In dem Justizdrama „Der Mauretanier“ kämpft Jodie Foster als Anwältin gegen das grausame Unrecht im Guantanamo-Gefangenenlager. Heute startet der preisgekrönte Film in den deutschen Kinos.
Jodie Foster erhielt für ihre Darstellung der Anwältin Nancy Hollander einen Golden Globe. Dabei ist es gar nicht unbedingt ihre Leistung, die nach „Der Mauretanier“ im Gedächtnis bleibt. Im Kern gehört der Film nämlich Tahar Rahim, der den titelgebenden mauretanischen Häftling Mohamedou Ould Slahi spielt oder vielmehr verkörpert. Das ist eine Darbietung, die vor der Kamera im besten Sinne in Fleisch und Blut übergeht. Rahim darf die ganze Bandbreite darstellen: vom geheimnisvollen Manipulieren über stilles Erdulden, Grübeln, Scherzen, Hoffen, Weinen, Jubeln und vor allem viel Leiden, an dem das Publikum teilhaben muss.
Mohamedou Ould Slahi wurde als ein mutmaßlicher Drahtzieher hinter den 9/11-Anschlägen unrechtmäßig über 14 Jahre in dem Guantanamo-Foltergefängnis festgehalten, ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Bis er mithilfe der Anwältin Nancy Hollander frei kam. „Der Mauretanier“ bringt diesen Fall auf die Leinwand. Letzteres ist übrigens wörtlich zu nehmen! Nach Monaten der Kinoabstinenz öffnen vielerorts nach und nach wieder die Häuser. Kevin Macdonalds („State of Play„) Justizdrama ist nach seiner Berlinale-Premiere einer der ersten größeren Titel, die nun starten werden.
Journalismus-Kino
„Der Mauretanier“ arbeitet sich dabei anhand mehrerer Erzählperspektiven zum Kern eines Unrechtssystems durch, das im vermeintlichen Kampf gegen das Böse paranoid und willkürlich nach Sündenböcken sucht und dessen Problematik in die Gegenwart reicht. Schade, dass er dabei allzu bemüht ist, die einzelnen Fäden ständig fein säuberlich zu sortieren und auszubreiten, anstatt gerade aus einer Verdichtung und Beschneidung der Sichtweise seine Stärken vollends auszuspielen. Anders ist Slahis Erfahrungsbericht wahrscheinlich ohnehin nicht zu verfilmen; Macdonald weiß insgeheim darum. Er konzentriert sich im Laufe des Films verstärkt auf seinen Protagonisten und kann doch nicht ganz lassen, die übrigen Figuren immer wieder als Erklärbären und Zweifelnde dort auftreten zu lassen, wo bereits genügend erklärt wurde und eigentlich das Publikum mehr zweifeln sollte als seine Gegenüber.
„Der Mauretanier“ erscheint mit dieser Vielstimmigkeit und dem schnell durchschautem Spannungsaufbau konstruierter, als er eigentlich sein müsste. Man muss Macdonald hingegen hoch anrechnen, dass er sich bei alldem kaum mit banalen Privatismen seiner Figuren aufhält, sondern konsequent an die großen Themen herantritt. Und auch wenn sein Film zwischendurch immer wieder kurz davorsteht, zur bloßen bebilderten Geschichtsstunde zu mutieren, gelingt seiner Gratwanderung in vielen Momenten doch erstaunlich gut, aus den Stärken seines Mediums zu schöpfen.
Basierend auf dem „Guantanamo-Tagebuch“
Generell spielt das Mediale auch innerhalb der Handlung eine tragende Rolle. Das berühmte „Guantanamo-Tagebuch“ von Mohamedou Ould Slahi, auf dem der Film basiert und das unerbittlich mit der amerikanischen Zensur zu kämpfen hatte, wird hier in den Ansätzen seiner Entstehung porträtiert. Ein Verständnis füreinander ermöglicht in erster Linie übermitteltes Material, ähnlich verhält es sich mit dem Film an sich. Papiere werden in das Gefängnis und aus ihm heraus gebracht. Wo nicht frei gesprochen werden darf, wird geschrieben, bevor es der behördlichen Zensur ausgeliefert ist. Schwarze, rätselhafte Leerstellen in Briefen und Protokollen werden da gezeigt, die der Film nun zu füllen versucht.
