Lange Zeit galt David Mitchells Roman als unverfilmbar. Doch der deutsche Regisseur Tom Tykwer lies sich davon nicht abhalten und schuf mit „Cloud Atlas“ ein aufwendiges Filmepos, das den Zuschauer knapp drei Stunden lang mit auf eine magische Reise nimmt, auch wenn die Vielzahl der Verknüpfungen bisweilen für Überforderung sorgt.
Dieses Muttermal macht stutzig. Über die Jahrhunderte tauchen in „Cloud Atlas“ immer wieder Menschen mit einem Leberfleck in Form eines Kometen auf. „Alles ist verbunden“, lautet das Credo des Films des deutschen Regisseurs Tom Tykwer („Lola rennt“, „Das Parfum“) und der amerikanischen Geschwister Lana (früher Larry) und Andy Wachowski („Matrix“-Trilogie). Ihre Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von David Mitchell über Liebe, Tod und Wiedergeburt sprengt nicht nur ästhetisch und erzählerisch die Grenzen.
Mit 100 Millionen Dollar Produktionskosten ist „Cloud Atlas“ der teuerste deutsche Film der Geschichte, und mit 172 Minuten gehört das Werk auch zu den längsten Filmen des Jahres. Gleich vier Oscar-Preisträger treten in jeweils bis zu sechs Rollen auf: Tom Hanks, Halle Berry, Susan Sarandon und Jim Broadbent. Herausgekommen ist ein magischer Trip durch die Jahrhunderte. Mal witzig, tragisch, mitreißend und atemberaubend düster. Mal voller Pathos und esoterischer Heilsbotschaft.
Auf sechs parallel verlaufenden Ebenen erzählt der zum großen Teil im Studio Babelsberg in Potsdam gedrehte Film vom Sinn des Lebens – und der Erkenntnis, dass unser Verhalten im Jetzt eine Auswirkung auf die Zukunft hat. Das ist am besten an den von Hanks gespielten Figuren zu sehen, wie Tykwer im Interview erklärte.
„Obwohl es sechs Geschichten gibt, war für uns immer klar, dass es eine Erzählung ist – zusammengehalten von Tom Hanks, der im Film quasi eine charakterliche Evolution durchmacht: Er beginnt als Bösewicht und mörderischer Fiesling, dann begegnet er einer Frau, begegnet ihr noch einmal und noch einmal. Er muss ein paar Mal wiedergeboren werden, um alles zu begreifen und wandelt sich aber schließlich zum Helden, der quasi die Menschheit rettet.“
Hanks ist im Jahr 1849 ein übler Arzt auf einem Schiff im Pazifik. 1936 trickst er als hinterlistiger Hotelchef in Schottland seine Gäste aus. 1973 verliebt er sich in San Francisco als Physiker in eine geheimnisvolle, von Oscar-Preisträgerin Halle Berry gespielte Frau. 2012 stürzt er in London als wütender Schriftsteller einen seiner Kritiker vom Hochhaus. Im Jahr 2321 hütet er in einer in die Steinzeit zurück gefallenen, postapokalyptischen Zivilisation auf Hawaii Ziegen. Und 2346 erzählt er am Lagerfeuer eine fast unglaubliche Geschichte.
Auch Halle Berry, Hugh Grant, Susan Sarandon, Jim Broadbent, Ben Whishaw, Jim Sturgess, Doona Bae und Hugo Weaving spielen Figuren, die sich in verschiedenen Leben immer wieder begegnen: Ein amerikanischer Anwalt (Sturgess) setzt sich im 19. Jahrhundert für einen Sklaven ein. Eine Journalistin (Berry) deckt in den 70er Jahren eine Atom-Intrige auf. Ein Verleger (Broadbent) wird im Jahr 2012 gegen seinen Willen in ein Altenheim eingeliefert und plant den Ausbruch. Eine geklonte Kellnerin versucht, 2144 in Südkorea ihren eigenen Willen zu entdecken.
Die Leistung der Maskenbildner ist enorm – oft erkannten sich die Schauspieler am Set gegenseitig nicht. „Das war sozusagen ein Running Gag der Produktion“, erzählte Tykwer. Besonders beeindruckend und nicht wiederzuerkennen: Hugh Grant als Kannibale. „Der Film versucht die Geschichtlichkeit aufzuheben, indem er die Zukunft in der Vergangenheit zu Ende erzählt und umgekehrt“, so Tykwer. „Man muss sich verabschieden von einer bestimmten linearen Vorstellung von Existenz.“
„Cloud Atlas“ ist eine furiose Mischung verschiedenster Stilrichtungen: Drama, Science-Fiction, Thriller, Liebesgeschichte, Historienepos, Komödie und Endzeit-Story. Tykwer und den Wachowskis gelingen großartige Bilder. Der Zuschauer wird mit immer neuen optischen Reizen herausgefordert. Auch wenn die Story manchmal überkonstruiert wirkt – wer sich auf „Cloud Atlas“ einlässt, wird großes, leidenschaftliches Kino erleben.Kinokritiken im Überblick
[Elke Vogel/fm]
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