„Abigail“ im Kino: Horror-Ramsch mit Vampir-Ballerina

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Kampfszene aus "Abigail"
Foto: 2024 Universal Studios. All Rights Reserved.

Eine Gruppe Gauner, ein altes Herrenhaus und eine Vampirin sind die Zutaten von „Abigail“. Die Horrorkomödie stellt die alte Frage nach der Eigenverantwortung des Menschen.

An Blutzoll fehlt es „Abigail“ nicht. In Strömen fließt der Lebenssaft, der traditionelle Fetisch von Vampir-Geschichten. Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett, die beiden Regisseure, lassen munter Körper platzen, bis Blut und Innereien die alten Wände des Gemäuers neu gestalten. Zwischendrin folgt ein Abstecher in einen verborgenen Pool voll glibberiger Leichen-Schlotze: Die kindliche Lust am Matschen und Kleckern lebt dieser Film mit voller Inbrunst und praktischen Spezialeffekten aus. Analog splattert es sich schließlich immer noch am effektivsten. Ausgerechnet Tschaikowsky darf dabei in einigen Szenen den Soundtrack zu den Geschmacklosigkeiten liefern. Blutrausch als Todesballett.

Bettinelli-Olpin und Gillett sind zwei Regisseure für das Grobe, für markttauglich zusammengebasteltes Massen-Entertainment und Franchise-Kino, mit dem sich eine schnelle Mark abgreifen lässt, siehe „Scream“ (2022), „Scream VI“ oder „Ready or Not“. Auch „Abigail“ ist zuvorderst ein Kino der Routinen und Gewohnheiten. Es bedient lustvoll Klischees und Formeln, um allerlei Gewohntes möglichst leicht konsumierbar aufzubereiten, aus dem sich dann jeder nach dem eigenen Geschmack bedienen kann.

Abigail tanzt auf einer Bühne
„Abigail“ liefert neues Tanzmaterial für TikTok Foto: Universal Studios

„Abigail“ spielt anfangs interessant mit Horror-Konventionen

Der neue Film des Regie-Duos bietet ein bisschen Gangster-Kammerspiel, viel blutigen Horror, ein bisschen emanzipatorisches Empowerment, ein bisschen Kritik an menschlichem Fehlverhalten. Den nächsten potentiellen TikTok-Tanz a la „M3GAN“ gibt es obendrauf, schließlich muss man sich irgendwie auf Social Media behaupten. Zwischendrin jagen laute Töne Schrecken durch die müden Knochen, damit das Publikum nicht einschläft, im Wechsel mit flotten Sprüchen, um die Stimmung nicht allzu sehr zu verfinstern. Das „Fun“ in Fun-Splatter will großgeschrieben sein. Dabei findet „Abigail“ zumindest in seinem ersten Akt einen durchaus interessanten Kniff, um mit allzu fadenscheinigen und berechenbaren Genrefilm-Mustern zu spielen. Seine Figuren haben nämlich selbst Mühe, sich gegen ihre Austauschbarkeit zu behaupten.

Namen und Hintergrundgeschichten sind untersagt, so lauten die Spielregeln, die man den Gangstern auferlegt. In einem alten Herrenhaus, dem klassischen Gruselgemäuer mit unheilvollen Wandmalereien, einer großen Bibliothek und einem finsteren Keller, haben sie sich zurückgezogen, um auf ihr Opfer aufzupassen. Die kleine Ballerina Abigail haben sie entführt, damit ihr Auftraggeber vom Vater des geraubten Kindes, einem mächtigen Unterweltboss, Geld zu erpressen. Als das Haus von der Außenwelt abgeschottet wird und sich die Tänzerin als durstige Vampirin entpuppt, sitzt die Gruppe in einer Todesfalle fest.

Was der Körper verrät

Wie die Protagonistinnen und Protagonisten dabei zunächst beginnen, mit ihren Regeln zu brechen, wie sie Mühe haben, ihre Rollen im Gangster-Spiel zu spielen, noch lange vor der eigentlichen Splattererei, ist interessant zu verfolgen. Geheimniskrämerei, Anonymität durchbricht man im Lesen von Körpern, von Körpersprache, welche Regungen und ganze Biographien in ihren Spuren nach außen transportiert. Die Grenzen zwischen dem Ich und der Welt werden plötzlich entwaffnend durchlässig.

Aber kommen dort nicht ebenfalls nur vage umrissene Typen zum Vorschein? Na klar! Wandelnde Stereotype, begrenzt auf wenige Merkmale, Funktionen und Zäsuren im Leben. Einige von vielen gibt es dort zu sehen, die sich dessen plötzlich bewusst werden, bevor sie strafend zur Schlachtung getrieben werden. Selbst das Böse, die ominöse Vaterfigur, die irgendwann in Erscheinung treten wird, ist nicht mehr als ein Abziehbild, eine Karikatur, die, wie sie sagt, auf viele Namen hört.

