Die Debatte um Sarah Connors Lied „Vincent“ rückte kürzlich das Thema Homosexualität in den Medien wieder mal in den Fokus. Ein Schwulenkuss oder eine Transfrau in einer Serie lösen zwar schon lange keinen Eklat mehr aus – zufrieden sind aber auch nicht alle.
Sonntag nach 20.15 Uhr: Ein „Tatort“-Kommissar schläft mit einem Mann, in einem „Polizeiruf“ stirbt eine Transsexuelle in der Ausnüchterungszelle. Einen prominenteren Sendeplatz gibt es im deutschen TV nicht, um lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender, intersexuelle oder queere (LSBTTIQ) Themen zu platzieren. Doch die beiden Filme sind schon wieder Jahre her. Und wenn man mit Experten spricht, klingt ihre Analyse der deutschen Fernsehlandschaft nicht unbedingt nach 21. Jahrhundert.
Timo Gößler, Dozent für Dramaturgie und Serielles Erzählen an der Filmuniversität Babelsberg, kritisiert: „Noch immer werden homosexuelle Figuren häufig mit gefühltem Ausrufezeichen erzählt.“ Die „Andersartigkeit“ scheine in Serien, Filmen und Shows oft begründet werden zu müssen – entweder über Konflikte, die die Figur gerade wegen ihrer sexuellen Identität hat, oder über stereotype Charaktereigenschaften wie komischer Paradiesvogel oder mitfühlender bester schwuler Freund der weiblichen Hauptfigur.
Zweifelsohne sei es wichtig, diskriminierende Strukturen in der Gesellschaft zum Thema zu machen. „Doch genau so wichtig wäre es, dass Figuren selbstverständlich nicht-hetero sind, ohne das dies besonders thematisiert und vor allem problematisiert werden müsste“, so Gößler.
Überhaupt kommen LSBTTIQ-Themen und -Menschen im deutschen TV zu wenig vor, wie der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) findet. Auch Prof. Elizabeth Prommer, Direktorin des Instituts für Medienforschung an der Uni Rostock, sagt: „Es kommen schlicht so wenige Homosexuelle im Fernsehen vor, dass man kaum allgemeingültige Aussagen treffen kann.“ Fünf bis zehn Prozent der Menschen gelten als LSBTTIQ. Dieser Anteil werde im TV bei weitem nicht erreicht.Gesellschaftlicher Anteil wird im TV bei weitem nicht erreicht
Die Queer Media Society fordert, dass sieben Prozent des Outputs aller Medien-Produktionen in Deutschland mit LSBTTIQ-Themen und -Inhalten belegt werden. „Wenn Homo-, Bi oder Transsexualität nicht in Film oder Fernsehen als etwas Normales dargestellt ist, wie soll sie dann je in der Gesellschaft normal angesehen werden?“
Die Sender selbst verweisen auf eine ganze Menge: Der Bayerische Rundfunk etwa hat seit kurzem einen „BR Diversity Beirat“. In der Daily „Dahoam is Dahoam“ taucht immer mal wieder ein schwuler Sohn auf. „Als öffentlich-rechtliche Medien senden wir für die ganze Gesellschaft – und die ist längst vielfältig“, erklärt eine Sprecherin. Ziel sei, diese Vielfalt in den Programmen und in den Belegschaften der Sender zu spiegeln. Vorgaben gebe es dafür keine.
Das RBB Fernsehen hat vergangenes Jahr unter dem Titel „RBB Queer“ die erste queere Filmreihe ausgestrahlt. „Darauf gab es sehr intensive Publikumsreaktionen“, so eine Sprecherin. Unter rund 150 Rückmeldungen sei keine negative gewesen. Vom 27. Juni bis zum 15. August läuft am späten Donnerstagabend die zweite Runde.
ProSiebenSat.1 verweist unter anderem auf die Hauptcharaktere in der Sat.1-Crime-Serie „Instinct“ und im „Charmed“-Reboot auf Sixx. „Erfreulicherweise bekommen wir in diesem Zusammenhang nur vereinzelt homophobe Reaktionen auf unser Programm“, erklärt eine Sprecherin. Sie betont aber auch: „Bei der Auswahl unseres Programms stehen primär gute Stoffe und Storys im Fokus, die sexuelle Orientierung der Protagonisten gibt dabei nicht den Ausschlag.“
Bei der RTL-Soap „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ habe das Thema Diversität eine lange Tradition, sagt ein Sendersprecher. Bei „Let’s Dance“ tanzte in der jüngsten Staffel Sängerin Kerstin Ott als erster Promi mit dem gleichen Geschlecht. Und bei dem Kölner Privatsender suchte auch schon ein schwuler Bauer den Mann fürs Leben. A propos: Bald könnte es auch Konkurrenz für „Bachelor“ und „Bachelorette“ geben: Die Produktionsfirma Seapoint sucht gerade Kandidaten für ein neues Gay-Dating-Format unter dem Motto „Single, schwul, sucht…“
Forscherin Prommer hält dem entgegen: „In dem Moment, wo ich anfangen kann, meine Sonderbeispiele aufzuzählen, sind es nur Ausreißer.“ Für eine Studie hat sie die Rollen von Frauen und Männern im deutschen TV angeschaut. Über alle Programme hinweg gebe es doppelt so viele Männer wie Frauen – letztere seien also unterrepräsentiert. Einzige Ausnahme: Telenovelas und Daily Soaps – hier passe die Verteilung.
Die Ausnahmerolle der Soaps betont auch Filmdozent Gößler: Hier tauchten lesbische oder schwule Figuren mit großer Selbstverständlichkeit auf. Wie differenziert und komplex diese dann im Einzelfall angelegt sind, sei eine andere Diskussion. „Aber sie sind da, und das weder nur als kleine lustige, klischierte Randfiguren noch als in Opferrollen gedrängte Ausgestoßene.“
In der Soap „Unter uns“ bei RTL spielt Lars Steinhöfel Easy Winter, der in einer schwulen Beziehung lebt und liebt. „Wichtig ist die Botschaft, die wir senden: Es gibt Homosexuelle“, sagt der 33-Jährige, der selber schwul ist. „Wenn man das täglich sieht, wird es umso umgänglicher für den Zuschauer.“
Doch auch hier gibt es Kritik: Die Darstellung entspreche oft nicht dem Leben Homosexueller, sagt LSVD-Sprecher Markus Ulrich. „Da gibt es dann einen Schwulen, der vielleicht noch einen Partner hat, aber mitten in der Großstadt ansonsten keine schwulen Freunde.“ Die Serien erzählten auch nichts vom schwulen oder lesbischen Ausgehen (DF-Artikel vom Vortag).
Wichtig sei auch zu beachten, dass verschiedene LSBTTIQ-Typen dargestellt und nicht nur Klischees bedient würden, sagt Ulrich. „Die Bandbreite beim Auftreten reicht dabei von Anne Will bis Hella von Sinnen und von Harald Glööckler bis Thomas Hitzlsperger.“[Marco Krefting]
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