„Club Zero“: Sollten wir einfach aufhören zu essen?

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Schülergruppe in "Club Zero"
Foto: Neue Visionen Filmverleih

Jessica Hausner erzählt in ihrer Satire „Club Zero“ von zwielichtigen Weltverbesserern und Selbstoptimierung, die fanatische Züge annimmt.

Die Frage ist ganz klar: Isst der Mensch zu viel? Wäre die ganze Welt nicht besser bedient, würde er sich stärker im Verzicht üben? Während heute immer wieder und zum Teil höchst aufgeheizt über unser Konsumverhalten reflektiert und gestritten wird, lässt auch die Autorenfilmerin Jessica Hausner („Little Joe“) ihre Figuren allerlei Argumente vortragen, bis ganze Generationen im Clinch liegen.

Die Österreicherin verortet ihren neuen Film, der lose vom „Rattenfänger von Hameln“ inspiriert sein soll, an einer Eliteschule: Schülerinnen und Schüler, die Kinder reicher Eltern, marschieren in Uniformen auf, die Tagesabläufe sind klar geregelt. In den Kursen der rätselhaften Frau Novak trifft man sich, um über die eigene Ernährung nachzudenken und sich Tipps einzuholen, wie man sie verbessern kann. Aus dem Regal lacht bereits der Fastentee, den die Novak ihren Schützlingen und Kollegen anzudrehen versucht – versehen mit ihrem Konterfei.

Schnell nehmen die Diskurse in Novaks Kursen größere Dimensionen an: Man reflektiert kritisch westliche Konsumgesellschaften, das Leben in sinnlosem Überfluss, Verschwendung, Exzessen. Persönliche Fitness und Konzentrationssteigerung versus die Rettung des Planeten. Und die Gruppe beginnt schnell, sich in ihrem eigenen Verhalten zu radikalisieren, bis die Eltern zu Hause einen selbstzerstörerischen Charakter wittern. Man reagiert mit Zwang, Beherrschung, während der Kontrollverlust voranschreitet. Ist der Menschheit wirklich geholfen, wenn sich einfach eine Gruppe Privilegierter zusammenrottet und so radikal ihren Bedürfnissen entsagt?

Sidse Babett Knudsen in "Club Zero"
Die Leiterin der Schule wittert Böses. Foto: Neue Visionen Filmverleih

„Club Zero“ ist eine Versuchsanordnung in giftigen Bildern

Hausners Satire ist ein Werk, das seinen Planspiel-Charakter, seine Versuchsanordnung als solche jederzeit ausstellt. Ihre formale Strenge betont bewusst das Artifizielle. Räume in diesem Film sind in kränkliche Pastelltöne getaucht, Schuluniformen ergießen sich wie farbliches grüngelbes Gift über die Leinwand. Kinderzimmer sind von denen in Krankenhäusern kaum zu unterscheiden. Die ausgestellte, sinnbildliche Kontrolle, mit der hier überall Ordnung geschaffen wird, versprüht Eiseskälte. Selbst das Spielzeug im Regal erscheint so mehr wie ein sorgfältig drapierter Deko-Artikel denn als Gegenstand, den tatsächlich Menschen benutzen würden.

Die Kamera zoomt in „Club Zero“ konzentriert auf Gesichter und Verhaltensmuster, als würde sie Objekte unter einem Mikroskop fokussieren und selbst kaum glauben, was sie dort zu sehen bekommt, oder sie zieht sich zurück, als klebte sie überwachend an Wänden unter Zimmerdecken. Rituelle Gesänge unter Schülern und Lehrerin scheinen Räume zu überwinden, die Welt zu erobern – mitunter erhalten solche Szenen magisch-realistische Konnotationen. Die Distanz, die Hausners Film mit solchen Mitteln kreiert, tritt formal eindrucksvoll in Beziehung zu der diskursiven Irritation, die er offensichtlich anstrebt. Nur: Ist das wirklich so irritierend, was in dieser Satire vorgeführt wird?