Das Ensemble von "Abigail"
Wandelnde Stereotype Foto: 2023 Universal Studios

„Abigail“ entlarvt fatale Lebensentscheidungen

Gerade das Horrorkino lebt meist von solchen Stereotypen. Psychologien, Namen, Biographien – natürlich behindern sie nicht nur die Geheimhaltung der Mission, sondern ebenso den „Spaß“, die Lust an der Anonymität, die der Horror in seinen Grenzüberschreitungen verspricht. Sie bremsen ihn und das Spektakel des schwarzhumorig inszenierten Todes aus. Nur fängt „Abigail“ mit einer solchen Metaebene, die er in seiner Rahmung anlegt, im weiteren, in seinen Mitteln ziemlich abgedroschenen und einfallslosen Verlauf zu wenig an. Was zur Reflexion der eigenen Dramaturgie und Erzählform einlädt, dient hinterher zuvorderst ein paar wenig überzeugenden Botschaften, die auf den Köpfen der Jedermann-Figuren ausgetragen werden.

Dieser Film lässt das Publikum mit einer Mischung aus Abscheu, Schadenfreude und marginaler Rührung auf seine Opfer blicken. Alle haben sie ihre Sünden und Vergehen auf dem Kerbholz. Die Vampirin Abigail weiß diese Vergehen gegen ihre menschliche Mahlzeit auszuspielen, sie mit ihnen zu konfrontieren. Einen bloßen Spaß macht sie sich daraus, die Wehrlosen in die Falle zu locken. Aber was macht das Gefahrenszenario mit ihren Opfern?

Ferngesteuerter Tanz auf blutigen Sohlen

Gillet und Bettinelli-Olpin bauen ihren Film um Momente der Selbstreflexion. Lebensentscheidungen sollen überdacht werden. Verführung zum Bösen, zur dunklen Seite oder zum Guten? Insofern passt das „Schwanensee“-Zitat auf der Tonebene. Die Figuren von „Abigail“ haben die Wahl. Selbst dem Blutrausch verfallen, auf der Leiter der Macht nach oben klettern, oder Nächstenliebe und Verantwortung walten lassen? Mehrfach stellt der Film dabei die Frage nach der Freiheit des Menschen bei solchen Entscheidungen, nach Notlagen, Prägungen und Einflüssen von außen. Nicht zuletzt gespiegelt im Horrorbild eines ferngesteuerten Tanzes.

„Abigail“ bleibt dabei in seiner Argumentation sehr oberflächlich und vage gestrickt. Natürlich am besten so, dass sich ein jeder, egal welche Position man vertritt, in diesem Film wiederfinden kann. Er funktioniert über weite Strecken als Kritik an gesellschaftlichen Hierarchien, Egoismus und Ausbeutungen anderer und ebenso als Bestätigung eines Weltbildes, das allein von der Eigenverantwortung des Menschen faselt und damit jedwede komplexere Diskussion um dessen Einflechtung in Strukturen und Abhängigkeiten ignoriert und entpolitisiert. Dass „Abigail“ so offen bleibt und in seinen wenigen diskursiven Momenten irgendwie allen nach dem Mund zu reden versucht, ist noch nicht einmal das größte Problem. Und man kann ihm anhand der rund um einen Konflikt mit einem Gangster-Imperium ausgebreiteten Biographien ansatzweise zunicken: Natürlich hat der Mensch in einem bestimmten Rahmen, in gewissen Grenzen eine Entscheidungsfreiheit.

Melissa Barrera in "Abigail"
Joey lernt eine Lektion für ihr Leben. Foto: 2024 Universal Studios. All Rights Reserved.

Läuterung am Ende einer Höllennacht

Problematischer ist jedoch vielmehr, wie dieser Fun-Splatterfilm zu jener Entpolitisierung beiträgt, indem er zwar das beschriebene Thema als offene Frage stehen lässt, aber für die zentrale Sympathieträgerin und Identifikationsfigur längst alles festgelegt hat. Erst bekommt sie von der Figur von Dan Stevens eine Standpauke über ihre vermeintlichen Ausflüchte und faulen Ausreden im Leben zu hören. Sie sei einfach eine schlechte Mutter gewesen. Dann wird ihre Konfrontation mit dem Bösen, ist sie einmal von unten bis oben mit Blut besudelt und durch die Hölle gegangen, zum Ausgangspunkt einer suggerierten Läuterung. Mit neuem Lebensmut und Verantwortungsgefühl kehrt sie zurück in ihre alte Welt, während die Macht der vampirischen Elite zementiert bleibt. Deren Versuche einer Reform der eigenen Grausamkeit erscheinen nur als wohlwollende Ausnahme auf Zeit.

So wird die Oberflächlichkeit und Austauschbarkeit all dieser Charaktere und Geschichten auf verquere Weise zur allgemeinen Gültigkeit, zur allgemeinen Lehre verklärt, die jeden ambivalenteren Gedanken, jede tiefergreifende Auseinandersetzung in ermüdenden Kalauern und Kunstblut ertränkt. Bestärkt werden damit lediglich gegenwärtig dominierende neoliberale Narrative, die so verstaubt und geschmacklos sind wie das alte Interieur im Gruselhaus.

„Abigail“ läuft seit dem 18. April 2024 im Verleih von Universal Pictures in den deutschen Kinos.

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Bildquelle:

  • Abigail-Tanz: Universal Studios
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