Das Sci-Fi-Epos „Dune“ startet heute endlich in den deutschen Kinos. Regisseur Denis Villeneuve hat einen der spektakulärsten Blockbuster der vergangenen Jahre gedreht.
Noch bevor ein Vorspann einsetzt, noch bevor die Logos der beteiligten Studios und Firmen auf der Leinwand erscheinen, dröhnt und ächzt eine außerweltliche Stimme durch den Saal. Sie sinniert von Träumen als Botschaften, die aus dem Innersten, aus der Tiefe kommen. Denis Villeneuve braucht nur diese wenigen Sekunden, um die volle Aufmerksamkeit auf sein Blockbuster-Mammutwerk zu ziehen. Es folgt die donnernde Musik von Hans Zimmer, der immer wieder im Laufe des Films versucht, den gigantomanischen Bildern mit brachialen Klängen gerecht zu werden, wenn nicht zu übertönen.
Überhaupt: Wenn man über „Dune“ sprechen oder schreiben will, liegt die Versuchung nahe, direkt auf seine schier endlose audiovisuelle Wucht einzugehen. Das Maß an Spektakel, das Villeneuve in „Dune“ mit Riesenwürmern, Kriegsszenarien und Raumfahrt inszeniert, die strenge Komposition dieser Bilder, für die keine Leinwand groß genug sein kann, wird in diesem Jahr, vielleicht sogar in den nächsten Jahren kaum jemand überbieten können. Es ist erstaunlich, wie es der Regisseur versteht, mit derartigen Eindrücken noch einmal in Staunen zu versetzen, wo doch spätestens seit „Star Wars“ und Co. solche Apparaturen, Monstren und Maschinen längst im kollektiven Kino-Gedächtnis verankert sind. Villeneuve gibt ihnen ein furchteinflößendes Gewicht, eine Stofflichkeit, ein Faszinosum zurück.
Dystopische Kino-Symphonie
Wo sich „Dune“ zwischenmenschlich um allerhand (zerstörerische) Fremdheitserfahrungen und territoriale Erkundungen, Grenzüberschreitenden und -verletzungen dreht — ein bestimmendes Thema in der Filmographie des Regisseurs — begreift Villeneuve zugleich auch das Fremdartige seiner dystopischen Leinwand-Welt. Da sind gleichermaßen Bewunderung wie Verunsicherung für das, was sich der menschliche Geist ausgedacht hat, was vielleicht auf uns in der Zukunft lauert, was in der Populärkultur Perspektiven prägt und geprägt hat. Wenn sich gigantische Raumschiffe aus dem Meer erheben oder Maschinen durch die Wüste rattern, die die umkämpfte Droge Spice abbauen, dann sind das in diesem Film gleichermaßen Wunder wie todbringende Monstren.
Das Dröhnen der Motoren vermengt sich mit dem von Hans Zimmers Musik, Abgase werden als Symphonie in die Luft geblasen. Villeneuve lässt das Material sprechen, gerade dort, wo das Drehbuch an seine Grenzen stößt, den Wust an Handlungszweigen und Figuren in einem Film zu bändigen. Die spirituelle Ebene, das Reisen durch Raum und Zeit, das Träumen, brodelt noch unterschwellig, über bloßes, schnelles Montieren von Sinneseindrücken reicht das noch nicht hinaus. In „Dune“ gibt es zunächst einmal allerhand Greifbares zu entdecken und zu erleben. Den Rest hebt man sich womöglich für später auf.
Nur die erste Hälfte des Romans
„Dune: Part One“, steht da am Anfang. Kurz nach der Hälfte der Romanvorlage von Frank Herbert aus den 1960ern setzt dieser Film den Cut. Natürlich lässt man sich nicht nehmen, mit einigen Cliffhangern auf das zu verweisen, was da noch kommen mag. Spätestens in diesem Moment erstaunt abermals, dass man sich nicht für eine Serienadaption des ausufernden Stoffes entschieden hat. Andererseits ist es eine Wohltat, wie Villeneuve in seiner Verfilmung die Schere an das Ausgangsmaterial angelegt hat. Sein „Dune“ ist eine insgesamt werktreue Verfilmung, die sich dennoch nicht stur an der mühseligen Informationsflut des Romans abarbeitet, sondern sich auf Wesentliches beschränkt.