Mia Wasikowska in "Club Zero"
Mia Wasikowska animiert ihre Schüler zum Fasten. Foto: Neue Visionen Filmverleih

Schritt für Schritt nahrungsfrei

„Club Zero“ spitzt sein Szenario fortwährend zu. Schritt für Schritt werden Essensportionen rationiert. Die Jugendlichen kotzen, um sich von der überschüssigen Nahrung wieder zu befreien. Man legt schuldbewusst eine Beichte ab, wenn man einmal drei Kartoffelspalten auf dem Teller zu gierig verschlungen hat. Hausner zeigt konsequent, dass Diskussionen über übermäßigen Konsum und Ungleichverteilung unmittelbar verflochten sind mit realen Fragen und vorgelebten Praktiken der Disziplinierung und Selbstkontrolle, um in einer spätkapitalistischen Welt leistungsfähiger sein zu können. Genuss gilt es, auf ein absolutes Minimum zu beschränken oder völlig zu negieren, sofern er nicht größeren Zwecken dient.

Wenngleich beide Werke ganz unterschiedliche künstlerische Herangehensweisen nutzen: Die Frage der Ernährung, des Eingebundenseins des Menschen in bestimmte Kreisläufe hatte auch David Cronenbergs fabelhafter Körperhorrorfilm „Crimes of the Future“ aufgeworfen, in dem der veränderte Mensch der Zukunft plötzlich den Müll zu verdauen beginnt, den er zuvor in die Welt gebracht hat. Von der stilistisch verstörenden, ambivalent entworfenen Schwebe, die Cronenbergs Film innewohnt, fehlt es „Club Zero“ allerdings an vielen Stellen.

Mensa-Szene in "Club Zero"
Kartoffelspalten – streng rationiert Foto: Neue Visionen Filmverleih

Grauenerregende Fastenkur

Stattdessen erscheint Hausners Film allzu schnell recht eng gefasst in seiner Erzählung. Die drängend aktuellen Fragen, mit denen er sein Publikum konfrontiert, weichen zu früh einer warnenden Geste, die das Sektenverhalten der Figuren anprangert und zum abschreckenden Beispiel arrangiert. Gleich in den ersten Bildern werden vereinzelt angeordnete Sitzplätze weg- und umgeräumt, geformt zum großen Stuhlkreis. Aus Grüppchen wird eine Gruppe und der Meinungskorridor wird in ihr immer enger. Der selbsterklärte Weltverbesserer-Geist nimmt immer fanatischere Züge an und wird fortwährend beratungsresistenter. Hilfe weist man ab, man wähnt sich auf guter Mission. Eltern verlieren den Zugriff auf ihre Kinder. Gerahmt ist das längst mit dem Horriblen, Grauenerregenden.

Irgendwann treten Figuren mit grotesk geschminkten, kränklichen Gesichtern auf. Eine Schülerin isst demonstrativ ihr eigenes Erbrochenes. Anregende Uneindeutigkeit weicht damit der bloßen Warnung. Erst zum Schluss gelingt Hausners Film wieder eine kluge, genuin filmische Verunsicherung, wenn er auf faszinierende Weise mit der bildenden Kunst, mit ikonischen Bildern spielt. Die Anschauungssubjekte, die plötzlich in einer weiteren künstlerischen Ebene verschwinden, ihr utopisches Idyll im Pittoresken finden. Die ratlosen Zurückgebliebenen, die sich zum ersten Mal ernsthaft mit den Fragen ihrer Kinder auseinandersetzen müssen. Ist unser Essverhalten tatsächlich zuvorderst eine Fragen des Glaubens, der Vermarktung und der Einbildung? Das letzte Abendmahl erhält in den starken letzten Bildern von „Club Zero“ jedenfalls eine bös gewitzte neue Bedeutung.

„Club Zero“ läuft im Verleih von Neue Visionen seit dem 28. März 2024 in den deutschen Kinos.

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