In dem jetzt gestarteten „Quo Vadis, Aida?“ inszeniert Regisseurin Jasmila Žbanić das Massaker von Srebrenica mit der Wirkmacht einer antiken Tragödie. Großes, erschütterndes Kino!
Es ist einer dieser Filme, die sich regelrecht auf einen werfen. Die man weiter mit sich herumträgt, aufgrund der empfundenen Ohnmacht und Überwältigung. Vor allem aber ist „Quo Vadis, Aida?“ ein Film der Fassungslosigkeit und ein Versuch, diese mit behutsam arrangierten Mitteln zu überwinden. Vor nicht einmal drei Jahrzehnten ereignet sich mitten in Europa eine menschliche Katastrophe ungeheurer Ausmaße. Im Juli 1995 rückt die serbische Armee in der bosnischen Kleinstadt Srebrenica ein. Tausende Menschen suchen Zuflucht in einem UN-Lager. Nur wenige Tage später kommt es zu einem Massaker: Mehr als 8000 Zivilisten werden von der bosnisch-serbischen Armee ermordet und in Massengräbern verscharrt.
„Quo Vadis, Aida?“ erzählt nicht nur von einem kaum zu fassenden Kriegsverbrechen, sondern auch von einer Krise der Wahrnehmung und Darstellung. Der Regisseurin Jasmila Žbanić gelingt das mit einer klugen Erzählperspektive. Sie konstruiert die historischen Ereignisse rund um die UN-Übersetzerin Aida (grandios gespielt von Jasna Ðuriči), durch deren Augen immer tiefere Schichten dieser humanen Krise sichtbar werden. In einer der verstörendsten Szenen steigt sie auf eine Anhöhe und sieht die unüberschaubaren Menschenmassen, die sich vor den Toren des Lagers versammeln und verzweifelt nach Schutz suchen.
„Quo Vadis, Aida?“ befragt in solchen Momenten die Unfähigkeit, mit Kollektiven umzugehen. Wo die Katastrophe so groß wird, entzieht sich der Mensch dem Bewusstsein. Das Einzelschicksal verschwindet auf tragische Weise in der abstrakten Masse, die denjenigen in mächtigeren Positionen ausgeliefert ist, welche nach Regeln verlangen, um vermeintlich das Allgemeinwohl nicht zu gefährden, aber damit genau dies tun und zu spät handeln. Der Film reaktiviert damit zugleich ganz aktuelle Bilder von überfüllten Lagern an Ländergrenzen. Mehrfach schimmern solche universellen Krisen durch.
Eine Botin zwischen Gestern und Heute
Durch einen solchen Transitraum bewegt sich nun „Quo Vadis, Aida“ in gekonnten, langen Kamerafahrten. Mittendrin Aida als Botenfigur, die um Empathie und Rettung für die Schutzsuchenden kämpft und zwischen ihrer öffentlichen und privaten Rolle zerrissen wird. Die immer wieder zwischen den Fronten vermittelnd umherwandelt und versucht, ihr letztes bisschen Einfluss und Wissen zu nutzen. Im selben Moment vermittelt sie auch zwischen der Historie und dem Publikum.
Letztendlich scheitert auch sie an der Rettung des Kollektivs. Aida wird im letzten Moment auf die Rettung der eigenen Familie zurückgeworfen, während sich immer weiter ins Gedächtnis schleicht, dass auch sie Teil dieses Kollektivs ist. Das sind unzählige Dilemma-Situationen, die dieser Film heraufbeschwört, die Unterscheidungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden, zwischen dem individuellen und dem Gemeinwohl provozieren und zu politischem Versagen führen.
Dem Schicksal ausgeliefert?
Jasmila Žbanić erzählt das wie eine antike Tragödie. Mit einem stark begrenzen Zeitrahmen und Schauplatz, einer Schnelligkeit, die immer neue Entscheidungen verlangt. Žbanić zeigt ihre Heldin als eine, die ihren verbleibenden Einfluss für das Gute nutzen will und dennoch einer offenbar unausweichlichen Katastrophe ausgeliefert ist. So wie Aida die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal verliert, stürzt auch der Film fortwährend ins Beklemmende und letztlich Apokalyptische.
Das ist ein ungeheuer mitreißendes, bewegendes und hochspannendes, aber auch sachliches Werk, das sich nicht einfach mit bloßer Geschichtsbuch-Bebilderung aufhält. Vielmehr streben diese nahezu archetypischen Konflikte und Bilder ins Zeitlose, Universelle. Genau das ist es, was „Quo Vadis, Aida?“ so wertvoll macht.
Die Rolle des Kinos
Das Massaker findet in Žbanićs Drama in einer Kulturstätte statt. Das Schrecklichste entzieht sich letztlich der Sichtbarkeit. Eine essenzielle Frage, die der Film damit aufwirft, die nach der Darstellbarkeit eines solchen Grauens an sich sucht und zugleich die gesamte Kinogeschichte auf das Glatteis führt, die solche Bilder immer wieder reproduziert, vielleicht reproduzieren muss, meist ohne die Tragweite einer solchen historischen Annäherung verstanden zu haben. Das Verbrechen wird in Kultur überführt, die gleichermaßen als deren Nährboden, Manipulator aber auch stärkster Gegner in Erscheinung tritt.
Jasmila Žbanić hat besagte Tragweite verstanden. Ihr ist mit „Quo Vadis, Aida?“ ein zutiefst ambivalentes, eindringliches Aufarbeitungswerk gelungen. Eine reichhaltige Diskussionsgrundlage, die beim ersten Sehen überwältigt, indem sie ihr historisches Moment versucht, erfahrbar werden zu lassen. Beim zweiten Sehen dürfte besonders der Epilog in den Fokus rücken. Wie weitermachen nach einem solchen (Film-)Ereignis? Es wird einiges an der Form zu durchdenken und noch viel mehr abseits des Kinosaals aufzuarbeiten geben. Was „Quo Vadis, Aida?“ vom Erleben im Kleinen in das Große überführt, splittert sich in der Realität auch heute in viele kleine Nebenschauplätze auf, die sich wiederum zu einem Gesamtbild zusammensetzen müssen.
„Quo Vadis, Aida?“ läuft ab dem 5. August 2021 in den deutschen Kinos. Weitere Informationen zum Film gibt es auf der offiziellen Website. Bei der diesjährigen Oscar-Verleihung war das Drama als Bester Internationaler Film nominiert.
Bildquelle:
- quovadisaida: Farbfilm Verleih