Einen schwierigen Spagat muss Oscar-Preisträger Ben Affleck im Actionthriller „The Accountat“ vollbringen: Als autistischer Killer ist er ebenso gnadenlos wie sympathisch. Die Geschichte erschließt sich dabei immer nur schrittweise.
Einen so sympathischen Killer hat das Kino lange nicht mehr hervorgebracht. Der kriminelle Buchhalter Christian Wolff im Thriller „The Accountant“ ist mit Ben Affleck kongenial besetzt. Die Zwiespältigkeit der Figur erweckt der zweifache Oscar-Gewinner mit furioser Intensität zum Leben: Wolff hat mit seinen autistischen Zügen nicht nur ein geniales Gespür für Zahlen. Ebenso nüchtern wie seine Rechenkünste beherrscht er seine Kampfinstinkte.
Der Protagonist erinnert mit seinem nahezu fotografischen Gedächtnis und seiner zurückgezogenen Lebensweise mal an „Rain Man“, mal an „Léon – Der Profi“. Wolffs Geschichte liegt in seiner Kindheit begründet: Sein Vater, ein hoher Militär, wollte es nicht zulassen, dass sein Sprössling sein Talent frei entfaltet, die Bedürfnisse des autistischen Kindes empfand er als Schwächen. So erzog er Christian und den Bruder Braxton mit großer Härte. Die Jungen mussten schon früh ein Spezialtraining durchlaufen, das aus ihnen Kampfmaschinen machte.
Dem Publikum eröffnen sich nur ganz allmählich die Geheimnisse der Hauptfigur. Wolff führt auf den ersten Blick das Leben eines Provinzbuchhalters, seine pedantische Genauigkeit hat er weitmöglich in seinen Tagesablauf integriert. Hinter der Fassade aber nutzt er die Hochbegabung, die mit seinem Asperger-Syndrom einhergeht, für illegale Zwecke: Er bereinigt die Finanzen einiger der gefährlichsten kriminellen Organisationen der Welt. Und wenn nötig, greift er kaltblütig zur Waffe.
Alles läuft glatt, bis Chris in einem Akt der Rache ein Blutbad im Mafiamilieu anrichtet. So gerät er ins Visier der US-Steuerbehörden. Um die Ermittlungen gegen den Buchhalter voranzutreiben, heuert deren Leiter Ray King (J.K. Simmons) die Fahnderin Marybeth Medina an. Doch als sie Fortschritte macht, erfährt sie, dass ihr Boss tiefer in den Fall verstrickt ist, als sie ahnen konnte.
Das Drehbuch schneidet die Perspektiven des Accountant und des Ermittlerteams geschickt gegeneinander und füttert die Geschichte mit Rückblenden in Wolffs Vergangenheit an. Der Wissensvorsprung, den die Zuschauer erhalten, ist immer nur so groß, dass sie rastlos rätseln müssen, wie die Einzelteile wohl zusammenpassen – ganz ähnlich wie der Protagonist in einer Schlüsselszene des Films, in der er als Jugendlicher ausrastet, weil ihm ein Teil fehlt, um ein Puzzlespiel zu vollenden.
Affleck spielt diesen ebenso harten wie sehnsuchtsvollen Charakter äußerst zurückhaltend. Er lässt Wolff keine Gefühlsregung zu viel durchgehen. Dennoch ist der Buchhalter viel mehr als nur ein cooler Killer. Wie es bei einigen Formen des Autismus vorkommen kann, übt Wolff Gewalt gegen sich selbst aus. Regelmäßig traktiert er sein Schienbein brutal mit einem Rundholz. Die seit seiner Kindheit verdrängten Ängste, die in ihm schlummern, brechen als Aggressionen aus ihm hervor. So arbeitet Affleck eindringlich die Vielschichtigkeit des Charakters heraus. Dieser Kontrastreichtum wird durch seinen weiblichen Widerpart noch verstärkt – die gefühlsbetonte und redselige Buchhalterin Dana Kummings (Anna Kendrick).
Dass sich Ben Affleck wohldosiert zu verausgaben weiß, zeigte er bereits in David Finchers „Gone Girl“ und als Protagonist seiner eigenen Regiearbeit „Argo“, die bei der Oscarverleihung 2013 unter anderem als bester Film ausgezeichnet wurde. Mit dem Actionthriller „The Accountant“ nimmt Affleck, der seinen ersten Academy Award gemeinsam mit Matt Damon für das Drehbuch des Films „Good Will Hunting“ gewann, womöglich erneut einen Anlauf zum Rennen um einen Oscar als bester Hauptdarsteller.Kinokritiken im Überblick
[Franziska Bossy/buhl]
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