Abgrund Porno-Geschäft: „Pleasure“ blickt hinter die Kulissen

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In ihrem Langfilmdebüt „Pleasure“ zeigt Ninja Thyberg den beschwerlichen Alltag einer aufstrebenden Pornodarstellerin in den USA.

Manche Szenen in „Pleasure“ werden Menschen schockieren, die noch nie in ihrem Leben einen Porno gesehen haben. Dieser Film zeigt grausamen Sexismus, Ausbeutung, Missbrauch, menschliche Waren. Bittere Eindrücke aus dem ewigen Kreislauf des „Immer krasser“. Einmal erhält die von Sofia Kappel gespielte Protagonistin Linnéa eine Absage von einem Produzenten, weil ihre Praktiken vor der Kamera als nicht pervers genug gelten.

Es sind zugleich die uninteressantesten Momente dieser Branchenstudie. Natürlich, sie erscheinen bei einer solchen Thematik unumgänglich, aber sie wirken ebenso abgedroschen und ermüdend. Weil das bereits Diskussionen aus vergangenen Jahrzehnten sind. Unabgeschlossene, weiterhin aktuelle, zweifellos, aber das Maß an Pessimismus und Zynismus, mit der man dem unlösbaren Thema inzwischen eigentlich nur noch begegnen kann, erreicht „Pleasure“ selten. Er staunt noch zu sehr.

Alltag im Kapitalismus

Längst ist das Leben im Kapitalismus an sich als pornographisch enttarnt, im Kino spätestens seit Pasolinis „120 Tagen von Sodom„. Er lebt vom Objektivieren und Rationalisieren und alle spielen entblößt mit, selbst wenn sie es nicht bemerken. Konsequent klinisch sind daher die Bilder von „Pleasure“, stets mit dem Hang zum Weißlichen, Überbelichten. Nichts kann sich verbergen, alles ist jederzeit grell ausgeleuchtet. Nahaufnahmen von Penetrationen benötigt dieser Film kaum, er ist auch so schon nackt genug. In einer offensiven Einstellung werden gleich am Anfang Schamhaare wegrasiert. Der letzte Makel ist davongeschürft, die Ware vorbereitet. Nur das Analtraining fehlt noch, das folgt später.

Die Schwedin Linnéa alias „Bella Cherry“ setzt nach ihren ersten Schritten in der Traumfabrik USA alles auf eine Karte, um nach oben zu gelangen. „Pleasure“ dokumentiert ihren Alltag, erzählt aus feministischer Sicht und besetzt mit überwiegend echten Mitgliedern der Branche. Es soll dem Film besondere Authentizität verleihen. Bella Cherry meldet sich für eine anale Doppelpenetration, einen Interracial Porn mit zwei schwarzen Männern. Extremeres kann eine Darstellerin kaum wagen, heißt es. Im Erwachsenenfilm brechen niederste Rassismen durch, wer das noch nicht wusste. Sie lassen sich gut verkaufen. Das sind basale, alte Erkenntnisse. Zum Glück reicht der Film darüber hinaus.

Porno heißt Vollzeitjob

Die Porno-Diskussion ist mittlerweile ein Stück weiter, das weiß auch die Filmemacherin, Ninja Thyberg. Sie hat nicht einfach nur einen weiteren Problemstreifen gedreht, der davon handelt, wie die Unschuld vom Lande mit der bösen Porno-Industrie konfrontiert wird und an ihr zu Grunde geht. So simpel ist „Pleasure“ nicht gestrickt. Die Voraussetzungen für die Erzählung sind andere. Linnéa hat schlicht Lust auf Schwänze, das wird sie nicht müde zu betonen. Wie ernst man dieses sexpositive Mantra nehmen kann, ist die andere Frage. In der Tat präsentiert sich „Pleasure“ der Pornographie gegenüber nicht grundlegend verdammend eingestellt. Sie erscheint vielmehr als radikale Notwendigkeit, als letzte Konsequenz und Symptom eines Marktsystems, das Teilhabe und Karriere verspricht.

