Das erste große Videospielereignis des Jahres 2024 konfrontiert uns mit schillernden Schurken von beispielloser Brutalität. Und Überraschung: Statt als edle Helden diese durchtriebenen Bösewichte zur Strecke zu bringen, dürfen wir sie in „Suicide Squad – Kill The Justice League“ selbst spielen. Lesen Sie mehr in unserem HDTV-Magazin.
Es war eine langsame und mühsame Geburt: Bereits 2010 vom damaligen DC-Kreativchef Geoff Johns zum ersten Mal angekündigt, ist es erst jetzt, im noch jungen Jahr 2024, so weit – „Suicide Squad – Kill The Justice League“, die Videospieladaption der populären Antihelden aus dem DC-Universum, steht in den Startlöchern. Grund zur Freude besteht dabei nicht nur für beinharte Fans der Comicvorlage, denn der Name der Entwickler könnte auch Spieler für das interaktive Abenteuer interessieren, vielleicht sogar begeistern, die mit den Figuren eigentlich nicht viel am Hut haben. Entwickelt wurde „Suicide Squad – Kill The Justice League“ nämlich von Rocksteady.
Diesem in der britischen Hauptstadt London ansässigen Studio, das 2004 von früheren Mitarbeitern von Argonaut Games („Starwing“) gegründet worden war, verdankt die Spielewelt so einiges, zum Beispiel die Rehabilitation von Lizenzspielen, die zuvor unter dem Generalverdacht von liebloser Fließbandware standen. Dieses Kunststück gelang den Rocksteady Studios bereits 2009 mit ihrem zweiten Titel „Batman: Arkham Asylum“, dem ersten gelungenen Batman-Spiel seit den seligen Tagen von Sunsofts „Batman“ für das Sega Mega Drive oder Konamis „Batman Returns“ für das Super Nintendo.
„Arkham Asylum“ setzte den Maßstab, was in Folge von Comic-Videospielumsetzungen erwartet werden konnte: Inhaltliche Tiefe, die sowohl Neueinsteiger in die Materie willkommen heißt, aber auch gestandene Fans mit Respekt der Vorlage gegenüber abholt, dazu eine audiovisuelle Präsentation, die sich vor aufwändigen Superheldenfilmen nicht verstecken muss, und ein ausgeklügeltes Spieldesign, das einen geschickten Mittelweg zwischen spielerischer Freiheit und dramaturgisch notwendiger Spielerführung findet. Der künstlerische und wirtschaftliche Erfolg von „Batman: Arkham Asylum“ führte selbstverständlich zügig zur Entwicklung eines Nachfolgers. „Batman: Arkham City“ übernahm die meisten Stärken des Vorgängers, erweiterte aber das Spielgebiet deutlich zu einem Open-World-Abenteuer, in dem man Gotham City recht frei erkunden konnte und musste, zu Fuß, kletternd oder mittels Flattermantel auch durch die Lüfte schwebend.
Die Arkham-Trilogie und der Suicide Squad
2015 wurde Rocksteadys „Arkham“-Reihe endgültig zur Trilogie. Zuvor hatte Publisher Warner Bros. Games, zu dem das Entwicklungsstudio inzwischen vollständig gehörte, bereits das Prequelspiel „Batman: Arkham Origins“ veröffentlicht. „Batman: Arkham Knight“ krönte zum Veröffentlichungszeitpunkt die Reihe, protzte mit fantastischer Grafik, nochmals erweitertem Spielgebiet und der Möglichkeit, mittels Batmobil durch das riesige und beeindruckend designte Gotham City zu donnern.
Noch einmal stellte Rocksteady unter Beweis, dass sie großartige, eigenständige Geschichten mit all den reichhaltigen Möglichkeiten, die das Batman-Universum bereit hält, erzählen können. Fast alle bekannten Batman-Widersacher und Verbündete tauchen in der „Arkham“-Reihe auf, und zwar auf durchaus erinnerungswürdige Weise. Als Finale dieser sensationellen Trilogie (obschon gar nicht übel, wollen wir „Batman: Arkham Origins“ an dieser Stelle nicht berücksichtigen) überzeugte „Arkham Knight“ voll und ganz, warf aber gleichzeitig auch die Frage auf, was nun folgen würde. Und es sollte lange dauern, bis diese Frage beantwortet werden würde. Zu lange für viele Fans, die nun rätselten und Gerüchte teilten.