Wobei „Wesentliches“ leicht gesagt ist: Auch in dieser Form dient ein Großteil der Laufzeit als Exposition, die Villeneuve mit seinem Publikum gekonnt durchwandelt. Da muss zunächst der Konflikt ausgebreitet werden, der in dystopischer Zukunft auf dem Wüstenplaneten Arrakis ausgetragen wird. Dort, wo man das kostbare Spice abbaut, um Raumfahrt, Handel und Kommunikation am Leben zu erhalten. Die Eingeborenen des Planeten, die Fremen, fallen diesem Raubbau zum Opfer. Wer kommt als nächstes als Unterdrücker?
Die böse Schlächter-Familie Harkonnen wurde vorübergehend abgesetzt, doch insgeheim schmiedet man bereits Pläne zur Rückeroberung. Stellan Skarsgård mimt wunderbar grausig das Oberhaupt des Clans: ein schauriger Unhold, ein grotesker, überdimensionaler Leib, der von Gier zerfressen und aufgedunsen im Dunkeln haust. Seine Gegenspieler, die neuen Machthaber, das Haus Atreides, versuchen derweil, Frieden auf Arrakis zu stiften. Am Ende fallen sie einer Intrige zum Opfer. Sohn Paul (Timothée Chalamet) wird zur getriebenen Hamletfigur, die den Tod des Vaters rächen muss und von den Fremen mit fatalen Konsequenzen als Messias gefeiert wird.
Cleveres Spektakel
Wo Kino heute gerne nach menschelnden Befindlichkeiten, nach Innenschau sucht, zeigt Villeneuve vor allem Figuren, die Rollen im Größeren zu spielen haben und mit diesem hadern. „Dune“ ist ein ein ebenso politischer wie in gewisser Weise auch sperrig protzender Film. Sein überbordendes, überwältigendes Spektakel taugt jedoch als Projektionsfläche, auf der sich faszinierend die großen Katastrophen unserer Zeit ablesen lassen. Im Grunde genommen spielt es keine allzu große Rolle, ob Teil 2 von „Dune“ noch kommen wird. Das Handlungskonglomerat aus Intrigen, Kämpfen und Spiritualität ist nicht das Interessante an diesem Stoff.
Vielmehr ist es dessen sorgfältig und komplex konstruierte Spielbrettanordnung, die Exposition, in der jede Partei, jede Figur eine Art Stellvertreterstatus zu erfüllen hat, ohne dabei zur reinen Schlüsselerzählung zu verkommen. Der Kalte Krieg schimmert da aus der historischen Romanvorlage durch, Konflikte im Nahen Osten, Kolonialismus, religiöser Fanatismus, Terror, Posthumanismus, die Klimakatastrophe, ein neues Naturverständnis, gerade auch aktuelles Geschehen in Afghanistan – all das lässt sich aus den Bildern von „Dune“ herauslesen, denen im Zusammenprall der Elemente und Lebensformen eine ungeheure Archaik innewohnt, die die Erzählung, zugegeben, mitunter fast zu ersticken scheint.
Verlorene in ihrer Welt
Was schnell zu thematischer Willkür und Überfrachtung führen könnte, wird genau als solche fokussiert. Die Sci-Fi-Oper handelt im Kern von der menschlichen Angst des Kontrollverlustes. Wo die globalen Konflikte unübersichtlich werden, wo bemühte Diplomatie scheitert und die Umweltkatastrophe längst eingetreten ist, dort erwächst plötzlich religiöser Eifer, erwächst die Sehnsucht nach der zeitübergreifenden Hellsicht, die eigentlich viel zu spät kommt.
