Erich Honecker ist seit gut 23 Jahren tot. Um den einstigen DDR-Machthaber geht es in einem neuen Fernsehfilm (übermorgen im Ersten) – und die Zeit nach dem Mauerfall, als fast alles möglich schien.
Die französische Kinokomödie „Willkommen bei den Sch’tis“ über einen strafversetzten Postbeamten begeisterte einst ein Millionenpublikum. Der Fernsehfilm, der am Abend des Einheitstages (3.Oktober/20.15 Uhr) im Ersten gesendet wird, knüpft nun zumindest mit dem Titel an die urkomische Satire aus dem Jahr 2008 an. Oder doch an den augenzwinkernden Film „Willkommen bei den Hartmanns“ (2016) über eine bürgerliche Familie, die einen Flüchtling aufnimmt? Jedenfalls heißt der Streifen von Regisseur Philipp Leinemann („Transit) „Willkommen bei den Honeckers“.
Erzählt wird die Geschichte des jungen, ostdeutschen Kellners Johann Rummel (Max Bretschneider) nach dem Mauerfall, der unbedingt Journalist werden will – „ohne Abitur, ohne Kontakte“. Die Eintrittskarte: ein Interview mit dem früheren SED-Machthaber Erich Honecker im chilenischen Exil. Tatsächlich kommt der draufgängerische Möchtegern-Reporter 1993 mit Tricks und Fakes an den schwerkranken Ex-Staatsratsvorsitzenden heran.
Er schafft es, Honecker und dessen Frau Margot, in der DDR Ministerin für Volksbildung, in ihrem abgeschirmten Haus in Santiago de Chile zu besuchen und Seelenverwandtschaft vorzutäuschen: „Was können wir noch tun, um den Sozialismus zu alter Stärke zu verhelfen?“ Hummel bekommt seine große Story. Doch welchen Anspruch hat der Film mit dem prominenten Sendeplatz am 27. Jahrestag der Deutschen Einheit?
Autor Matthias Pracht und Produzent Christian Rohde kündigen ein „beeindruckendes Schelmenstück“ an. Der Streifen beruht demnach auf der wahren Geschichte des „Bild“-Journalisten Mark Pittelkau. Die filmische Verdichtung mache die Story nicht unwahrer. „Wir wollen dabei nichts beschönigen, aber auch nicht verurteilen.“ Die Geschichte bleibe ambivalent, genau wie die damalige Zeit.
Der Film wurde von der Magic Flight Film GmbH im Auftrag von ARD Degeto produziert. Sascha Schwingel, Redaktionsleiter ARD Degeto, meint, die Figur von Johann Rummel werfe viele Fragen auf. Die Auseinandersetzung mit ihr – und damit über Mut, Moral und Integrität – sei Reiz und Herausforderung. Einfache Antworten gebe es nicht.
Und so soll wohl für jeden etwas dabei sein. Ein bisschen Liebesgeschichte, ein bisschen Freundschaft, aber auch ein bisschen Maueropfer und ostdeutsche Befindlichkeit. „Ich find den Honecker doch auch Scheiße, der hat mir mein Abi verbaut, da ist es doch nur gerecht, wenn ich mir da mal was zurückhole“, meint Jungjournalist Rummel, als sein Freund Maik (Max Mauff) beim Honecker-Interview nicht mitmachen will – weil es moralisch nicht korrekt sei.
Es gibt im Film etliche Klischees, um den Osten zu illustrieren – angefangen bei den offensichtlich unverzichtbaren Hochhaus-Neubauten, über groß gemusterte Tapete in den Wohnungen und düstere Kneipen. Ironisch gemeint tauchen DDR-Fahnen, geballte Fäuste und Kampflieder im Hintergrund auf. Doch wie glaubhaft ist es, dass der unbedarfte Rummel alle Phrasen der Alt-SED-Funktionäre drauf hat? Auch eine Szene am FKK-Strand darf nicht fehlen. Ach, soll ja eine Komödie sein.
Befremdlich wirkt der Pathos, mit dem Rummel seiner Freundin Jenny (Cornelia Gröschel) vor dem Abflug nach Chile verspricht: „Ich werde ihm die Maske vom Gesicht reißen, ich will, dass er sich für alles entschuldigt, was er getan hat.“ Doch dazu kommt es nicht.
Es sei nicht darum gegangen, große historische Wendeereignisse nachzuerzählen, argumentieren Pacht und Rohde. Es sei eine Zeit voller Chancen für den gewesen, der sie für sich erkannt habe. Könne man das dem jungen Rummel zum Vorwurf machen? Eher nicht, ist aus dem Film zu lesen. Aber die Frage bleibt: Ist es im Journalismus wirklich so, dass der Zweck die Mittel heiligt?
Großartig präsentiert sich Schauspieler Martin Brambach in der Rolle des greisen Honecker – mit zuckenden Mundwinkeln, fast brechender Stimme und schlurfendem Schritt. „Diese Lügen, diese vielen Lügen“, seien manchmal nur schwer zu ertragen, murmelt er. „Was wollen diese Menschen jetzt von mir – warum lassen die mich nicht in Frieden sterben?“ Honecker stirbt im Mai 1994 im Alter von 81 Jahren.
Doch trotz der fast mitleiderregenden Darbietung bleibt der Polit-Rentner im Rhomben-Pullover bei seinen harten Ansichten über die Mauer und DDR-Flüchtlinge: „Es gab sicher Dinge, die nicht schön waren, es wurden Fehler gemacht, aber niemand hat diese Menschen gezwungen, die DDR zu verlassen. Warum haben sie diese Dummheit begangen? Mussten die denn unbedingt ihre Heimat verlassen? Die wussten doch, was ihnen blüht“, sagt er dem jungen Rummel – diesmal mit festerer Stimme. Der fragt schmerzfrei zurück: „Vielleicht waren sie verwirrt – fehlgeleitet durch die Versuchungen des Kapitalismus?“
Johanna Gastdorf als Margot Honecker trifft genau den eiskalten, Blick und distanzierten, misstrauischen Gestus der einstigen DDR-First-Lady. Die Härte hinter der aufgesetzten Freundlichkeit ist spürbar. Der Film greift auch eine bekannte Foto-Szene auf. Frau Honecker steht mit einem Gartenschlauch im Garten vor ihrem Haus und versucht, per Wasserstrahl vordringende Fotografen zu vertreiben. „Haut ab, Ihr Aasgeier“, schreit sie. Margot Honecker wurde 89 Jahre alt, sie starb im Mai 2016.
Zum Schluss des Films bemalen zwei Kinder an einer Litfasssäule ein Honecker-Foto. Eines fragt: „Wer ist das überhaupt?“ Die Antwort: „Kenn ich nicht“. Dann rennen sie weg. [Jutta Schütz]
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