Narrativ interessanter als Superman
„Superman“ erschien vielen als der logische nächste Titel, immerhin neben „Batman“ die bekannteste Figur von DC-Comics. Im August 2020 wurde schließlich das Geheimnis gelüftet, zunächst in einem leicht kryptischen Tweet, zwei Wochen später dann ganz offiziell: Rocksteady entwickelte ein Spiel zum Antihelden-Team „Suicide Squad“. Das überraschte viele Fans, denn ein mögliches „Suicide Squad“-Spiel war zwar in der „Arkham“-Reihe bereits angeteasert worden, just aber in der Endsequenz des nicht von Rocksteady entwickelten „Batman: Arkham Origins“. Doch dessen Entwickler „WB Games Montreal“ arbeitete nun stattdessen an „Gotham Knight“. Inzwischen ist einiges zu „Suicide Squad – Kill The Justice League“ bekannt, das erneut in Rocksteadys Arkham-Welt angesiedelt ist, diesmal in Metropolis.
Die Handlung setzt fünf Jahre nach den Ereignissen von „Batman: Arkham Knight“ ein, als Brainiac, einer der bekanntesten Superman-Gegenspieler, mit seinen außerirdischen Scharen über die Erde herfällt. Natürlich stellen sich die Helden der Justice League dem hyperschlauen Bösewicht (im Englischen übrigens von Harry Potter-Schurken Jason Isaacs gesprochen). Mittels seiner mentalen Superkräfte gelingt es Brainiac jedoch, Superman, Batman, Green Lantern und den Flash einer Gehirnwäsche zu unterziehen und auf seine Seite zu ziehen.
Es scheint, Wonder Woman steht als einziges prominentes Justice League-Mitglied nicht unter dem Einfluss des intergalaktischen Übeltäters. Doch sie allein kann die missliche Lage nicht retten, zudem hätte sie vermutlich Skrupel, das Notwendige zu tun und ihre gleichgeschalteten Kollegen zu töten. Amanda Waller, die in der DC-Welt als Chefin der Geheimorganisation A.R.G.U.S. eine Art gewissenloseres Pendant zum S.H.I.E.L.D.-Chef Nick Fury aus dem Marvel-Kosmos darstellt, kennt da aber eine Handvoll Leute, die über derartige Skrupel nicht verfügen. Vieren der übelsten Insassen aus dem Arkham Asylum macht sie ein Angebot, das diese kaum ablehnen können.
Charaktere und Schauplatz bei Suicide Squad
Dieses „Suicide Squad“, das Waller aufstellt, besteht aus der ehemaligen Psychiaterin und Joker-Gespielin Harley Quinn, dem Scharfschützen und Auftragskiller Deadshot, King Shark, dem selbsternannten Sohn des Haigottes, und Captain Boomerang, der übermenschlich virtuos mit dem – es wird niemanden überraschen – Bumerang umzugehen weiß. Dieses Quartett aus der Hölle muss es nun also mit einigen der mächtigsten Superhelden überhaupt aufnehmen, es scheint sich bei der Mission also trotz der widerwilligen Hilfe von Wonder Woman um ein waschechtes Selbstmordkommando zu handeln. In die Hälse eingepflanzte Nanobomben, die bei Bedarf explodieren können, helfen dabei, die Antiheldentruppe zu motivieren und auf Kurs zu halten. Entwicklerteam Rocksteady verspricht für „Suicide Squad – Kill The Justice League“, die Tugenden und Stärken, welche die Arkham-Reihe so groß und beliebt haben werden lassen, beizubehalten und auszubauen. Es wird wohl zahlreiche Anspielungen und Verweise auf die Spieletrilogie um den dunklen Ritter geben, auch wird Batman selbst ein letztes Mal vom inzwischen verstorbenen Kevin Conroy gesprochen. Überhaupt werden allerlei bekannte Gesichter wie der Pinguin neben zahlreichen vielversprechenden neuen Figuren prominente Rollen in der Geschichte einnehmen. Gleichwohl lässt ein erster Blick auf das Spielgeschehen von „Suicide Squad – Kill The Justice League“ alles andere als ein Déjà-vu aufkommen.
War Gotham City in den Arkham-Spielen ein von den Tim Burton-Batmans inspirierter und von gedeckten, dunklen Tönen und barocker Morbidität dominierter Moloch von Stadt, ist Metropolis abseits der Spuren der Invasion ein farbenprächtiger Tummelplatz, in dem Denkmäler vom segensreichen Wirken des Schutzpatrons und berühmtesten Sohn der Stadt künden, Superman. Laut Entwicklerangaben ist Metropolis doppelt so groß wie Gotham City in Arkham Knight, und größer, bunter, lauter scheint überhaupt die generelle Devise für das Spiel zu sein. Rein optisch passt die flamboyante Protagonistentruppe ausgezeichnet in ihr neues Betätigungsfeld, und auch die Art der Action trägt dem neuen visuellen Konzept Rechnung. Die Auseinandersetzungen in den Arkham-Spielen wurden vorwiegend über prächtig choreografierte Nahkämpfe ausgetragen, auch wenn die Angriffsmöglichkeiten mit jedem Spiel vielfältiger wurden. In „Suicide Squad – Kill The Justice League“ hingegen geben die Waffen den Ton an, genauer gesagt, Schusswaffen.
