Der Videobeweis könnte im Fußball schneller kommen als gedacht. Die FIFA hat eine Testphase längst beschlossen, der DFB bewirbt sich als Versuchskaninchen. Auch die Fans sprechen sich dafür aus: In einer Umfrage sagten 73 Prozent der deutschen Fußballfans, dass sie den Videobeweis wollen.
Fehlentscheidungen gehören zum Fußball wie der Ball und das Tor, so war es von den Videobeweis-Gegnern oft zu hören. Das Argument: Strittige Entscheidungen und die Diskussionen darüber sind das Salz in der Suppe des Fußballfans. Mit diesem Standpunkt haben Fußball-Romantiker lange dagegen angekämpft, dass im Fußball technische Hilfsmittel zum Einsatz kommen, wie es in anderen Sportarten längst an der Tagesordnung ist. Das Stimmungsbild hat sich in den letzten Jahren aber verändert. Die Torlinientechnik gibt es mittlerweile auch in der Bundesliga, und den meisten ist klar geworden, dass die technische Unterstützung der Schiedsrichter schlicht und einfach für mehr Gerechtigkeit sorgt.
Schluss mit der Ungerechtigkeit: Auch die Fans sind für den Videobeweis
In Umfragen spricht sich die Mehrheit der Fußballfans für die Einführung des Videobeweises ein. Vorbild sind andere Sportarten, wie Eishockey, American Football oder Tennis, in denen die Technik den Schiedsrichtern hilft, krasse und möglicherweise spielentscheidende Fehlentscheidungen zu verhindern. Das nimmt dort auch nicht wie befürchtet die Emotion aus dem Spiel, sondern ist gerade auch für die Fans gut: „In diesen Sportarten geht man am Ende des Spiels mit einem guten Gefühl nach Hause und muss nicht mit extremen Fehlern des Schiedsrichters hadern“, sagt ein Sportexperte von Sportwetten.org.
Nicht nur die Fans, auch die Klubs, Verbände, Spieler, Trainer und Schiedsrichter sind von der Notwendigkeit der Neuerung überzeugt. Der Weltverband FIFA hat für die kommende Saison 2016/17 eine Testphase für den Videobeweis beschlossen. Das Umdenken bei der FIFA, die sich lange gegen technische Hilfsmittel sträubte, hat mit dem Führungswechsel beim Weltverband zu tun. Der zurückgetretene Sepp Blatter galt als Gegner, wollte am Spiel so wenig wie möglich verändern. Sein Nachfolger Gianni Infantino ist ein Befürworter des Videobeweises.
Wie genau die Testphase durchgeführt wird, ist noch unklar. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat sich genau wie acht andere Ligen jedenfalls schon als Versuchskaninchen angeboten. „Wenn die Tests zugelassen werden, können wir sie mit am schnellsten umsetzen, da wir über eine eigene Produktionsfirma besitzen“, sagte DFL Geschäftsführer Christian Seifert unlängst. Ansgar Schwenken, Direktor Fußball-Angelegenheiten und Fans bei der Liga, betonte: „Wichtig ist uns bei der Umsetzung vor allem, dass das Fußballspiel dennoch seinen eigentlichen Charakter behält.“ Worte, die skeptische Fans beruhigen dürften.
Für die Umsetzung ist vorgesehen, dass es einen Videoschiedsrichter gibt, einen vierten Assistenten des Hauptschiedsrichters. Dieser soll im Übertragungswagen außerhalb des Stadions sitzen und bei Bedarf über strittige Szenen entscheiden. Es geht allerdings nur um spielentscheidende Szenen. Im Klartext heißt das: Platzverweise, Elfmeter und Tore. Doch wie soll, wie darf der Videoschiedsrichter ins Geschehen eingreifen?
