Waves“ ist eine furchtbar intensive Kinoerfahrung. Die Zeichen stehen zu diesem Zeitpunkt alle auf Meisterwerk, würde nicht anschließend die Perspektive verschoben werden.

Zwei Filme in einem

Wo die erste Filmhälfte noch die Beklemmung konsequent bis zum Höhepunkt steigert, dabei sogar optisch das Bildformat schmälert, bis nur noch ein kleines Sichtfenster bleibt, folgt der Stillstand. Anschließend beginnt quasi noch einmal ein ganz neuer Film, neue Hauptfigur inbegriffen, die zuvor fast in Vergessenheit geraten ist.

Ein solch ausführlicher Perspektivwechsel über die Nachwehen einer Katastrophe ist selten im Kino. Aus gutem Grund! So wie die Familie danach nicht mehr aufstehen kann, fängt sich auch der Film kaum mehr. Die letzte Stunde ist ein äußerst zähes Unterfangen, weil die Erschöpfung zu groß ist. Na klar, es gibt auch da starke Momente. Zum Beispiel die Aussprachen zwischen den Eltern und zwischen Vater und Tochter. Die Erzählung führt das lediglich zu einer simplen Erkenntnis.

Eine Endlosschleife

Warum also noch eine ganze Stunde weiter leiden, wo doch schon alles gesagt ist? Warum das Figurenpersonal erweitern, nur um auf noch mehr Trauer und Schicksalsschläge zuzusteuern? Weil schlimme Dinge in allen Familien passieren? Und weil die Versöhnung umso wichtiger ist? Dafür hätte es nun wirklich keine über zwei Stunden Film gebraucht. Auch deshalb, weil das Abwenden von den Männern hin zu den Frauen, die bisher im Hintergrund weilten, zu inkonsequent erfolgt.

Shults‘ Drama ist in seinem ersten Akt wild, fordernd, aggressiv. Pathetisch, aber selten rührselig. Das kann man vom weiteren Verlauf der Geschichte nicht behaupten. „Waves“ wird von seiner eigenen, tränenreichen Gefühlswelle niedergedrückt. Wie Shults versucht, sich und seine Figuren wieder ans Licht zu zerren und nach Luft zu schnappen, verliert sich in etwas generischen Indie-Filmklischees, bis sich alle Figuren nur noch umarmen wollen. Vielleicht ist das in seiner Erzählstruktur zu konzeptionell gedacht. Und vielleicht vergisst hier auch ein Filmemacher, dass die Wirkung eben manchmal am größten ist, wenn man zum Schluss einfach unter Wasser bleibt.

„Waves“ läuft seit dem 16. Juli in den deutschen Kinos.

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Bildquelle:

  • waves: Universal Pictures
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