Jedes der Teammitglieder weist dabei individuelle Vorzüge und Besonderheiten auf, so vertraut Deadshot natürlich besonders auf sein Scharfschützengewehr. Langwieriges Anschleichen und geduldiges Warten auf das Ziel sollte aber mit ihm niemand erwarten, auch beim Ausspielen der Sniper-Skills ist Tempo angesagt. Nahkämpfe gibt es, und gerade King Shark macht dabei eine hervorragende, wenn auch makabre Figur. Manch Gegner müssen zunächst verprügelt werden, bevor sie durch Schusswaffengebrauch verletzbar sind. Umgekehrt dienen die Raufereien auch als episch inszenierte Finishing-Moves oder auch als Konter. Die Ballereien fallen überaus effektreich und kunterbunt aus, ein wortwörtliches Feuerwerk aus Farben, Partikeln und Lichteffekten. In Kontrast zu dieser farbenprächtigen Anmutung steht die Abwesenheit von „normalen“ Menschen in Metropolis, dessen Bewohner inzwischen von Brainiac ausgelöscht oder gleichgeschaltet wurden. Hier gibt es keine Simulation des gewöhnlichen Stadttreibens, keine friedlichen Passanten, was sich im okkupierten Metropolis bewegt, will den Protagonisten üblicherweise an den Kragen und darf bekämpft werden.
Suicide Squad ein Teamplay-Game?
Und die Auswahl dessen, was da zur Verfügung steht, ist enorm. Denn „Suicide Squad – Kill The Justice League“ ist – unter anderem – ein sogenannter Loot-Shooter, in dem es Unmengen an Waffen und Ausrüstungsgegenständen zu finden oder zu erbeuten gibt, die dann zusätzlich aufgerüstet werden können. Die Entwickler beschreiben das als Rollenspiel-Element, man assoziiert diese Art System jedoch eher mit Spielen wie den beiden „Destiny“-Teilen oder Ubisofts „The Devision 1 und 2“. „Suicide Squad – Kill The Justice League“ lockt also mit langer Spielzeit und regelmäßig nachgelieferten kostenlosen Inhalten. Und wie die genannten Games bietet Rocksteadys neuestes Spiel eine Multiplayer-Komponente, die es erlaubt, die Kampagne im Koop-Modus mit anderen Spielern durchzuspielen. Zockt man hingegen allein, kann man jederzeit zwischen den vier Teammitgliedern hin und her wechseln, die drei übrigen Figuren werden dann vom Computer gesteuert. Es wird sich zeigen, ob die Kerntugenden der vorherigen Rocksteady-Spiele inmitten all der neuen Systeme und Mechaniken bewahrt, vielleicht sogar ausgebaut werden können. Was hingegen schon jetzt völlig überzeugen kann, ist der Artstyle, die visuelle Umsetzung generell und auch die Qualität der Inszenierung.
Intro und Zwischensequenzen wissen zu beeindrucken, die Animationen, insbesondere die Mimik, fallen absolut erstklassig aus. Und obwohl „Suicide Squad“ für sein technisches Gerüst noch einmal auf die inzwischen Unreal-Engine 4 setzt, wirkt sich das im bisher verfügbaren Videomaterial aus dem Spiel keineswegs negativ aus. Ganz im Gegenteil, Metropolis präsentiert sich als verführerisch schöner, riesiger Abenteuerspielplatz, der erhabene Momente ebenso verspricht wie kleine, persönliche Entdeckungen. Hoffen wir, dass diese Entdeckungen unter knallbuntem Budenzauber, Statusangaben, Orientierungshilfen und HUD-Einblendungen nicht untergehen und sich hinter den knackigen Dialogen voller sarkastischer bis zynischer Spitzen auch eine gehaltvolle Story verbirgt. Bislang stehen die Zeichen dafür sehr gut. Und wer hat nicht einmal Lust, z. B. mit einem Riesen-Hammer fiese Superhelden aufzumischen und sich je nach gespieltem Charakter per Speedforce-Handschuh, Jetpack, Supersprung oder Bat-Drohne samt Enterhaken durch Metropolis zu schleudern. Durch die individuellen Fähigkeiten der Squad-Mitglieder sowie der Ausbildung ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten-Bäume in Kombination mit den vielfältigen Waffen kommt nie Langeweile auf. Und auch die Handlung inklusive der Dialoge fühlt sich wunderbar anarchistisch, nihilistisch und amoralisch an, denn niemand scheint hier eine wirklich weiße Weste zu besitzen. Handelt es sich gar um ein grafisch ansprechendes „No More Heroes“ im DC Universum?
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 01/2024 der HDTV. Dort finden Sie auch die Ergebnisse unserer elektrischen Tests mit allen technischen Details, Auswertungen und unseren Testurteilen. Auch als E-Paper zum Sofort-Download!
Text/Bilder: Autor: Martin Gleitsmann; Bilder: DC, Warner Bros. Games
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