In riesigen, entgrenzten und lebensfeindlichen Kulissen und Installationen verlieren sich Figuren in ihrem eigenen Dilemma. Insofern sind all die überlebensgroßen Leinwandtableaus und Stimmungsräume stilitisch äußerst passend in Szene gesetzt. Der Messias, der Kwisatz Haderach, wie er in der Geschichte heißt, soll als einer erscheinen, der über Zeit und Raum hinwegdenken, beides neu wahrnehmen kann. Verhindern will man so einen weiteren zivilisatorischen Zusammenbruch. Ein wenig das Pendant zu Amy Adams‘ Figur in Denis Villeneuves „Arrival“. Deren utopisches Potential erfährt hier wieder seine düstere Kehrseite.
Der erste große Blockbuster der Dekade
Letztendlich führt „Dune“ das konsequente Scheitern genau dieser eskapistischen Sehnsucht im Aufeinanderhetzen der Vormachtstellungen vor. Faschistoide Tendenzen lauern dabei überall. Sie werden allein in all den Massenaufmärschen reaktiviert, auch auf der Seite der vermeintlich Guten. In dem Moment, da diese Frieden stiften wollen, wird die zerstörerische Reaktion anderer auf die Begegnung mit der Fremde unterschätzt. Ein Messias verflüchtigt sich da als Fantasiegebilde, auch er ist nur ein Zerrissener aus Fleisch und Blut.
Globales, inklusives Denken weicht womöglich erneut nur einer persönlichen, zerstörerischen Rache-Ideologie, solange sich ohnehin die Natur ihr Reich noch nicht zurückerobert hat. Visionen des jungen Paul Atreides warnen davor bereits in diesem ersten Teil. Ein finsterer Stoff! Einer, der sich in gegenwärtigem Weltschmerz und Ohnmacht suhlt und dabei wenig Erlösendes, aber auch viel Produktives, Diskursives findet. „Dune“ fehlen dabei spürbar einige Hintergrundinformationen aus der Romanvorlage, die die Dystopie mit Leben und Weite füllen und dieses politische Geflecht noch stärker anreichern würden. Viel Zeit, die einzelnen Parteien aus ihren Schablonen zu bewegen, bleibt in deren Fülle nicht.
Zwischen Autorenfilm und Kommerz
Gerade im Finale verpasst der Film eine Punktlandung, in der der Zwiespalt zwischen konformen Blockbuster-Regeln und formalistischem Autorenkino spürbar wird. Aber auch nach diesen zweieinhalb Stunden Appetizer ist die „Dune“-Verfilmung ein durch und durch faszinierender wie clever arrangierter Kino-Rausch, über den noch viel zu reden sein wird. Frank Herbert hatte ein schriftstellerisch konfuses, aber zeitlos brisantes Panoptikum menschlichen Versagens geschaffen. Trotz aller heute vertrauter narrativer Versatzstücke rund um Heldenreise und Adelskabale.
Regisseur Villeneuve hat das bestens erkannt. Mit „Blade Runner 2049“ hat der Kanadier einen der besten Blockbuster der 2010er Jahre gedreht. „Dune“ legt die Messlatte für das gegenwärtige Jahrzehnt ebenfalls hoch. Die zahllosen Fans der Vorlage bekommen ihre erste würdige Verfilmung, die angemessen komplex, aber nicht kompliziert erscheint. Mitreißend sinnliches und intelligentes Kino bekommen sie obendrauf.
„Dune“ läuft ab dem 16. September in den deutschen Kinos. Bereits ab dem 15. September kann man den Film bundesweit in Previews sehen. Bei den Filmfestspielen von Venedig feierte der Film außer Konkurrenz seine Weltpremiere.
Bei dem Artikel handelt es sich um eine überarbeitete Version des ursprünglichen Festivalberichts von den Filmfestspielen in Venedig.
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Bildquelle:
- Dune: Warner Bros. Entertainment/ Chiabella James
- dune: Warner Bros