Regisseur Pan Nalin erzählt in „Das Licht, aus dem die Träume sind“ vom Traum eines kleinen Jungen auf ein besseres Leben – angetrieben von der Magie des Kinos.
Es ist mal wieder einer dieser Filme, bei denen man von einem „Liebesbrief an das Kino“ spricht. Der Verleih ließ sich sogar zu der kuriosen Genre-Beschreibung „Cinephilgood-Drama“ hinreißen, also eine Art cinephiles Wohlfühldrama. Und es stimmt ja auch, genau das ist „Das Licht, aus dem die Träume sind“ geworden. Eine Huldigung, ein filmgewordenes Augenfunkeln gegenüber der vermeintlichen Magie, die sich mit etwas technischem Geschick entfesseln lässt und den Kinosaal durchfluten kann. Zugleich stellt sich bei solchen Werken meist die Frage, warum man sie sich denn anschauen sollte, wenn sie erst einmal begonnen haben. Denn man sitzt doch längst dort, im Kinosaal. Wozu also noch diese unendlich bemühte Überzeugungs- und Bekehrungsarbeit?
Dass Film und Kino nicht allein schillernder Zauber sind, davon weiß schließlich auch Pan Nalins Coming-of-Age-Geschichte, auch wenn er ihm immer wieder lustvoll verfällt. Er hat mit „Das Licht, aus dem die Träume sind“ ein Jugendporträt auf die Leinwand gebracht, das nach dem eskapistischen Potential dieser wundersamen Kunstform sucht, wo sonst Existenzängste, Gewalt und Aufstiegsschwierigkeiten das Profane bestimmen.
Film als Religion und Erweckungserlebnis
Samay (Bhavin Rabari), so heißt der junge Protagonist, wächst in einem indischen Dorf auf. Die Armut ist groß, die gefestigten Bahnen des Alltags werden fortwährend ins Schlingern gebracht. Traditionelle Lebensweisen müssen sich neuen, rücksichtslosen Realitäten stellen, der finanzielle Ruin könnte jederzeit bevorstehen. Das Kino dient da als fast heiliger Ort, der Wundersames, Höheres verspricht. Einen religiösen Film schaut die Familie zu Beginn von Pan Nalins Drama, das erlaubt der strenge Vater (Dipen Raval) gerade noch, der ansonsten wenig vom Kino hält und die Familie notfalls auch mit körperlicher Züchtigung zu beherrschen versucht.
Für den kleinen Samay wird dieser Kinobesuch zum Erweckungserlebnis, das sich nicht mehr abschütteln lässt. Das Lichtspiel wird seine Schule und der Filmvorführer Fazal (Bhavesh Shrimali) sein neuer Lehrmeister, den er im Gegenzug mit seinem täglichen Mittagessen bezahlt. Und so sitzt das Publikum mit zweien im heruntergekommenen Vorführraum, um menschliche Regungen und deren Auslöser zu beobachten und den Reiz dessen mit nach draußen zu tragen.
Kinogeschichte wiederholt sich
Der Filmbegeisterte wird mit seiner Clique versuchen, ein eigenes Kino auf die Beine zu stellen. Mit simplen Mitteln machen sie sich die Physik Untertan. Die Bilder müssen laufen lernen, Ton wird notfalls live produziert. Was zählt, ist das kollektive Erlebnis. „Das Licht, aus dem die Träume sind“ zeigt damit Filmgeschichte(n) im Kleinen, ihre Universalität, aber auch ihre Manipulation. Der Filmvorführer Fazal ist es, der dem Protagonisten, Tagträumer und angehenden Regisseur ebenso die Geheimnisse des Tricksens und Täuschens erklärt. Das hat dieser Film etwa Kenneth Branaghs misslungenem Familiendrama „Belfast“ voraus. Ein tieferes Eindringen in ideologie- und kulturkritisches Denken, in die propagandistischen Dimensionen des Mediums bleibt zwar auch Pan Nalins Film oftmals schuldig, dafür ist die Verklärung, die Kinoliebe noch zu groß. Ihn interessiert vor allem das mitunter nostalgische Schwelgen im Utopischen, das die Kunst verspricht.
Nichtsdestotrotz gelingt ihm eine durchaus beachtliche Verzahnung von Film, Kinogeschichte und ihrer Einbettung in soziale Realität, ohne die prekären Lebensumstände und politischen Schräglagen unnötig zu verkitschen oder zu verharmlosen. Und so wird insbesondere der Traum von der Wundermaschine Kino irgendwann einen konsequenten wie eindrucksvollen Rückschlag erleiden. Die sozialen Umwälzungen greifen in „Das Licht, aus dem die Träume sind“ nach der Kunst, sie werden die Handlung des Films umschlagen lassen, wenn die Digitalität, die vermeintliche Moderne Einzug hält und sich Produktions- und Vorführpraktiken verändern.
Aus Filmmagie wird Industrieprodukt
Pan Nalin zeigt damit eine Form von Kino im Sterben und so bricht auch dieser Film auf packende Weise entzwei, Ja, er gerät regelrecht in Stillstand, löst sich auf in einem surreal erscheinenden Horrorszenario, in dem die beschworene Kinomagie auf ihr pures Materielles zurückgeworfen wird. Die Apparate, das Zelluloid, das ganze Wunderwerk landet auf Schrottplätzen und in Fabriken, um weiterverarbeitet zu werden. Aus dem Flüchtigen, schier übersinnlich erscheinenden Kunstwerk werden plötzlich Gebrauchsgegenstände und der Film wird bloße Arbeit. Grandios in Szene gesetzte Minuten sind das, die Nalin da auf die Leinwand gebracht hat. Weil er sie über eine erstaunliche Dauer hinweg aushält, als könne er selbst kaum fassen, was es da zu sehen gibt, wenn sich Schmelzöfen wie ein Höllenschlund öffnen und Überreste der Kunsterfahrung zum zigfach duplizierten Billigschmuck werden.
Nicht nur das Kunstwerk wird in der technischen Reproduzierbarkeit seiner auratischen Erfahrung beraubt, wie es Walter Benjamin in den 1930ern für den Film beschrieben hatte. Selbst seine Zutaten sind nichts als reproduzierbare, beliebig umformbare Objekte, das zeigt Pan Nalin in diesem verstörenden Kippmoment. So schillernd und schnell der Filmzauber losbrechen kann, so schnell ist er ruiniert, desillusioniert, entlarvt. Und so drängt sich dieser „Liebesbrief an das Kino“, dieses „Cinephilgood Drama“ ausgerechnet dann ins Gedächtnis, wenn jenes Kino gerade in all seine Einzelteile zerschlagen wird.
„Das Licht, aus dem die Träume sind“ läuft seit dem 12. Mai 2022 in den deutschen Kinos.
Bildquelle:
- licht-traeume: Neue Visionen