Thyberg ist eine durchaus erhellend beobachtete und komplexe Auseinandersetzung mit dem Bürokratischen hinter dem Kopulieren gelungen. Mit einem Lebensgefühl, was es bedeutet, sich für eine Karriere in der Sex-Industrie zu entscheiden. Pornodarstellerin, das meint nicht nur die Action vor der Kamera, das meint das Schaffen eines Marketingprodukts, eines transparenten Wesens. Ein Vorstellungsgespräch, ein Telefonat, eine langweilige Networking-Party nach der anderen.

Vielleicht unterscheidet sich dieser freizügige Beruf gar nicht so sehr von anderen Freelancer-Jobs. Social Media muss unbedingt bespielt werden, um Follower anzuhäufen, andernfalls kein Aufstieg. Influencerin und 24/7-Sexobjekt, beides ist kaum zu trennen, zeigt „Pleasure“. Immer im Streben nach dem Singulären, nicht so zu sein wie die zahllosen anderen austauschbaren Boys and Girls. Um im nächsten Moment die ernüchternde Realität serviert zu bekommen. Man hat das wahrscheinlich selten so im besten Sinne ermüdend und frustrierend im Kino sehen können.

Abbruch ist keine Option

Mutter rät am Telefon ebenfalls zum Durchhalten und Kämpfen, überall ergeht es schließlich Mädchen schlecht. So stark ist das traurige Aufstiegsversprechen, der Zwang nach Disziplin. Aufruf zur Akzeptanz ist der erste Schritt zur Festigung der zerstörerischen Machtgefälle, die „Pleasure“ vorführt. Charaktermasken müssen hier alle werden, nicht nur im Dienst der Triebbefriedigung. Eine Teilnahme an diesem Markt mit allem Anbiedern, Werben und Präsentieren meint automatisch eine Selbstentblößung. Die Erniedrigungen der Sexfilmindustrie sind lediglich eine bizarre Erscheinungsform.

Thybergs Film beweist einmal mehr, wie gut sich das Pornogeschäft eignet, um vom Kapitalismus zu erzählen. Weil ihre Figuren nur in ihren angestammten und anerzogenen Rollen agieren dürfen, um das System am Laufen zu halten. Unterdrücker und Unterdrückte bedingen einander. Ware und Besitzer drehen sich im Rad ewig gleicher Rituale des Ausziehens, Misshandelns und Misshandeln-lassens und beide in der großen Produktionsmaschinerie mit ihren Kunden. Die Kamera hält das Getriebe geschmeidig. Jeder Ausbruch von Individualität, Gefühl und Aufbegehren erscheint als Störfaktor, als unerwünschte Drehpause.

Porno und Authentizität

Wenn die Protagonistin während einer stundenlangen Vergewaltigung an einem Set abbrechen will, dann schlagen solche schmerzhaften Erkenntnisse zu. Einmal raus, immer raus. In diesem Moment wird sich die Figur ihres Warencharakters bewusst. Weil sie erkennt, dass das Maskenhafte und Aufgesetzte zwar unabdingbarer Zustand ist, aber im Pornographischen zugleich mit sonst kaum zu vernehmender Drastik in eine selbstzerstörerische Totalität überführt wird.

Das Körperliche, Entblößte des Pornos ist trotz aller Inszenierung und künstlicher Mechanik in Teilen ein von Grund auf authentischer Akt, wie bereits der Kritiker und Drehbuchautor Wojciech Kuczok in seinem Aufsatz „Höllisches Kino“ feststellte. Man könnte weiterspinnen: Er enttarnt die Komplexität des heutigen Menschen als nichtig und gleich, er degradiert, macht verfüg- und lesbar. Kuczok diagnostizierte dabei einen „kläglichen Schutzbereich des ‚Schauspielerischen‘ […]“, um die „nackte Wahrheit der Physiologie in Anführungszeichen zu kleiden und sie von den Resten der Intimität abzulösen“. Thybergs „Pleasure“ zeigt, wie solche Schutzzonen während der Dreharbeiten bröckeln, bröckeln müssen und ihre eigene Konstruktion und Dauerhaftigkeit bloßstellen.

