„Eine dunkle Begierde“ – komplexe Charakterstudie [Kinokritik]

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Bild: © Romolo Tavani - Fotolia.com
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Der kanadische Kultregisseur David Cronenberg überzeugt mit der subtilen Adaption des Londoner Theaterhits „The Talking Cure“ unter dem Titel „Eine dunkle Begierde“. Er beleuchtet Lebensstationen von Sigmund Freud und Carl Gustav Jung, den Vätern der Psychoanalyse.

Liebe kann Berge versetzen. Das zeigt auch das vor dem Ersten Weltkrieg in Zürich und Wien spielende Drama „Eine dunkle Begierde“ eindringlich. Der Film, der auf einem Theaterstück des Briten Christopher Hampton basiert, bietet dabei vor allem ausgefeilte Schauspielkunst. Die Engländerin Keira Knightley, der Deutsch-Ire Michael Fassbender und der dänisch-US-amerikanische Akteur Viggo Mortensen entwerfen in den Hauptrollen vielschichtige Charakterstudien.
 
Die auf historischen Tatsachen ruhende Handlung konzentriert sich auf die komplizierte Beziehung der aus Russland stammenden Sabina Spielrein (Keira Knightley) und des Schweizer Psychiaters Carl Gustav Jung (Michael Fassbender). Sie ist zunächst seine Patientin, wird dann, obwohl Jung verheiratet ist, dessen Geliebte. Von ihm fasziniert, studiert sie schließlich selbst Medizin und tritt in seine beruflichen Fußstapfen.

Erschrocken darüber, dass er die übliche Grenze im Verhältnis von Arzt und Patientin überschritten hat, vertraut sich Jung dem Wiener Kollegen Sigmund Freud (Viggo Mortensen) an. Auf beider Gedankenaustausch fußen schließlich entscheidende Theorien und Methoden der Psychoanalyse, die noch heute Gültigkeit haben.
 
Man muss als Zuschauer kein Kenner der Materie sein, um dem spannungsreichen Beziehungsgeflecht zu folgen. Vor allem die Präsenz der Darsteller ermöglicht es dem Publikum, sich in die komplizierte Gedenken- und Gefühlswelt der Protagonisten hineinzuversetzen. Einige sehr freizügig ins Bild gesetzte Sex-Szenen zwischen Keira Knightley („Abbitte“) und Michael Fassbender („300“) sorgen zusätzlich für Nervenkitzel.
 
Fans der oft sehr schockierenden Horrorfilme des kanadischen Regisseur David Cronenberg, wie „Die Fliege“ (1986) und „Naked Lunch“ (1991), dürfte dessen zurückhaltende, sich überwiegend auf das Seelenleben der Protagonisten konzentrierende Inszenierung überraschen. Der studierte Literatur- und Naturwissenschaftler sagte dazu im Gespräch mit der dpa und Vertretern anderer Medien: „Wenn ich einen Film drehe, setze ich den Stoff so um, wie er es verlangt. Meine früheren Filme interessieren mich dabei nicht. Und es macht doch auch Spaß, Erwartungen einmal nicht zu erfüllen“.
 
Gefragt, was ihn an der Bearbeitung des Theaterstücks für das Kino besonders interessierte, antwortete David Cronenberg: „Jeder, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgewachsen ist, wurde von Freud und Jung beeinflusst. Begriffe wie ‚mein Ego‘ gehen uns allen flott von den Lippen. Mich interessiert, wer die Menschen waren, die unser Leben derart stark beeinflusst haben“. Allerdings sei „Eine dunkle Begierde“ für ihn kein Ego-Trip, meinte der 68-Jährige: „Das Drehen von Filmen hat für mich absolut nichts mit Therapie zu tun“.
 
Der für Kinogänger, die mehr als Action wollen, aufschlussreiche Blick in die europäische Geistesgeschichte des vorigen Jahrhunderts bezieht den größten Teil seiner Wirkung aus den intelligenten, nie mit Bildung prahlenden Dialogen. Erschütternde Intensität bekommt der Film am Ende, wenn der Abspann mit kurzen Schriften über das spätere Schicksal der Hauptfiguren informiert: Die Jüdin Sabina Spielrein, die Freud und Jung entscheidende Anregungen gegeben hat und heute weithin vergessen ist, wurde 1942 von den Nazis ermordet.Kinokritiken der Woche – Archiv
[Peter Claus]

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