Wie soll der Videobeweis angewandt werden? Es gibt verschiedene Optionen
In Deutschland soll zunächst einmal die Variante getestet werden, dass der Videoschiedsrichter nur dann eingreift, wenn der Hauptschiedsrichter seine Unterstützung anfordert. Denkbar wäre aber auch, dass der Videoschiedsrichter selbst eingreift, wenn er eine Fehlentscheidung bemerkt, und den Hauptschiedsrichter umgehend darauf hinweist – das umgekehrte Modell also. Im American Football oder im Tennis hat sich die Challenge-Methode bewährt: Ein Trainer (im Football) oder ein Spieler (im Tennis) hat pro Spiel bzw. pro Satz eine bestimmte Anzahl an Einspruchsmöglichkeiten. Eine Schiedsrichterentscheidung kann damit angefochten werden und muss per Videobeweis noch einmal überprüft werden. War der Protest berechtigt, wird dies in Form einer zusätzlichen Einspruchsmöglichkeit belohnt. Die Challenge-Variante soll in anderen Ländern ausprobiert werden.
Umsetzung des Videobeweises: Diese Varianten gibt es
- Passiver Videoschiedsrichter: Er schreitet nur ein, wenn es vom Hauptschiedsrichter angefordert wird
- Aktiver Videoschiedsrichter: Er greift ein, wenn er eine Fehlentscheidung des Hauptschiedsrichters bemerkt. Dieser kann ihn von sich aus nicht anrufen.
- Challenge-Methode: Jedes Team hat eine bestimmte Anzahl von Einspruchsmöglichkeiten, mit denen Entscheidungen kontrolliert werden dürfen
Prominente Fürsprecher hat der Videobeweis in jedem Fall. Der Niederländer Louis Van Gaal etwa, Ex-Bayern-Coach und im Moment Cheftrainer bei Manchester United, sprach sich deutlich für eine Einführung aus. Nicht alle Situationen seien durch den Videobeweis zu klären, aber die Schiedsrichter würden dadurch sehr entlastet werden. „Sie können nicht alles alleine machen“, so Van Gaal. Auch Kult-Coach Ewald Lienen, im Moment beim Zweitligisten FC St. Pauli, äußerte sich nach der Niederlage gegen den FC Nürnberg am 33. Spieltag pro Videobeweis, wie goal.com berichtet. „Die ganze Welt weiß drei Sekunden später, was da jetzt Tango war, nur der Schiedsrichter und wir auf dem Platz nicht,“ beklagte sich Lienen. Im Zorn nach der ärgerlichen Niederlage schlug Lienen ganz pragmatisch vor, die Offiziellen könnten Entscheidungen ja einfach auf dem Laptop per Sky Go überprüfen.
Herbert Fahndel: „Es geht nicht, dass sich die Assistenten einmischen“
Von Seiten der Schiedsrichter gibt es nicht nur Freudenrufe. Ex-Weltschiedsrichter Dr. Markus Merk etwa warnte: „Es gibt viele Unwägbarkeiten.“ Im Allgemeinen hält Merk den Videobeweis aber für „machbar“ und sinnvoll: „Gerade in der letzten Saison haben wir Fehlentscheidungen in einem Maß wie noch nie gesehen. In keinem Unternehmen und auch keiner anderen Sportart toleriert man klare Fehler.“ Herbert Fandel, der Vorsitzende des DFB-Schiedsrichter-Ausschusses, betonte, dass die Entscheidungsgewalt beim Schiedsrichter bleiben muss. „Es geht nicht, dass sich die Assistenten einmischen. Es muss eine klare Struktur in der Kommunikation geben.“ Die Challenge-Variante und die des aktiven Videoschiedsrichters ist für ihn somit ausgeschlossen.
Wie schon die Torlinientechnik wäre jedenfalls auch die Einführung des Videobeweises mit Mehrkosten verbunden: 10.000 Euro pro Spiel müssten aufgebracht werden. Immerhin sollen alle Szenen dann dank zwölf bis 15 Kameras im Stadion aus vier bis fünf verschiedenen Blickwinkeln zu sehen sein. [kw]
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