Die Enttäuschung des Strap-Ons

Bellas Peiniger entschuldigen sich bei ihr, sobald die Kamera aus ist und das vermeintlich echte Leben abseits der Show beginnt, die in Wirklichkeit nichts anderes war. Immer wieder wird sich in diesem bitteren, entlarvenden Film entschuldigt. Ein System entschuldigt sich für die selbst ausgewiesene Alternativlosigkeit. Selbst das Aneignen einer phallischen Macht per Strap-On-Dildo erscheint lediglich als aussichtslose Rachephantasie, als Bestätigung der Umstände. Ein Female Gaze, der nur noch vor sich selbst erschrecken darf. Das sind kluge Beobachtungen und trotzdem fehlt „Pleasure“ noch eine finale Übersicht über die eigenen gesellschaftlichen Zusammenhänge, ein letzter Rest an Gespür, dieses leere Aufstiegsstreben zur nötigen Polemik zu bündeln. Vielleicht deshalb, weil in ihm noch zu wenig externe Lebensumstände, Interaktionen mit dem Außen, kaum ökonomische Notwendigkeiten erzählt werden, sondern das Exotisch-Verruchte der Filterblase mitunter dann doch spannender erscheint.

Der Film irrt sogar, wenn er final so etwas wie eine Ausstiegsmöglichkeit suggeriert. Dafür müsste er eine Revolution zeigen, die er in seiner künstlichen Welt nicht finden kann. Er irrt, wenn er meint, sich in seinen Grenzüberschreitungen mit Wolkenschleier und Kirchenchoral der Transzendenz anzunähern. In einem ansonsten so sachlichen Film hat solcher Kitsch nichts verloren. Und „Pleasure“ irrt ebenso, wenn er unterwegs eine humanere, einvernehmliche Pornographie als Alternative zu schlimmster Ausbeutung in Aussicht stellt. Das ist nicht der eigentlich streitbare Punkt, das ist auch kein Hoffnungsschimmer, der da formuliert wird. Das sind vage arrangierte, kommerzialisierte Tröstlichkeiten, um sich mit den längst etablierten Gegebenheiten abzufinden.  

„Pleasure“ gehörte zur Offiziellen Auswahl der Filmfestspiele Cannes 2020. Ab dem 13. Januar 2022 läuft der Film bundesweit in den deutschen Kinos.

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Bildquelle:

  • pleasure: Plattform Produktion/ Weltkino
6 Kommentare im Forum
  1. Vor kurzen lief glaube auf Dmax oder Kabel1Doku auch so eine ich glaube es war eine 3-teilige britische Doku. Da ging es um die US Porno Industrie, da wurden Fimdrehs gezeigt, und Pornosternchen 1 Jahr mit der Kamera begleitet. Unter anderen Gia Derza, die darüber sprach, wie ihre Familie darüber dachte, bei anderen hat die Familie komplett den Kontakt abgebrochen, weil sie Pornos drehte. Die Frauen hatten wegen den "speziellen" Vorlieben bestimmte Krankheiten, da konnten sie nicht drehen, dann gabs keine Kohle.. Eine andere Frau hat bei einem bekannten Label als Grafikerin gearbeitet, glaube es war EvilAngel, sie hat aber nach 6 Monaten gekündigt, weil sie das Mental nicht verkraftet hat. EvilAngel macht ja auch kein Blümchensex. Das ist ein knallhartes Bussines, die Frauen machen da nicht wirklich viel Kohle, es seih denn du bist ein Megastar mit Exklusiv Vertrag. Und sobald du zu alt für die Zielgruppe bist, wird es schwierig. War aber recht interessant
  2. Bei Netflix gibt es ja auch den Dokumentarfilm "Hot Girls Wanted", da ist der Schwerpunkt eher wie sehr Amateure heute in das Geschäft gezogen werden.
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