Mittlerweile ist Fatih Akin einer der bekanntesten Regisseure in Deutschland. Sein aktueller Film ist eine Langzeit-Dokumentation mit dem Titel „Müll im Garten Eden“, die nun ins Kino kommt. Warum er türkische Dorfbewohner jahrelang im Kampf gegen eine Mülldeponie mit der Kamera begleitete und was seine persönliche Verbindung mit diesem Ort ist, erzählte Akin im Interview.
Ihr Film stellt die Bewohner des Dorfes Çamburnu in den Mittelpunkt, zeigt, wie sie im Ort den Müll einsammeln, mit dem Gestank leben und vor Gericht um ihr Recht kämpfen. Haben normale Bürger überhaupt eine Chance gegen die große Politmaschinerie?
Fatih Akin: Es kommt darauf an, wie viele Bürger das sind und wie groß die Lobby ist, um sich gegen so einen Entscheid durchzusetzen. Wenn das eine recht kleine Lobby oder eigentlich gar keine Lobby ist – denn in dem Dorf leben nur knapp 2000 Menschen -, dann können die auch ziemlich leicht geopfert werden. In der Türkei gibt es zwar Demokratie und Gerichte, aber das ist anders als in Deutschland. Es gibt zum Beispiel keine einstweilige Verfügung. Während der Prozess also noch lief, konnte die Gegenseite weiter die Deponie bauen, denn kein Gericht stoppt das mit einer einstweiligen Verfügung.
Wenn man auf der Landkarte den Ort Çamburnu sucht, findet man ihn an der Schwarzmeerküste, fernab von größeren Städten. Was hat Sie da hingeführt? Welchen persönlichen Bezug haben Sie zu dem Ort?
Akin: Mein Großvater väterlicherseits ist aus Çamburnu. Als er meine Großmutter heiraten wollte, war die Familie meiner Großmutter dagegen. Deswegen sind die beiden von dort durchgebrannt und weiter nach Westen gegangen, wo dann mein Vater geboren wurde. Ich war immer neugierig, was das für ein Ort ist, aus dem mein Großvater stammt, und bin im Jahr 2005 hingefahren.
Was war Ihr Eindruck von dem Ort?
Akin: Es war dort sehr schön, alles war grün. Das Dorf liegt am Meer, an einem ziemlich steilen Hang voller Teeplantagen. Da wurde mir klar, dass die Türkei wirklich Asien ist. Es sah so aus wie in Vietnam oder Kambodscha. Und mir fiel auf, dass die Physiognomie, also die Gesichter der Leute dort, sehr meinem eigenen Gesicht ähnelte. Ich dachte: „Ja, hier liegen ganz offensichtlich meine Wurzeln!“
Sie haben dann relativ schnell erfahren, dass bei dem Dorf eine Mülldeponie gebaut werden soll. Was haben Sie anfangs gehofft, mit den Dreharbeiten zu bewirken?
Akin: Ich dachte, wenn man publik macht, dass man einen Film darüber drehen will und man türkische und internationale Presse dorthin lotst, dass man so einen Druck auf die Behörden auslösen und diesen Prozess stoppen kann. Zu der Zeit lief ein Gerichtsverfahren gegen den Bau der Deponie. Ich habe gehofft, dass schon allein das Öffentlich-Machen die Richter beeinflusst. Hat es aber nicht. Die Deponie wurde einfach weitergebaut und mir blieb nichts anderes übrig als weiter zu filmen und weiter Druck auszuüben.
Warum hat all der Protest nichts gebracht?
Akin: Es gab seit Jahrzehnten ein Müllentsorgungsproblem in der Region des Schwarzen Meeres. Müll wurde einfach ins Meer gekippt. Die Bevölkerung war damit unzufrieden, also musste eine schnelle Lösung gefunden werden. In Çamburnu stand eine stillgelegte Kupfermine, die über Tage lag und mehrere Fußballfelder groß war. Man dachte sich: „Warum bringen wir den ganzen Müll nicht einfach da hin? Dann sieht ihn keiner mehr, die Bevölkerung denkt, das Problem sei beseitigt – und diese knapp 2000 Menschen haben eh‘ keine Stimme.“ Die gesamte Schwarzmeerregion ist also vom Müll befreit, wählt die Regierung wieder, und die Regierung opfert ein kleines Dorf, weil es sich nicht wehren kann.
Hat der Dreh über so lange Zeit Ihre Beziehung zur Türkei verändert, intensiviert?
Akin: Auf alle Fälle. Es ist ja doch etwas anderes als Istanbul, das ich in meiner Arbeit mit Filmen wie „Crossing the Bridge“ ziemlich abgefrühstückt habe. Viele im Westen – auch ich – haben immer dieses Klischee im Kopf: „Istanbul ist nicht die Türkei, das Hinterland ist viel zurückgebliebener und weniger entwickelt, es ist weniger demokratisch und weniger modern.“ Aber dann habe ich sechs Jahre lang mit und im Endeffekt in einem Dorf verbracht, und ich kann diese ganzen Klischees überhaupt nicht bestätigen. Ich habe philosophische, starke, reife und kreative Menschen kennengelernt, die ihren Widerstand organisieren. Das war mir neu. Ich bin sehr dankbar dafür, dass mir der Film die Möglichkeit gegeben hat, die Türkei als Ganzes zu begreifen. Jetzt verstehe ich, dass es nicht unbedingt ein negatives Gefälle zwischen Istanbul und der Provinz Trabzon geben muss. Ich würde es auch nicht mehr als Gefälle bezeichnen.
Vielen Dank für das Gespräch.Archiv
[Aliki Nassoufis/hjv]
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