Der „Tatort“ aus Wiesbaden wagt ein neues Experiment: In „Wer bin ich?“ spielt Ulrich Tukur nicht Kommissar Murot, sondern sich selbst beim Dreh einer neuen „Tatort“-Folge. Und auch einige bekannte Kollegen stoßen dazu. Als dann ein Mitarbeiter stirbt, stellt sich die Frage: Was ist echt?
Schon nach vier Minuten ist klar: Das ist kein gewöhnlicher „Tatort“. Die beiden Leichen, die Ulrich Tukur als LKA-Ermittler Felix Murot im Parkhaus der Wiesbadener Spielbank findet, sind nicht echt. Sie gehören zu einem „Tatort“, den der Hessische Rundfunk (HR) gerade dreht. Ein Film-im-Film also, in dem Tukur den Schauspieler Tukur spielt. Die ARD strahlt den „Tatort“ mit dem passenden Titel „Wer bin ich?“ am 27. Dezember um 20.15 Uhr aus.
Aber nicht nur Tukur spielt sich selbst – sondern auch Barbara Philipp (Murots Assistentin) sowie die anderen HR-„Tatort“-Kommissare Wolfram Koch und Margarita Broich. Dazu gesellt sich Broichs Lebensgefährte im echten Leben, der Schauspieler Martin Wuttke, der nach seinem Ausstieg als Leipziger „Tatort“-Kommissar angeblich Geld braucht.
Die Dreharbeiten um die Ermordeten aus dem Parkhaus, mit denen der „Tatort“ beginnt, werden wegen des tödlichen Autounfalls eines Kollegen der Aufnahmeleitung unterbrochen. Bald stellt sich jedoch heraus, dass es gar kein Unfall war. Tukur saß neben dem 19-Jährigen im Wagen, erinnert sich aber an nichts. Denn die Crew hatte vor dem Unfall die Halbzeit ihrer Dreharbeiten mit viel Alkohol gefeiert. Außerdem fehlen fast 80 000 Euro, die der Assistent der Aufnahmeleitung vor seinem Tod in der Spielbank gewonnen hatte. Tukur gerät unter Mordverdacht – und ist in dieser Rolle ganz schnell ganz allein.
Regisseur Konrad (Justus von Dohnányi) denkt schon darüber nach, wie er noch nicht gedrehte Szenen ohne Tukur umschreiben kann („Den vermisst Du null.“) Und die „Tatort“-Redakteure überlegen, ob Matthias Schweighöfer oder Heino Ferch nicht ein besserer Kommissar wären. Tukurs Schauspielerkollegen Koch, Wuttke, Broich und Philipp sind vor allem mit sich selbst beschäftigt. Sehr witzig die ironische Darstellung ihrer angeblichen Marotten, Eigenheiten und Eitelkeiten. Amüsant auch die einfältigen „echten“ Polizisten Kern und Kugler.
„Der Film ist aber nicht nur lustig“, betont Himstedt. „In dem Maße, wie die anderen Schauspieler völlig überzogen sind, sehen wir auch dem Abstieg unseres Kommissars oder auch Ulrich Tukurs zu.“ Denn: „Es ist ja ganz schön schrecklich, in so eine Situation zu geraten, und dann zu merken, keiner ist loyal.“
„Das ist eine Geschichte über Sein und Schein, über Spiel und Wirklichkeit, aber auch die Tragödie eines Menschen, der zerbröselt und peu à peu aus der Wirklichkeit gemobbt wird – dabei ist das Ganze aber auch ungeheuer komisch“, sagte Tukur der dpa. „Ich gerate in eine Abfolge absurder Ereignisse, die sich zu einem veritablen Alptraum auswachsen, und alle meine Kollegen sind am Ende verzerrte, fratzenhafte Figuren.“
Am Ende zerbröselt alles – die Frage „Wer bin ich?“ stellt sich noch einmal neu und dürfte viele Zuschauer ratlos zurücklassen. In der Schlussszene werde noch eine weitere Ebene etabliert, erklärt dies Tukur. „Eine Meta-Ebene, die noch einmal in Frage stellt, was wir in Frage stellen.“
Nach Tukurs preisgekröntem „Tatort“ „Im Schmerz geboren“, ist dem HR mit dem Film-im-Film ein neues Experiment gelungen. „Ich glaube, dass es das im deutschen Fernsehen noch nicht gab, ein Film, in dem sich die Figur vom Schauspieler trennt und eine Ebene eröffnet, die alle gängigen Sehgewohnheiten außer Kraft setzt“, sagt Tukur. Und er lobt das HR-Team: „Ich habe noch in keinem Fernsehsender so viel Mut erlebt, den Zuschauern keinen Einheitsbrei vorzusetzen und sie einzuladen, mal auf etwas herumzukauen, was man nicht gleich schlucken kann.“
Die unterhaltsame Mischung aus Krimi, Tragödie und Komödie dürfte dennoch polarisieren. Vor allem Tukur spielt zwar grandios. Die Geschichte selbst hat aber Längen, und die Selbstbespiegelung des „Tatort“-Betriebs wirkt manchmal ein wenig selbstverliebt.
[Ira Schaible/fs]
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