Macdonald zeigt Figuren ausgiebig beim Lesen und Aktenwühlen. Die Schrift auf der Leinwand überlagert sich mit den Bildern, die der Regisseur für ihren Inhalt findet, während Jodie Fosters Figur und Benedict Cumberbatch als Militärstaatsanwalt um Schuld- und Freispruch des Mauretaniers ringen. Die Eigenleistung des Films in dieser Mittlerrolle, als Bebilderung der literarischen Memoiren ist, zugegeben, über weite Strecken eher gering. Dafür sind seine Erkenntnisse zu rudimentär, wenn man auch nur entfernt von dem realen Fall und der politischen Anklage gehört hat, die seine Adaption durch ihn formulieren will.
Verstörende Rückblenden
Mitreißend wird es, wenn sich „Der Mauretanier“ von den Akten abwendet und stattdessen auf Eindrücke und Wahrnehmungen konzentriert. Was Macdonald außerhalb des Lagers inszeniert, ist durchschnittliches Handwerk, seine Eindringlichkeit erreicht er jedoch erst, wenn er in die Welt des Gefangenen eintaucht. Wenn sich die Rückblenden zu den menschenverachtenden Praktiken in Guantanamo in die Handlung schieben, dann gibt es da bemerkenswert inszenierte Szenen. Macdonald gelingt es, ein Gefühl für die unerträgliche Zeitlosigkeit und Peinigung zu vermitteln, das sich letztlich in Erkenntnis verwandelt. Vor allem überzeugen diese Momente, indem aus ihnen ein Gestaltungsmut spricht, ein Wille, den Stoff adäquat filmisch zu formen und nicht einfach nur in bequemliche Hochglanzbilder zu stecken.
Da verengen sich die grobkörnigen Aufnahmen zum quadratischen Ausschnitt, die Kamerablicke sind teils so unerbittlich an die subjektive Wahrnehmung Mohamedous geheftet, dass wir selbst im verstörenden Moment einer Wasserfolter mit in dem Stoffsack feststecken. Dem Film gelingen damit schmerzhafte, eindrückliche Akzente. In anderen Momenten windet sich die Kamera durch die beklemmenden Zaungänge des Lagers, als würden wir uns in dem Horrorlabyrinth von Stanley Kubricks „Shining“ befinden, oder sie blickt durch kleine Löcher in einer Plastikplane. Der Leidensgenosse im Gefangenenlager, er erscheint ebenfalls nur als räumlich abgeschirmte und unerreichbare Stimme von der anderen Seite des Zaunes. Eine Ahnung, welch ungeheure Ausmaße das Unrecht längst angenommen hat.
Unnötige Perspektivwechsel
Warum also nicht vollends in diese Kniffe eintauchen? Was in der jetzige Form nur in eingeschobenen Rückblenden geschieht, hätte auf Dauer vielleicht ein echtes Skandalon aus „Der Mauretanier“ gemacht. Wäre Macdonalds Film von Anfang bis Ende als rein subjektiver Erfahrungsbericht in einer solchen Unmittelbarkeit aufgezogen; es hätte bedeutend mehr zum Diskutieren gegeben! So ist das alles etwas generisch montiert und auf verdauliches Ausbuchstabieren hin angelegt.
Diese Erklärwut, diesen Hang zum Einordnen und allseitigen Beleuchten braucht es nicht für interessantes Kino. Macdonald traut seinem Publikum nicht zu, sich die Thematik selbst anhand dieses beklemmenden Erfahrungsberichts zu erarbeiten, es braucht noch die Figuren da draußen, die amerikanischen Identifikationsfiguren, mit denen das Publikum gemeinsam forschen darf und seine Bestürzung zugleich noch einmal bildhaft auf der Leinwand widergespiegelt bekommt.
„Der Mauretanier“ ist ein sehenswerter Beitrag zur nach wie vor unabgeschlossenen Aufarbeitung des Systems Guantanamo; als Anprangerung eines brüchigen Rechtsstaats ist er nicht radikal genug. Am Ende will Macdonalds Film keinen Schock provozieren, sondern damit Wunden lecken, dass er eben nicht nur von einer dunklen Seite der USA erzählt, sondern in seinen ständigen Perspektivverschiebungen zugleich auch von deren (zunächst) erfolgreicher Überwindung durch amerikanische, geläuterte Heldenfiguren.
„Der Mauretanier“ eröffnete am 9. Juni die 71. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Ab dem 10. Juni läuft der Film, wo geöffnet, auch regulär in den deutschen Kinos.
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